Wer zu spät kommt, den bestraft – so vergangenen Sonntag – nicht das Leben, sondern den begrüßt ganz unverhofft die ebenso charmante wie erotische Erscheinung der „Frau Tod“ (Julia Siebenschuh). Deren diabolische Emanation überstrahlt alle Figuren in der von George Tabori verfaßten Groteske „Mein Kampf“, die an diesem Abend am Theater Halberstadt (Großes Haus) Premiere feiert (Termine: 28. Oktober Quedlinburg, 4. und 6. November Halberstadt). Vor ihrem Auftritt, da ich Mademoiselle Mort unvermittelt auf dem Innenhof des Theaters vor der Pause begegne, raucht sie gerade mit mondänem Zug an der Zigarette – wie auch in der späteren Szene auf der Bühne, bevor sie den Hypochonder Hitler (Frederik Reents) aus dem Obdachlosenasyl als ihren neuen Partner „abschleppt“, um ihn als potenten Sensemann in Dienst zu stellen.
Tatsächlich erkenne ich im Dunkeln während des Small Talks mit Frau Tod die Bella figura von Imelda Marcos wieder, welche die Schauspielerin den Abend zuvor in Theresia Walsers Komödie „Ich bin wie ihr, ich liebe Äpfel“ gespielt hatte (Kammerbühne Halberstadt). Deren Titel ist einem Gedicht des Diktators Muammar al-Gaddafi entlehnt – aus dessen Buch „Das Dorf, das Dorf, die Erde, die Erde, und der Selbstmord des Astronauten“. Das klingt fast so hohl wie das Erstlingswerk von Sascha A. „Jeder Satellit hat einen Killersatelliten“, dem Lebenspartner von Alissa Walser, weshalb ich mich frage, warum das Stück nicht gleich „Ich liebe euch doch alle“ heißt, zumal dies wortspielerisch einen ganz neuen Sinn ergäbe: „allegeliebt“ – so, daß keine Liebe mehr übrigbleibt, was mich wiederum an die tragische Figur des Schlomo Herzl in „Mein Kampf“ denken läßt. Dabei steht der ungarische Name „Tabori“ für „Der im Lager ist“.
Fünf Diktator-Gattinnen, deren Leben verfilmt werden soll, treffen bei einer Pressekonferenz aufeinander.
In der Walser-Komödie (Termine: 3. November Quedlinburg, 24. November Halberstadt) treffen fünf Diktator-Gattinnen in einer Pressekonferenz aufeinander, da ihr Leben verfilmt werden soll: neben der Frau des philippinischen Diktators eine Margot Honecker mit lila Haaren (Swantje Fischer) und eine „barbarische Beduinenschlampe“ (Alice Macura), die zugleich Leila Ben-Ali (Tunesien; Exil Saudi-Arabien), Asma al Assad (Syrien) und Suzanne Mubarak (Ägypten; Exil Saudi-Arabien) darstellt. Die sich durch den traumatisierten Simultanübersetzer Gottfried (Arnold Hofheinz) wider Willen zur Kenntlichkeit entstellenden Selbstdarstellerinnen parlieren und parieren äußerst unterhaltsam, wobei besonders die total gestörte Figur Margot Honeckers die omnipräsente Häßlichkeit der DDR-Diktatur verkörpert. Aber als traute die Inszenierung der Gattung „Komödie“ nicht, enthält das Programmheft ein Stalin-Gedicht Peter Hacks aus dem Jahr 1952, wo es beziehungsreich heißt: „Portugal lenkt man diktatorisch / Westdeutschland ist nur provisorisch; / Und die Regierungsstadt davon? / Wer einmal schwarz, träumt: Lissa-Bonn.“, und am Ende: „Hundhammer spielt Theaterleiter. / Die heitre Kunst ist nicht mehr heiter. / Als Trost für den, der hierbei weint: / Wer einmal lacht, ist Landesfeind.“