© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/23 / 20. Oktober 2023

Die Wunden lecken
Polen hat gewählt: Die nationalkonservative PiS bleibt stärkste Kraft / Dennoch ist eine Regierungskoalition aus Bürgerlichen und Linken wahrscheinlich / Die rechte Opposition bleibt hinter den Erwartungen zurück
Kuba Kruszakin

Pünktlich um 21 Uhr bricht Euphorie aus bei der Wahlparty der Bürgerlichen Koalition (KO). Obwohl die Zentristen mit rund 31 Prozent zum neunten Mal hinter der bisher regierenden nationalkonservativen PiS-Partei landen, wird schnell klar: Nach acht Jahren muß diese wohl in die Opposition. „Ich sage euch, daß ich noch nie so glücklich über einen zweiten Platz war“, äußert sich der Spitzenkandidat Donald Tusk, der nach nahezu einem Jahrzehnt an die Macht zurückkehren dürfte.

Grund dafür ist vor allem das starke Abschneiden des Bündnisses „Dritter Weg“ unter Führung der Bauernpartei PSL, die schon einmal mit Tusk koaliert hat, sowie der katholisch-liberalen Vereinigung „Polen 2050“. Mit 13 Prozent werden sie nun zum Königsmacher, ebenso wie die etwas abgeschlagene Neue Linke, die bei acht Prozent liegt. Ihr Vorsitzender Włodzimierz Czarzasty kann sich trotz der Verluste freuen: „Nach 18 Jahren kehrt die Linke zum Mitregieren zurück. Das kann uns niemand nehmen!“

Wunden lecken muß hingegen die bislang regierende PiS-Partei. Ihr Anführer Jarosław Kaczyński freut sich zwar über 36 Prozent und somit den ersten Platz, stimmt jedoch seine Basis langsam auf die Oppositionsrolle ein: „Die Frage, die sich uns stellt, ist, ob dieser Erfolg in eine weitere Amtszeit umgemünzt werden kann, und das wissen wir noch nicht.“ Faktisch gilt eine Regierungsbeteiligung der PiS als ausgeschlossen. „Zweifellos werden sie eine Komödie spielen“, kommentiert Antoni Dudek von der Kardinal-Stefan-Wyszyński-Universität Warschau einen möglichen Regierungsauftrag der PiS in einem Interview mit dem konservativen Nachrichtenportal Salon24.

Eine Regierung aus KO, PSL, Polen 2050 und Neuer Linken werde wohl erst beim zweiten Versuch der Kabinettbildung von einer parlamentarischen Mehrheit ernannt. Die neuen Herren werden große Probleme mit dem Präsidenten Andrzej Duda haben, warnt der Politikwissenschaftler. Wohlgemerkt: Duda stammt aus den Reihen der PiS und verfügt über ein umfassendes Vetorecht. „Wenn die PiS in die Opposition geht, wird sie mit der größten Fraktion, den größten finanziellen Ressourcen und dem Präsidenten die stärkste Opposition in der Geschichte der Dritten Republik sein“, prognostiziert Jakub Dudek, Student und Blogger für den christdemokratischen Thinktank „Klub Jagielloński“.

Schlechte Nachrichten für deutsche Minderheit

Schon am Montagmorgen erteilte der Pressesprecher der PSL, Miłosz Motyka, jeglicher Teilnahme der PiS an seinem Kabinett eine klare Absage und kündigte an, die bisherigen Machthaber zur Rechenschaft zu ziehen.

Die rechte Konföderation wird hingegen nicht ansatzweise in die Nähe der Macht kommen. Mit etwas über sechs Prozent gesteht Spitzenkandidat Slawomir Mentzen seine Niederlage ein. Diese sei jedoch nicht als Versagen der politischen Idee per se zu verstehen, sagte er den Versammelten am Wahlabend.

Doch seine Parteikollegen wetzen bereits die Messer. „Vor allem wenn man Grzegorz Braun und mich versteckt, sind das leider die Ergebnisse“, kritisierte der als radikal geltende Vertreter des libertären Flügels, Janusz Korwin-Mikke, die Strategie des Spitzenteams.

Ganz anders lauten die Stimmen bei den externen Betrachtern. „Auf der Rechten gibt es nur Platz für eine etatistisch-nationalistische und katholische Partei“, schreibt der Redakteur des konservativen Portals Nowe Kształty, Jakub Nawrot, mit Hinblick auf die Ergebnisse auf dem Kurznachrichtendienst X (ehemals Twitter). Und der Chefredakteur der liberalkonservativen Rzeczpospolita, Bogusław Chrabota, merkt an, daß die Finanzierung und der Frischeeffekt schnell erschöpft waren. Zudem habe PiS der Konföderation Argumente mit „euroskeptischen“ und „antiukrainischen“ Schelten weggenommen.

Für die deutsche Minderheit in Oberschlesien ist der Montagabend der bitterste in ihrer Geschichte. Erstmals seit 32 Jahren wird sie keinen Vertreter ins Unterhaus entsenden können. Der Sieger des Abends hingegen ist der deutschfeindliche Hardliner Janusz Kowalski: Als Viertplatzierter unter den PiS-Listenkandidaten zieht und der Initiator der Kampagne gegen den Sprachunterricht für die deutsche Minderheit haarscharf in den Sejm ein.