Der Dieb im British Museum hat vermutlich seit zwei Jahrzehnten eine sehr große Menge wertvoller Objekte aus dem Depot entwendet. In die Millionen dürfte der Schaden gehen. In Großbritannien macht sich Entsetzen breit, je mehr das Ausmaß der Verluste in dem weltberühmten Museum klar wird. Erst sprach die Londoner Institution von „einigen“ Objekten. Es sind aber wohl bis zu 2.000 Objekte verschwunden, vor allem antiker Goldschmuck der Griechen und Römer, Gemmen aus Halbedelsteinen, andere kleine Kunstwerke und Glas. Die ältesten Artefakte sollen rund 3.500 Jahre alt sein, doch auch jüngere Objekte aus dem 19. Jahrhundert hat der Dieb mitgehen lassen.
Kurz bevor die Bombe explodierte und der Skandal publik wurde, hat das Museum den Kurator Peter Higgs entlassen. Higgs, ein Experte für griechische Antiken, arbeitet seit mehr als dreißig Jahren in dem Museum. Jetzt steht er unter dringendem Tatverdacht, schon lange Objekte heimlich entwendet und auf Ebay und über andere Kanäle verkauft zu haben. Die Polizei ermittelt.
Teile des Depotbestandes sind
gar nicht richtig katalogisiert
Fassungslos macht, daß der Schwund der Museumsleitung nicht früher auffiel. Sie hat auf konkrete Warnungen, daß Hehlerware auf Ebay verkauft werde, nicht adäquat reagiert. Vergangenen Freitag hat der Direktor des British Museum, der Deutsche Hartwig Fischer, seinen Rücktritt mit sofortiger Wirkung erklärt, nachdem er zuvor noch an seinem Sessel zu kleben schien. Fischer leitete seit 2016 das größte und bei Touristen beliebteste Museum in der britischen Hauptstadt.
Zuvor versuchte er noch, seine Hände in Unschuld zu waschen. Als man 2021 die ersten Warnungen erhalten habe, sei das ganze Ausmaß des Diebeszuges nicht absehbar gewesen. Darüber sei er selbst „frustriert“, tönte Fischer. Zwar habe man eine interne Untersuchung eingeleitet. Aber irgendwie kam dabei wenig heraus. Das British Museum besitzt in seinen gewaltigen Depots nach eigenen Angaben „mindestens acht Millionen Objekte“, etwa 80.000 davon werden im tempelartigen Gebäude im Stadtteil Bloomsbury ausgestellt. Museums-Chairman George Osborne hat zugegeben, daß offenbar größere Teile des Depotbestandes gar nicht richtig katalogisiert sind.
Der dänische Antiquitätenhändler und Kunsthistoriker Ittai Gradel wirft der Museumsleitung vor, sie habe die peinliche Sache „unter den Teppich kehren“ wollen. Der ehemalige Professor Gradel war es, der 2021 die erste Warnung schickte. Man habe ihn damals „wie einen Dorfdepp“ behandelt, sagte er dem Daily Telegraph. Gradel hatte seit 2016 rund 70 Objekte auf Ebay gekauft, zu moderaten Preisen, dann aber fiel ihm irgendwann auf, daß etwas nicht stimmte. Seine Nachforschungen zum anonymen Ebay-Verkäufer ergaben, daß dessen PayPal-Konto auf den Namen des British-Museum-Angestellten Higgs lief, außerdem lautete das Pseudonym des Verkäufers, „Sultan1966“, identisch mit Higgs Twitter-Konto. Als Gradel seine Warnung nach London schickte, erhielt er aber erst nach Monaten eine ausweichende Antwort vom Co-Direktor Jonathan Williams: Es gebe „keine Hinweise auf Fehlverhalten“. Gradel forderte jetzt, daß die ganze Museumsleitung gefeuert werde.
Seit der Skandal das British Museum erschüttert, sind auch Trittbrettfahrer aufgesprungen. So meldete sich Despina Koutsoumba, die Chefin der griechischen nationalen Archäologen-Vereinigung, zu Wort. Weil in London offensichtlich Werke nicht mehr sicher seien, sollte man jetzt bitte schleunigst die Elgin Marbles, die Marmorskulpturen vom Parthenon, nach Athen zurückgeben. Die von Lord Elgin abtransportierten Skulpturen von der Akropolis sind seit ewigen Zeiten ein Zankapfel zwischen Griechenland und Großbritannien. Der konservative Abgeordnete Tim Loughton, der die Parlamentsgruppe zum British Museum leitet, reagierte gereizt auf die Vorwürfe aus Athen. Den Diebstahl des antiken Schmucks nannte er „eine ernste Angelegenheit“, gleichzeitig verharmloste er ihn, es sei „auch nicht gerade der Raub der Mona Lisa“.
Zahlreiche Museen befinden sich auf woken Abwegen
In eher konservativen Medien wird der Skandal aber doch als symptomatisch für den Zustand einer Museumslandschaft gesehen, die sich immer mehr in woken, zeitgeistigen Kampagnen verstrickt und dabei ihre Kernaufgaben vernachlässigt. Diesen schweren Vorwurf erhob die Chefkunstkritikerin der Times, Laura Freeman. Unter Fischer verbeugte sich das British Museum vor „dem Geist und der Seele von Black Lives Matter“, wie Fischer selbst schrieb. Die Büste des Sammlers Hans Sloane, auf dessen riesige Kollektion die Anfänge des Museums im 18. Jahrhundert zurückgehen, wurde von ihrem Sockel genommen und in eine Vitrine degradiert, wo man Sloane nun postum den „Zusammenhang mit dem ausbeuterischen Kontext des Britischen Empires“ vorhält.
In anderen Museen ist der woke Furor noch stärker zugange, moniert Freeman. Die Wellcome Collection in London hat ihren eigenen Gründer, den Pharmaunternehmer Henry Wellcome, als Rassisten, Sexisten und „Ableisten“ denunziert und sperrte seine Sammlung wie einen Giftschrank zu. Das Oxforder Pitt Rivers Museum entfernte die berühmten Schrumpfköpfe aus dem Amazonasgebiet aus der Vitrine, denn ihre Ausstellung könne „rassistisches und stereotypisches Denken“ über Naturvölker fortsetzen, wie es jetzt heißt. Die Royal Academy verbannte Werke der zeitgenössischen Textilkünstlerin Jess de Wahls und diffamierte diese als „transphob“, weil die Künstlerin dem Ketzerglauben anhängt, daß es ein biologisches Geschlecht gibt. In anderen Museen durchstöbern Kuratoren die Sammlung und betrachten sie „durch eine queere Lupe“, wie Freeman bemerkt. Die Tate Modern ist wachsam dabei, in jeder Ecke Rassismus zu wittern. Eifrig wird in vielen Sammlungen nach möglichen Restitutionsobjekten, etwa Benin-Bronzen, geforscht.
Sammler, Stifter und Schenker werden nach heutigen Moralvorstellungen verurteilt und an den Pranger gestellt. Die National Gallery hat sogar Dargestellte auf Gemälden problematisiert. Auch Sklavereibezüge durch Verwandte (wie bei Hans Sloane, dessen Frau eine Plantage in der Karibik besaß) oder von Vorfahren führen zur moralischen Verdammnis.
Times-Kunstkritikerin Freeman moniert, die Museen begäben sich immer mehr auf Abwege der modernen „Hashtag-Kampagnen“. Dabei vergäßen sie ihre zentrale Aufgabe, die Sammlungen zu beschützen und zu bewahren. Im schlechtesten Fall ende es so wie im British Museum. „Sie hatten einen Job – und sie haben versagt“, so lautete das Verdikt des Times-Leitartikels.