© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/23 / 20. Oktober 2023

Mediennutzer schotten sich gegen schlechte Nachrichten ab
Kritisches Ignorieren
(dg)

Mitten im sich entfaltenden Medienzeitalter des 19. Jahrhunderts warf der notorische Querdenker Friedrich Nietzsche die ketzerische Frage auf, ob nicht Unwissen für ein gelingendes Leben hilfreicher sei als Wissen. Gewolltes Nichtwissen? Was kurios klingt, wird seit einiger Zeit vom Kognitionswissenschaftler Ralph Hertwig und seinem Team am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin erforscht. Für die Orientierung im Datenrausch einer immer komplexeren Welt, in der Menschen zu so vielen Informationen Zugang haben wie noch nie in der Weltgeschichte, könne die Abschottung gegen ein Zuviel durchaus sinnvoll sein, um sich Ängste und psychische Belastungen  zu ersparen. Bestimmte Fakten nicht wissen zu wollen, zählt seit langem zur Abwehrstrategie von Menschen, die sich Untersuchungen zur Krebsvorsorge entziehen. Und auch auf global eskalierende Krisen reagieren nun immer mehr Menschen mit einem ähnlichen Verhalten kalkulierter Nachrichtenvermeidung. Unter den Teilnehmern einer jüngst vom Leibniz-Institut für Medienforschung dazu durchgeführten Umfrage gaben 45 Prozent an, sich bewußt nicht über den Ukraine-Krieg zu informieren. Gerade bezüglich des Umgangs Jugendlicher mit den sozialen Medien taugen solche Methoden für Hertwig aber nicht. Wirksamer dürfte deren Einübung ins „kritische Ignorieren“ sein, das nur wenige gewünschte Anwendungen auf dem Smartphone zuläßt. Dieses von Hertwig entwickelte Konzept sollte fester Bestandteil des bald an weiterführenden Schulen zu etablierenden Pflichtfachs „Internetkompetenz“ werden (Max Planck Forschung, 3/2023). 


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