© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/23 / 15. September 2023

Allzu übergriffig
Corona-Maßnahmenstaat im Visier der Kritik von Linksaußen
Mathias Pellack

Es überrascht wenig, daß ausgerechnet in der Corona-Krise „die repressive Menschenverwaltung eine neue Qualitätsstufe erklommen hat“. Man denke nur an die 3G- und 2G-Ausgrenzungsregeln gegen Menschen, die keinen Beleg dafür boten, daß sie ansteckend seien. Dies sollte ein Klima der Unterwerfung schaffen und Kontrollinstrumente vorbereiten. Diese gelten auch für den Fall anderer schwerer Krisen, schreiben die elf Autoren in „Schwerer Verlauf. Corona als Krisensymptom“. Die Krankheit selbst steht aber nicht im Fokus der zehn Texte. Beleuchtet wird die Krise aus einer dezidiert marxistischen Sicht, als neues Zeichen der prophezeiten und von Linken immer herbeigesehnten Endzeit des Kapitalismus.

Das ist zweifelsohne eine interessante und ungewohnte Sichtweise auf die dreijährige Ausnahmesituation, die die Gesundheit und Bildung der Jugend auf Spiel gesetzt hat, um das Leben der Ältesten der Gesellschaft zu verlängern. Der Staat wird während Corona zum Würgeengel des sterbenden Kapitalismus, schreibt Jörg Ulrich in der Einleitung. Namentlich die Bundesregierung gibt tatsächlich viel der Wirtschaftskraft Deutschlands her, um einer Krise zu begegnen, von der spätestens im Herbst 2020 klar war, daß sie keine so schwerwiegende Gesundheitskrise ist wie anfangs angenommen.

Überraschend ist eher die Richtung, aus der die Kritik am Maßnahmenstaat kommt. Die Autoren sind teilweise sogar radikale Linke, trotzdem scheuen sie sich nicht, hart mit dem deutschen Staat und seinem Management der Krise ins Gericht zu gehen. Die Autoren sind Kulturwissenschaftler, Psychologen, Philosophen, Journalisten und Künstler, die allesamt die Eintönigkeit und Kritiklosigkeit der Medien sowie die staatliche Überwachung hinterfragen.

Wer gegen Impfungen war, ist ein Rechter? Wer auf die Straße ging, erst recht. Nein. So einfach machen es sich die Autoren nicht. Eher noch wird das Bürgertum kritisiert, die „Laptop-Linke“, und all jene Staatsdiener, die ihm auch ohne Bezahlung die Fahne gehalten haben. „Kein Gott, kein Staat, kein Zertifikat“ war eben nicht der Slogan der vermummten jungen Männer und Frauen (meist „biodeutscher“ Herkunft) im Schwarzen Block, sondern „Wir impfen euch alle“ riefen die Antifas und unterstützten so die Regierungsforderung und den Traum aller Pharmalobbyisten, alle Menschen in Deutschland in ihrer Immun-abwehr gleichzuschalten. Ein irres Unterfangen, das angesichts der alltäglichen linken Verteidigung der ebenfalls biologischen „geschlechtlichen Vielfalt“ noch weniger durchdacht anmutet.

Das Buch bietet viele interessante Aspekte und wird marxistischen Forschern ein Schmaus sein. Die Theorielastigkeit und der methodische Apparat marxistischer Sprache werden aber viele Leser abschrecken.

Andreas Urban (Hrsg.): Schwerer Verlauf. Coro­na als Krisensymptom. Promedia Verlag, Wien 2023, gebunden, 272 Seiten, 24 Euro