Unter den Klassikern des Polit-Thrillers zählt er zweifelsfrei zu den größten: Eric Ambler. Dem Meister der überraschenden Wendungen ist bei seinen 1985 erschienenen Lebenserinnerungen gleich mit dem Titel eine wunderbare, kleine Bösartigkeit gegenüber dem von ihm nicht sonderlich geliebten Publikum gelungen. Mit der – nicht übersetzbaren – Doppeldeutigkeit „Here lies Eric Ambler“ überläßt er es dem Leser, ob der Autor seine Lebensgeschichte in dieses Buch gelegt hat oder ob er schlicht und einfach lügt.
Als Roman ist das Werk tatsächlich ein wenig zu lesen und Ambler räumt freimütig ein, er hänge der Auffassung an, „daß sich Leser und Schriftsteller am besten und am sichersten auf der gedruckten Seite begegneten“. Über den Umgang mit den tatsächlichen Gegebenheiten hat er anderorts treffend gesagt, „die Lüge steht nirgends so fest und sicher wie auf einem Stecknadelkopf von Wahrheit“. Eine von vielen seiner Formulierungen, die den Rang eines zeitlosen Aphorismus beanspruchen können. Dazu gehört auch die bittere Erkenntnis einer seiner Romanfiguren: „Das waren die Nachteile eines akademisch geschulten Geistes. Man übersah immer die Möglichkeiten, die sich durch Gewaltanwendung boten – bis die Gewalt einem nichts mehr nützte.“
Am 28. Juni 1909 in London geboren, hatte Ambler ein Ingenieurstudium begonnen, war zunächst erfolgreich in der Werbebranche tätig, nachhaltig erfolgreich allerdings dann als Schriftsteller und Drehbuchautor. Hier schaffte er es bis nach Hollywood. Am Anfang hatte er starke, sich auch im Werk niederschlagende Sympathien für linke Weltverbesserungspotentiale. Das sollte sich bald geben, die souveränen, aufklärenden und rettenden Edelkommunisten tauchen nur in seinen ersten Büchern auf. Wechselnde Wohnorte gab es, über einen längeren Zeitraum hatte sich Ambler in den USA, danach in der Schweiz niedergelassen. Die letzten Lebensjahre verbrachte er wieder in London, wo er am 22. Oktober 1998 gestorben ist.
Mit seiner Mischung aus Spannung, Ironie, Persiflage, gelungener Komik und kaum vorhersehbaren Pointen, verknüpft mit politischen Wirren und Spionage-Ambiente dürfte Ambler niemand gleichkommen. Die Zeit seiner Handlungen ist die seines Schaffens, von den dreißiger Jahren bis ins letzte Drittel des vergangenen Jahrhunderts. Amblers Helden bestehen ihre Abenteuer nahezu weltweit – in Mittelamerika, auf dem Balkan, im östlichen Mittelmeerraum, im tiefsten Afrika oder in Indonesien, gern in weniger ideal funktionierenden, nachkolonialen Drittweltsystemen, aber auch in Genf oder an der Côte d’Azur. Der vom literarischen Fernweh geplagte Leser kommt auf seine Kosten.
Vermeintlich völlig klare Fronten verschwimmen
Der Begriff Held trifft auf Amblers Figuren nur sehr bedingt zu. In der Regel handelt es sich um naive, oft biedere, manchmal auch leicht jenseits der Gesetztestreue agierende Männer, die aus Neugier, ob der Aussicht auf Gewinn oder darauf, sich politisch auf einer für richtig gehaltenen Seite engagieren zu können, tätig werden. Typisch ist, daß sie glauben, die Lage im Griff zu haben, ihren Einfluß völlig überschätzen und ihnen die Rolle, die sie im Spiel der Geheimdienste, Großkriminellen, Kriegsgewinnler oder Putschisten einnehmen, erst nach einer Reihe von für sie überraschenden Mißgeschicken klar wird.
Ambler versteht es hervorragend, das große Ganze zwar mittels Andeutungen im Bewußtsein des Lesers zu halten, ihn aber immer wieder auf Nebenstränge, eben die Perspektive seiner Helden, zu lenken, bis dann am Ende der Blick auf das gesamte Mosaik oder, wenn man so will, die Lösung, freigegeben wird. Typisch ist allerdings auch, daß man durchweg mit Amblers Helden sympathisiert und leidet, selbst bei ihren gräßlichsten Dummheiten.
Arthur Simpson aus „Topkapi“ ist sicher der bekannteste, nicht zuletzt durch die prominent besetzte Verfilmung des Romans, unter anderen mit Peter Ustinov. Durchaus selbstverschuldet gebeutelt werden aber auch Amblers andere Handlungsträger, etwa Doktor Frigo, der im gleichnamigen Buch einer fragwürdigen, umstürzlerischen Partei als Galionsfigur dienen soll, Greg Nilsen, der als unbescholtener Geschäftsmann beim „Waffenschmuggel“ mitzumischen versucht, weil er hier eine Chance sieht, seine Langeweile und zugleich den Kommunismus zu bekämpfen, oder der Schriftsteller Charles Latimer, der auch einmal vor Ort Detektiv sein will und in „Die Maske des Dimitrios“ dem personifizierten Bösen auf der Spur ist. Zunächst vermeintlich völlig klare Fronten verschwimmen zu Ambivalenzen, so im „Fall Deltschev“, der Angeklagte im Schauprozeß der Volkspartei erscheint hier immer weniger als bedauernswertes Opfer des Regimes.
Grandios zu nennen sind Amblers beobachtende Charakterisierungen. So heißt es im „Intercom-Komplott“ über einen umtriebigen, pensionierten General: „Alles, was er sagte, war kompletter Unsinn – aber, bei Gott, er war überzeugend. Denn er glaubte tatsächlich, was er sagte.“ Übertragbar und lebensnah wie die aphoristischen Passagen. Viele von Amblers Romanen sind lieferbar, vergessen ist er auch 25 Jahre nach seinem Tod nicht.