Im Gestirn konservativer Denker – zwischen Oswald Spengler und Rolf Peter Sieferle, Helmut Schelsky und Robert Spaemann, Roger Scruton und Thomas Sowell – blinkt dieser Tage der Name des Soziologen Helmut Schoeck (1922–1993). Während deutsche Neiddebatten losbrechen, eine Regierung regulierungswütig die Wirtschaft abwürgt und rotgrüne Linke mit Macht zum Mangelstaat zurückwollen, gewinnt Schoecks Hauptwerk „Der Neid“ von 1966 eine packende Aktualität. Schoeck konnte zeigen, wie sehr eine gesellschaftliche Dynamik auf der Balance zwischen Neidern und Beneideten beruht, ja wie der Neid selbst, in einer Zwiegestalt als abschneiderischer „böser“ Neid und als anspornender „guter“ Neid dialektisch ins menschliche Miteinander tritt. Je nach ihrer Verfaßtheit neigen Gesellschaften entweder zu Gleichmacherei und Umverteilung oder zu Verschiedenheit, Ehrgeiz und Freiheitlichkeit.
Der Philologe Karsten Dahlmanns, Professor am Institut für Literaturwissenschaft der Schlesischen Universität Kattowitz, legt nun eine neue Schoeck-Monographie vor: „Vom besonderen Unglück tüchtigerer Minderheiten“. Der Titel läßt aufhorchen – sollte es kein Glück des Tüchtigen geben? Als Tüchtige gelten landläufig die überdurchschnittlich Begüterten, sei es durch Begabung und Bildung, durch finanzielles oder kulturelles Kapital, durch Geschäftssinn und ererbte Mentalität, all jene, die in den Augen der Umwelt als Begünstigte erscheinen. So können sich gesellschaftliche Gräben eröffnen, wenn eine erfolgreiche Minderheit sich religiös oder ethnisch von der Mehrheitsgesellschaft unterscheidet oder in einer Kombination mehrerer Faktoren auch im Erscheinungsbild einen eigenen Sozialstatus einzunehmen scheint.
Wie versucht also eine kleinere Gruppe dem sozialen Druck einer Mehrheit standzuhalten, ihn auszutarieren oder sich der Situation zu entziehen? Wie der Autor zeigt, bleiben den Beneideten oft nur letzte Auswege – Neidvermeidung, Neidbeschwichtigung oder Ausweichen. Etwa indem Leistungsträger nicht ihr volles Können entfalten, um nicht von der Kollegenschaft scheelsüchtig beäugt oder sabotiert zu werden. Ebenso durch die Abwanderung von Fachkräften (Braindrain) oder Investitionsverlagerungen in andere Länder mit freieren Entfaltungsmöglichkeiten. Übergriffiger Neid führt eine Volkswirtschaft in die Selbstschädigung.
Dort, wo der Neid festgeschrieben in Parteiprogrammen politisch handlungsleitend wird, gerät eine demokratische Gesellschaft in ernste Schwierigkeiten. So kommentiert Dahlmanns: „In demokratisch verfaßten Staaten vermag sich der Neider des Gesetzgebungsprozesses zu bedienen, um seine Vorstellungen von ‘sozialer Gerechtigkeit’ oder andere Ausprägungen des Egalitarismus durchzusetzen.“ Ein politisches System kann Normen aufstellen, die den Sozialneid bestätigen und damit Handlungshemmungen bewirken. Neben eine „Furcht vor dem Beneidetwerden“ treten Scham- und Schuldkomplexe, mittels derer sich die totale Sozialkontrolle in der Selbstkontrolle der Bürger verinnerlicht. Tüchtigere werden genötigt, sich für etwas zu entschuldigen, was ihnen als „Privilegien“ negativ ausgelegt werde. Gerade die Kinder der Bildungselite scheinen anfällig für diese Art politisch verlangter Selbstkritik, und sie erweisen dem Mehrheitsneid nicht selten vorauseilenden Gehorsam in Form eines linken, zivilgesellschaftlichen Engagements.
Neid und Ressentiment als Motiv linker Gesellschaftsveränderer
Bei Erscheinen seines Hauptwerks hatte Schoeck nach etwa 15 Jahren Lehrtätigkeit an Universitäten in den USA gerade eine Professur für Soziologie an der Universität Mainz übernommen. Somit konnte er seine Erkenntnisse aus der US-Bürgerrechtsbewegung am Objekt der westdeutschen Studentenbewegung fortsetzen. Sehr klar erkannte er die Folgen der Frankfurter Schule, in deren spätmarxistischem Geist sich die Neue Linke zum Kampf um gesellschaftliche Hegemonie aufmachte. Egalitarismus und Nivellierung sollten in Institutionen, Lebenswelten und Systeme einziehen. Ausgerechnet im angelsächsischen Raum hatte der Katholik Schoeck das Umschlagen der protestantischen Leistungsethik in ihr Gegenteil beobachtet. Entgegen der christlichen Auffassung von der Eigenverantwortung des Menschen war ein Zeitgeist entstanden, der den Glücklicheren dafür verantwortlich machte, daß der weniger Glückliche zur Sünde des Neides getrieben würde. Es war gewissermaßen das Phänomen einer Neidlastumkehr – auch deutsche Gläubige wissen, welche Blüten dies in den Schreibstuben der Sozialstaatskirchen getrieben hat.
Eine Reihe von Artikeln und Aufsätzen, die Schoeck 1973 unter dem Titel „Die Lust am schlechten Gewissen“ veröffentlichte, liest sich, als wären sie erst vor kurzem über den aktuellen Linksaktivismus geschrieben worden – von Black Lives Matter, LGBTQ-Szenen, postkolonialen Initiativen bis hin zur „Letzten Generation“ oder Sea-Watch. So heißt es im Aufsatz „Das unterwanderte Gemüt“: „Es ist ein Irrtum, zu glauben, es könne und müsse für alle Teilprobleme von Teilen einer Bevölkerung jeweils Patentlösungen auf der Ebene der ganzen Gesellschaft geben. Dieser Irrtum bahnt einem der gefährlichsten Motive der linken Gesellschaftsveränderer einen Weg, nämlich dem Neid und Ressentiment.“
Es ist ein erkenntnisreiches Forschungsfeld zwischen Anthropologie, Soziologie, Ethnologie, Religion, Psychologie und Politik, in dem sich Schoeck in seinen Schriften bewegte, und das Karsten Dahlmanns geistesverwandt und in elegantem Stil weiterdenkt. Lebensklug und verbunden mit erhellenden Beispielen aus der Kunst und Kulturgeschichte, wie sie der kundige Leser etwa bei Roger Scruton zu schätzen gelernt hat. En passant stellt Dahlmanns auch seine wissenschaftliche Fundierung klar – vom Rationalismus eines Karl Popper bis zur liberalen Wirtschaftslehre in der Tradition von Friedrich August von Hayek bis Rainer Zitelmann. Und er benennt jenen Idealfall der Neidregulierung, den er als „Schoecks Gesetz“ bezeichnet: „Je mehr es in einer Gesellschaft den Privatleuten wie den Trägern der politischen Macht möglich ist, so zu handeln, als ob es keinen Neid gäbe, desto größer wird das wirtschaftliche Wachstum und die Zahl der Neuerungen im allgemeinen sein.“
Karsten Dahlmanns: Vom besonderen Unglück tüchtigerer Minderheiten: Eine Reaktualisierung des Werks von Helmut Schoeck. Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2023, gebunden, 222 Seiten, 34,90 Euro