© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/23 / 04. August 2023

Cancel Culture
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Thorsten Hinz

Der Althistoriker Egon Flaig, Emeritus der Universität Rostock, gehört spartenübergreifend zu den klügsten Köpfen hierzulande. Außerdem sprüht er vor Debattierfreude. Das Institut für Klassische Archäologie der Universität Erlangen hatte ihn daher eingeladen, ein Mitte Juli stattgefundenes Symposium zum Thema „Freiheit“ mit einem Vortrag zu eröffnen. Flaigs Thema sollte lauten: „Individuelle Freiheit gegen politische Freiheit. Die Polis im europäischen Republikanismus.“ Doch der Vortrag fand nicht statt. Der Dekan der Philosophischen Fakultät war dagegen. Lehrstuhlinhaber Andreas Grüner, der das Symposium organisiert hatte, beugte sich und sagte Flaig kurzfristig ab.

Der Publizist Mathias Brodkorb, ehemals Kultus- und Finanzminister von Mecklenburg-Vorpommern und ein Schüler Flaigs, hat nachgehakt. Die Beteiligten hielten sich bedeckt. Grüner sprach gewunden von einer „Reihe von Erwägungen, die mich in der Summe bewogen haben, der Bitte der Fakultät zu folgen“. So stand es in der FAZ. Die Nürnberger Nachrichten teilten im Tonfall der Verdachtsberichterstattung noch mit, daß Flaig „umstritten“ sei; er vertrete eine „neurechte Ideologie“ .

Es geht um universitäre Gleichschaltung, genauer: um politisch motivierte Selbstgleichschaltung.

Bekanntermaßen hält Flaig die modischen „Postcolonial Studies“ für Humbug. Als der Historikertag 2018 in einer Resolution verlautete, es gelte, „im Lichte der kolonialen Gewalt, die Europäer in anderen Teilen der Welt ausgeübt haben (...), der gemeinsamen Verantwortung für die Folgen unserer Politik im außereuropäischen Raum gerecht zu werden“, erklärte er, „der Fachverband (habe) seine intellektuelle Abdankung unterzeichnet und eingestanden, daß er den theoretischen Erfordernissen seiner eigenen Disziplin nicht mehr gewachsen ist“.

In den letzten Monaten gab es in der Presse einen heftigen Disput zwischen ihm und den Historikerinnen Aleida Assmann und Rebekka Habermas, in dem beide Damen – dies sei ohne frauenfeindliche Schadenfreude vermerkt – eindeutig den Kürzeren zogen. Flaig stellte Parallelen zum Historikerstreit von 1986/87 her und bekannte sich ausdrücklich zum wissenschaftlichen Ethos Ernst Noltes. Assmann warf ihm vor, er negiere „damit ein normatives Fundament, das im ersten Historikerstreit gelegt wurde und in die demokratischen Strukturen der Gesellschaft eingegangen ist“. Der Konflikt verläuft also zwischen einer volkspädagogisch aufgeladenen Erinnerungspolitik und ergebnisoffener Wissenschaft.

Das Wort „Cancel Culture“ reicht nicht aus, um den Erlanger Vorgang zu bezeichnen. Es geht um universitäre Gleichschaltung, genauer: um politisch motivierte Selbstgleichschaltung. Sie kommt aus den verfaulten Innereien eines kranken Betriebssystems.