© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/23 / 22. September 2023

Sorge um die Holzente auf Rädern
Unternehmen: Immer mehr Insolvenzen, aber nicht an allen Firmenpleiten ist nur die Ampel-Koalition schuld
Paul Leonhard

Die Pläne waren mehr als ehrgeizig. 2025 wollte die seit 1938 im oberfänkischen Bad Rodach ansässige Familienfirma Haba ihren Jahresumsatz mit Holzspielzeug, Kindermöbeln und Kleidung auf 500 Millionen Euro verdoppeln. Allerdings wäre wohl auch der Jahresfehlbetrag analog gestiegen. Und der wird für 2023 auf 70 Millionen Euro geschätzt. Angesichts dessen zog Geschäftsführer Mario Wilhelm die Notbremse und beantragte Insolvenz in Eigenverwaltung. Zumal Haba bereits im Corona-Jahr 2021 einen Verlust von 4,4 Millionen Euro gemacht hatte.

Haba liegt damit leider im Trend. Allein für August zählte das Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) in Deutschland 1.007 Firmenpleiten, 40 Prozent mehr als im Vorjahresvergleich und acht Prozent mehr gegenüber dem August-Duchschnitt der Vor-Corona-Jahre 2016 bis 2019. Die Zahl der beantragten Großinsolvenzen (Betriebe ab 250 Mitarbeiter) hat sich mit 37 Anträgen im zweiten Quartal fast verdoppelt. Betroffen sind nach Angaben von Creditreform 125.000 Beschäftigte, im Vorjahreszeitraum waren es 68.000.

Die „Gläserne Fabrik“ bleibt auf der VW-Tranformationsstrecke

Dabei bildet das Statistische Bundesamt nur Geschäftsaufgaben ab, die im Zuge eines Insolvenzverfahrens ablaufen, nicht jedoch solche aus anderen Gründen beziehungsweise vor Eintritt akuter Zahlungsschwierigkeiten. Danach haben die Amtsgerichte im ersten Halbjahr 8.571 beantragte Unternehmensinsolvenzen gemeldet, 20,5 Prozent mehr als im ersten Halbjahr 2022. Die Gläubiger-Forderungen stiegen von 8,2 auf rund 13,9 Milliarden Euro. „Für viele Betriebe werden die großzügig verteilten Staatsgelder der Vergangenheit jetzt zum Bumerang“, findet Patrik-Ludwig Hantzsch von Creditreform. Die Rückzahlungen der Hilfen und teils verschleppte Anpassungen des Geschäftsmodells würden bei dauerhaft steigenden Zinsen in die finanzielle Sackgasse führen.

Erwischt hat es bislang vor allem Firmen im Bereich Verkehr, Lagerei und Dienstleistungen, darunter Deutschlands einzig verbliebenen Hersteller von Güterwaggons in Niesky. Die geringste Insolvenzhäufigkeit gab es in der Energieversorgung. Bei VW Sachsen hingegen schlägt beispielsweise die Krise der subventionierten E-Mobilität bei gleichzeitiger Kaufzurückhaltung voll durch. Die Wolfsburger Manager waren davon ausgegangen, daß die Nachfrage nach teuren E-Autos wie dem ID.3 und ID.4, die 2022 schon Anfang des Jahres ausverkauft waren, anhält. Die ursprünglich bis 2025 verspochenen Fördermaßnahmen werden reduziert – doch ohne Steuerzahlergeld verkaufen sich die nur für Kurz- und Mitelstrecken geeigneten schweren Batterie-Kfz schwerer. Und das trotz stark steigender Benzin- und Dieselpreise.

Es sei falsch gewesen, daß VW anders als beispielsweise BMW bei den Antrieben ausschließlich auf batterieelektrische Fahrzeuge gesetzt habe, kritisiert beispielsweise der sächsische FDP-Bundestagsabgeordnete Torsten Herbst das Management. VW werde bis 2026 oder 2027 eine Durststrecke bewältigen müssen, prophezeit Automarktexperte Ferdinand Dudenhöffer. Für das Werk im westsächsischen Zwickau bedeutet das den Abbau Hunderter Stellen. Die ID.3-Fertigung in der „Gläsernen Fabrik“ in Dresden soll ganz eingestellt werden.

Die dramatischen Pleitezahlen können aber auch anders interpretiert werden. So gab es bezogen auf 10.000 Unternehmen im ersten Halbjahr 2023 rund 25 Pleiten, und es gehöre zu jeder dynamischen Wirtschaft eben dazu, daß schwächere Unternehmen ausscheiden. In der Gastronomie könnte es jeden zehnten Betrieb treffen. Mehr als 14.000 Gaststätten, Imbisse und Cafés seien insolvenzgefährdet, schätzt der Informationsdienst Crif. Gründe seien Inflation, Kaufzurückhaltung, hohe Energiepreise und steigende Finanzierungskosten, so Jonas Eckhardt von der Unternehmensberatung Falkensteg. IWH-Ökonomen halten das Niveau der Insolvenzen noch immer für „eher gering“. Deren Zahl weiter unter dem Niveau des Jahres 2015. Auch lassen die Frühindikatoren des IWH für die kommenden Monate wieder einen leichten Rückgang der Insolvenzzahlen erwarten, so Steffen Müller, der am IWH die Insolvenzforschung leitet.

Andererseits sinkt die Zahl der Unternehmen, die aus der Insolvenz heraus einen Neustart schaffen. Es werde für diese immer schwieriger, eine Lösung zu finden, sagt Eckhardt. Die Zeiten scheinen vorbei, daß die Rettungsquoten bei 65 Prozent lagen. Von 227 Großunternehmen, die 2022 die Insolvenz anmeldeten, seien bis Ende des ersten Halbjahres 2023 knapp 43 Prozent gerettet worden, weil sie entweder an einen Investor verkauft werden konnten oder die Gläubiger einem Insolvenzplan zustimmten. Im Vorjahreszeitraum hatte diese Quote noch bei 57 Prozent gelegen.

Die Haba-Rettungsaktion – erstes Produkt war die Holzente auf Rädern – leitet Martin Mucha, Partner der Kanzlei Grub Brugger, und der zeigt sich optimistisch: „Die Chancen stehen gut, daß wir die Haba Sales GmbH & Co. KG und die HABA Group B.V. & Co. KG wieder auf solide Füße stellen.“ Dazu sollen kostspielige Altverträge gekündigt, 650 der bisher 2.000 Mitarbeiter gekündigt und die verbleibenden zu Zugeständnissen bewegt werden. Den Mittelständler haben vor allem Managementfehler in die Schieflage geführt, die Branche „kriselt überhaupt nicht“, sagt Ulrich Brobeil, Geschäftsführer des Deutschen Verbandes der Spielwarenindustrie (DVSI).

Bei Haba sei das Problem der 1987 gegründete Versandhandel Jako-o, der Kinderkleidung und Spiele vertreibt. Auslöser für den Insolvenzantrag war die Freischaltung eines nicht funktionierenden IT-Systems, das die drei Firmenbereiche vereinen sollte, aber für ein „digitales Nirwana“ (Wirtschaftswoche) im Ein- und Verkauf sorgte. Geplant ist „ein kompletter Neustart, ganz ähnlich wie seinerzeit bei Karstadt“.

 habafamilygroup.com

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