© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/23 / 15. September 2023

„Es ist ein Kulturkampf“
Interview: Während der Verfassungsschutz die AfD noch als „Verdachtsfall“ führt, gilt die Junge Alternative dem Amt bereits als „gesichert rechtsextrem“. Unter ihrem Vorsitzenden Hannes Gnauck setzt sich die parteinahe Jugendorganisation dagegen zur Wehr
Moritz Schwarz

Herr Gnauck, warum wollen Sie die freiheitlich-demokratische Grundordnung stürzen?

Hannes Gnauck: Das will ich nicht. Ich war sieben Jahre bei der Bundeswehr. Ich habe unserer Verfassung und diesem Staat gedient und war bereit, für Deutschland mein Leben zu geben – und wäre dies heute immer noch.

Um so mehr drängt sich die Frage auf, warum Sie sie dann jetzt stürzen wollen?

Gnauck: Ganz im Vertrauen ...  

Bin ganz Ohr.

Gnauck: ... das haben sich die BRD-Eliten nur ausgedacht. 

Ich höre Alufolie knistern ... 

Gnauck: Im Ernst, es handelt sich um ein durchsichtiges Manöver, um die Junge Alternative und die AfD zu diskreditieren. 

Und gelingt das? 

Gnauck: Im Fall der JA jedenfalls nicht. 

Inwiefern? 

Gnauck: Zwar haben wir mit der Beobachtung durch den Verfassungsschutz ab 2019 auch Mitglieder verloren, unterm Strich aber dazugewonnen – von damals etwa 1.700 auf jetzt um die 2.100. 

Gemäßigte raus, Radikale rein?

Gnauck: Ich sehe, Sie haben sich mit der Argumentation des Verfassungsschutzes vertraut gemacht – aber auch diese Behauptung stimmt nicht.

Nicht jedes Mitglied ist gleich wertvoll, weil manche mehr können, mehr leisten, mehr Reputation bringen. Was numerisch gut klingt – mehr rein als raus – kann unter Umständen eine Milchmädchenrechnung sein. 

Gnauck: Ja, aber auch das kann ich nicht feststellen. Im Gegenteil, es kommen durch den Mitgliederzuwachs nicht nur mehr junge Leute zur JA, die in der Lage sind, künftig auch ein Mandat für die AfD zu übernehmen, es kommen tatsächlich auch mehr aus gesellschaftlich etablierten Kreisen als früher.

Warum das? 

Gnauck: Weil immer mehr spüren, daß sie vom Staat hinters Licht geführt werden und ihre Lebensnormalität von der politischen Elite zerstört wird.

Also kommen sie wegen der Krise und nicht, wie Sie eben sagten, wegen des Verfassungsschutzes?

Gnauck: Doch, beides trifft zu, denn wir haben den Effekt schon infolge des Beginns der Beobachtung bemerkt. Natürlich haben uns deshalb auch Mitglieder verlassen und einzelne AfD-Mandatsträger ihre Fördermitgliedschaft eingestellt – was mich übrigens sehr enttäuscht hat. Zugleich kamen aber mehr, als gegangen sind, und das gilt auch für Fördermitgliedschaften von AfD-Abgeordneten. 

Das klingt ja geradezu so, als ob der Verfassungsschutz Ihnen einen Gefallen getan hätte. 

Gnauck: Natürlich war das nicht beabsichtigt, aber er hat einen Solidarisierungseffekt ausgelöst.

Wenn die Beobachtung angeblich nur Vorteile hat, warum klagen Sie dann dagegen?

Gnauck: Genaugenommen klagen nicht wir, sondern die AfD für uns, weil diese mehr Mittel hat. Auch wenn die Beobachtung die JA unterm Strich eher fördert – auf persönlicher Ebene sieht es anders aus! Ich bin in der JA ja nicht der einzige Soldat, zudem haben wir Polizisten, Beamte und andere bei uns, denen wegen der Beobachtung dienstrechtliche Konsequenzen drohen. Ihnen gegenüber haben wir eine Fürsorgepflicht, und deshalb wehren wir uns. 

Wenn Sie unseren Staat gar nicht zu stürzen beabsichtigen, was wollen Sie dann?  

Gnauck: Dazu beitragen, und zwar innerhalb des demokratischen Prozesses, dieses Land grundlegend zu verändern – indem wir als AfD den Dissens der normalen Bürger in die Parlamente und als JA den Protest der heimatverbundenen Jugend auf die Straße bringen, und das selbstverständlich gewaltfrei und im Rahmen der Gesetze. 

Das Bundesamt für Verfassungsschutz wirft Ihnen vor, „zentrales politisches Ziel“ der JA sei der „Erhalt des deutschen Volkes in seinem ethnischen Bestand ... ethnisch ‘Fremde’ sollten möglichst ausgeschlossen bleiben“.

Gnauck: Allein dieser Vorwurf macht den politischen Mißbrauch des Verfassungsschutzes deutlich, denn den Erhalt des deutschen Volkes, also des Souveräns, für verfassungsfeindlich zu erklären, ist offenkundig absurd. Dazu kommt, daß nach Ansicht der BRD-Eliten der Schutz von Volksgruppen sogar als Ausweis besonders demokratischer Gesinnung gilt! Wie aber kann es demokratisch sein, sich für den Erhalt des kurdischen, palästinensischen oder jüdischen Volkes in Israel einzusetzen, aber antidemokratisch, wenn man dies für das deutsche Volk tut – zumal im Nationalstaat der Deutschen?

Der Verfassungsschutz stellt darauf ab, daß die JA, wie auch die AfD, Volk nicht im Sinne des Grundgesetzes definiere – also Deutscher ist jeder, der die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt –, sondern ethnisch. 

Gnauck: Wir stellen nicht in Frage, daß jeder, der die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, Deutscher im Sinne des Grundgesetzes ist – in diesem Zusammenhang spricht man vom Staatsvolk. Es gibt aber natürlich auch eine deutsche Volksgruppe – und ein Beweis dafür ist, daß es auch in Belgien, Dänemark, Polen und anderen Ländern deutsche Minderheiten gibt, obwohl sie keinen deutschen Paß haben und einem anderen Staatsvolk angehören. Und das ist auch der Bundesregierung bewußt, welche diese deutschen Minoritäten – als ethnische Minderheiten – finanziell fördert.

Der Punkt geht an Sie, denn auch viele Vertriebene, Flüchtlinge und Aussiedler, etwa Bundespräsident Horst Köhler oder Helene Fischer, wurden aufgrund des ethnischen Volksbegriffs deutsche Staatsbürger. Doch reicht der Vorwurf des Verfassungsschutzes weiter: Die JA verwende den ethnischen Volksbegriff nicht neben, sondern contra den des Grundgesetzes, da sie nichtethnische Deutsche von der Staatsbürgerschaft ausschließen wolle.  

Gnauck: Wenn wir das wollten, müßte sich das doch irgendwo in unserem Parteiprogramm niederschlagen, das tut es aber nicht. Wir wollen, daß Einwanderung limitiert und an konkrete Bedingungen der Integration geknüpft wird. Volk und Nation sind schließlich Dinge, die nicht im luftleeren Raum rechtlicher Begriffe existieren. Kulturelle Kompatibilität ist ein Faktor, und ein Mensch erlebt ja auch keine Metamorphose zum Deutschen, nur weil er in Windeseile einen deutschen Paß in die Hand gedrückt bekommt. Diesen Faktor blenden Verfassungsschutz und Regierung natürlich absichtlich aus, da sie eine Politik der Masseneinwanderung und Masseneinbürgerung verfolgen.

Das heißt, Sie lehnen den Vorwurf, einen ethnischen Volksbegriff zu haben, gar nicht ab, sondern nur, daß der Verfassungsschutz die JA deshalb „völkisch“ nennt? 

Gnauck: Ja, natürlich verwenden wir auch einen ethnischen Volksbegriff – wäre das illegal, müßte man wohl die Studienfächer Anthropologie und Ethnologie verbieten. Zudem dürften Sorben und Dänen, obwohl sie deutsche Staatsbürger sind, keine „Nationalen Minderheiten in Deutschland“ sein, als die sie der Bundestag offiziell anerkannt hat. Selbst das Grundgesetz kennt den ethnischen Volksbegriff, denn es unterscheidet in Artikel 116 zwischen „deutscher Staatsangehörigkeit“ und „deutscher Volkszugehörigkeit“. Nein, um was es uns geht, ist nicht das, was der Verfassungsschutz uns unterstellt, sondern die bei fast allem, was von links kommt, erkennbare Absicht, tradierte und organisch gewachsene ...

Oha, „organisch“! 

Gnauck: ... Strukturen aufzulösen und die Menschen in einem EU-Superstaat oder Weltstaat aufgehen zu lassen. Das ist, wogegen wir uns richten, denn wir wollen die Selbständigkeit der Völker und Nationen erhalten. Womit wir es zu tun haben, ist keine Verfassungsfrage. Auf diese Ebene wollen es die Eliten nur schieben, um mit dem Inlandsgeheimdienst gegen uns vorgehen zu können. Es ist vielmehr ein Kulturkampf – darum, ob wir die Welt vereinheitlichen oder aber ihre Vielfalt erhalten wollen. 

„Organisch“ gilt als „Dogwhistle“, als Tarnwort für „völkisch“. Völker abschaffen und „Weltstaat“ – Verschwörungstheorie! Zudem gelten Verschwörungstheorien per se als antisemitisch. Wir können das Interview also beenden, denn nach Ansatz des Verfassungsschutzes haben Sie eben ein Geständnis als Verfassungsfeind abgelegt. Wollen wir einfach früher Schluß machen? 

Gnauck: Haben Sie denn genug für Ihre Seite? 

Machen wir eben das Bild etwas größer ... 

Gnauck: Haben Sie keine Fragen mehr? Ich meine, jetzt sind Sie extra in den Bundestag gekommen ...

Statt „die Regierung“ sagen Sie „der Staat“ oder abfällig „die BRD“, und im Podcast „Kanal Schnellroda“ sprachen Sie gar von „Straßenkampf“ und bekundeten: „Ich lehne mich gegen diesen Staat auf“ sowie „Deutschland ist mehr als die BRD“. Warum aber sollte „die BRD“ Sie nicht völlig zu Recht als Extremisten behandeln, wenn Sie diese nicht achten und bekämpfen?

Gnauck: Ich bekämpfe den Staat nicht. Und natürlich ist Deutschland mehr als die BRD, das habe ich ja vorhin schon erklärt. „Straßenkampf“, ja, das klingt martialisch, das ist mein Stil als Soldat. Gemeint waren jedoch nicht Straßenschlachten im Weimarer Sinne, sondern Straßenwahlkampf, Kundgebungen, Demonstrationen etc. Und wenn Sie sich die Übergriffe gegen unsere Leute anschauen, dann hat das schon was von Kampfgefahr.

Opposition gegen die Regierung ist Bürgerrecht, der Staat aber ist nicht „die“ Regierung, sondern die verfassungsmäßige Ordnung. Und wenn Sie sich gegen diese „auflehnen“, dann ist das sogar die Musterdefinition von Extremismus. Es macht übrigens nachdenklich, daß man im Verfassungsschutzbericht über die JA nur Unfug, das einzig Substantielle aber nicht findet. 

Gnauck: Wissen Sie, das sind semantische Spielchen. Das Geflecht aus Regierung und CDU, Inlandsgeheimdienst, staatlich finanzierten NGOs und Medien – der gesamte institutionelle Apparat unter Kontrolle dieser linksliberalen Eliten ist es, der die AfD in diesem Land, so wie Alice Weidel es mal sagte, zu politisch Verfolgten macht. Dagegen lehnen wir uns zu Recht auf. Die bewußten Fehlinterpretationen sind Standard, egal, wie man sich äußert.

Wenn Sie nicht korrekt ausdrücken, wofür Sie stehen, wie soll man dann unterscheiden, ob Sie tatsächlich ein Extremist sind oder nur als solcher denunziert werden? 

Gnauck: Wenn’s nach den Massenmedien geht, ist sowieso jede AfD-Position der versteckte Plan zur Diktatur. Mich sprach beim Straßenwahlkampf in meinem Wahlkreis einmal die Grünen-Kandidatin an und fragte, ob sie sich noch frei bewegen könne, sollte die AfD regieren. Ich fand die Frage abstrus, denn, und das erklärte ich ihr, genau dafür treten wir doch an! Dafür, daß man wieder ohne Angst seine Meinung sagen, daß man diese Regierung und ihre Geflechte, aber auch die einer AfD-Regierung, kritisieren und anhand ihres Handelns delegitimieren kann – denn das gehört zu jeder Demokratie dazu. 

Wenn Sie mit „delegitimieren“ nicht das In-Zweifel-Ziehen ihrer Legitimität meinen, sondern „kritisieren“, dann können Sie das soviel Sie wollen, aber nicht ... 

Gnauck: ... die existierende staatliche Ordnung, das ist schon klar.

Genau diese Vermischung ist doch die Methode Haldenwang: Regierung und Staat gleichsetzen, um Kritik an dieser als „Delegitimierung des Staates“ zu verkaufen. 

Gnauck: Das ergibt sich nun mal daraus, daß diese umfassenden Personennetzwerke sich den Staat zur Beute machen und sich und ihre ideologischen Projektionen mit Staat und Verfassung gleichsetzen. 

Nach vier Jahren als „Verdachtsfall“ hat der Verfassungsschutz die JA nun als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft. Wie geht Ihre Klage dagegen aus? 

Gnauck: Wegen des laufenden Verfahrens muß der Verfassungsschutz uns zwar bis zur Entscheidung zum Verdachtsfall zurückstufen, doch gehe ich davon aus, daß wir danach wieder hochgestuft werden. 

Warum, haben Sie kein Vertrauen in das Gericht? 

Gnauck: Verfassungsschutzpräsident Haldenwang hat ein CDU-Parteibuch. Daß er sein Amt mißbraucht, um politische Konkurrenz zu bekämpfen, ist deshalb zwar nicht zwangsläufig, in seinem Fall aber deutlich zu erkennen. Man will auch gar keine „verfassungstreue“ AfD – sie wollen gar keine AfD! 

Diese Zeitung hat, wenn auch erst nach zehn Jahren, 2005 in ähnlicher Sache vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Landesverfassungsschutz NRW gesiegt.

Gnauck: Da ging es allerdings auch nicht um politische Macht. Wie Sie wissen, wurde ich 2021 vom Militärischen Abschirmdienst der Bundeswehr als „erkannter Extremist“ eingestuft und habe ein Uniformtrageverbot auferlegt bekommen, wobei mein Dienstverhältnis seit meinem Einzug in den Bundestag sowieso ruht. Damals konnte ich aber am eigenen Leibe erleben, wie das funktioniert: Der MAD war gar nicht daran interessiert, herauszufinden wie ich wirklich denke, sondern offensichtlich nur daran, zu liefern, was von oben erwartet wurde. Ich glaube daher nicht, daß dieser Kampf fair verläuft und juristisch zu gewinnen ist, das ist er nur politisch. 

Was bedeutet?

Gnauck: Wenn die AfD einen Ministerpräsidenten stellt, werden sich die Dinge ändern.

Wann ist „wenn“?

Gnauck: Vielleicht schon 2024.

Das glauben Sie doch nicht im Ernst?

Gnauck: Ich glaube, wir werden bei den Landtagswahlen nächstes Jahr in Thüringen, Sachsen und Brandenburg stärkste Kraft – und dann muß sich die CDU entscheiden.

In Thüringen toleriert diese seit 2019 sogar lieber eine Minderheitsregierung der umbenannten SED, als sich auch nur mit AfD-Stimmen wählen zu lassen.

Gnauck: Wenn Wahlergebnisse immer wieder ignoriert werden, nur um die AfD fernzuhalten, dann bedeutet das die Aushöhlung der Demokratie. Das aber werden sich die Bürger auf die Dauer nicht bieten lassen, und immer mehr werden dagegen auf die Straße gehen. Und diesem demokratischen Druck, von dem die AfD ein Teil ist, werden sich auch die BRD-Eliten nicht dauerhaft widersetzen können. 






Hannes Gnauck, ist seit 2021 Bundestagsabgeordneter (Uckermark-Barnim) und seit 2022 Vorsitzender der Jungen Alternative. Nach einer Ausbildung zum Sport- und Fitneßkaufmann diente der Oberfeldwebel der Panzergrenadiertruppe von 2014 bis 2021 bei der Bundeswehr, 2019 in Afghanistan. Geboren wurde er 1991 im brandenburgischen Prenzlau.