© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/23 / 03. November 2023

Wo wildert Wagenknecht?
Deutschland Mitte-Rechts: Mit dem Ego-Partei-Projekt der Linken-Rebellin werden die Karten neu gemischt – in Umfragen
Henning Hoffgaard

Es ist dieses eine spannende Detail in den Umfragen, auf das in vielen Parteizentralen ab jetzt gebannt geschaut wird: „Wenn am kommenden Sonntag Bundestagswahl wäre und es eine ‘Sahra-Wagenknecht-Partei’ gäbe, wie würden Sie dann wählen“, fragte das Meinungsforschungsinstitut Insa. Das Ergebnis: 14 Prozent würden deutschlandweit für eine Partei der aus der Linkspartei ausgetretenen Wagenknecht votieren. Wenn es sie denn tatsächlich gäbe – und die Wähler wüßten, wofür diese Partei steht und wer für sie antritt. Denn noch gibt es keine entsprechende Formation, sondern nur einen Verein; und Wagenknecht sitzt trotz Parteiaustritts aus der Linken weiter in der Linksfraktion – auch damit sie weiter in den Genuß der Privilegien einer Fraktionsmitgliedschaft kommt. Noch.

Daß die Insa-Umfrage ein genaues Stimmungsbild abgibt, daran bestehen in diesem Fall Zweifel. Es dürfte sich eher um ein grundsätzliches Potential handeln. Zumal Wagenknecht auch noch in der Fragestellung prominent erwähnt wird und Umfrageteilnehmer so versucht sein könnten, entsprechend abzustimmen. Normalerweise werden bei der Sonntagsfrage die einzelnen Parteien nicht genannt und die Befragten müssen spontan antworten. 

Woher kommen also die möglichen Wagenknecht-Wähler? Zwei Prozentpunkte kommen von den Unionsparteien, jeweils ein Prozentpunkt kommt von den Ampel-Parteien und den Freien Wählern. Von der Linkspartei dagegen kommen keine Wähler. Die meisten Stimmenverluste müßten die „Sonstigen“ Parteien und die AfD mit jeweils vier Prozentpunkten abgeben. 

Skeptischer zeigte sich da schon der Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Manfred Güllner. Zweistellige Werte für Wagenknecht zu prognostizieren sei „absolut abenteuerlich“. Allerdings sind Forsa und Insa auch direkte Konkurrenten. „Nach unseren Erkenntnissen könnte Wagenknecht einen geringen Teil der bisherigen Linken-Wähler anziehen und auch nur wenige Stimmen von der AfD holen“, sagte Güllner dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Laut Forsa kommt eine hypothetische Wagenknecht-Partei auf drei Prozent der Stimmen. Das heißt: drei Prozent der Befragten sind sich „sicher“, eine entsprechende Partei zu wählen.

Bei Linken-Wählern rangiert die Ausgetretene auf Platz eins

Grundsätzlich ist bei Potentialanalysen Vorsicht angebracht. So ermittelte das Insa-Institut für die Partei „Team Todenhöfer“ des ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Jürgen Todenhöfer ein maximales Potential von neun Prozent. Am Ende wurden es bei der Bundestagswahl 0,5 Prozent. Allerdings weist Insa selbst stets darauf hin, daß ein Potential eben nur ein Potential ist.

Bisher ist von der geplanten Wagenknecht-Truppe nur eines wirklich bekannt. Daß Wagenknecht ihr Gesicht sein wird. Wie also schneidet die Politikerin ab? Bei welchen Parteianhängern kann sie punkten – und bei welchen eher nicht? Aufschluß gibt die monatlich von Insa ausgewertete Befragung „Deutschland Mitte-Rechts“ im Auftrag der JUNGEN FREIHEIT.

Nimmt man nur die Wähler von Unionsparteien, AfD und FDP, kommt die Ehefrau von Oskar Lafontaine in der Oktober-Befragung auf 41,8 Punkte und schiebt sich auf den siebten Platz hinter Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer. Auf dem ersten Platz bleibt trotz leichter Verluste CSU-Chef Markus Söder. Ebenfalls auf dem Treppchen CDU-Chef Friedrich Merz und die AfD-Vorsitzende Alice Weidel. Zwei Plätze rauf geht es für Weidels Co-Sprecher Tino Chrupalla. 

Doch wie schneidet Wagenknecht bei den einzelnen Partei-Sympathisanten ab? Bei den SPD-Anhängern erreicht sie mit 33,8 Punkten den achten Platz. Bei den Grünen reichen für den gleichen Rang bereits 25 Punkte. Ähnlich schlecht gelitten ist die frühere Vorsitzende der „Kommunistischen Plattform“ in der Linkspartei bei den Wählern von CDU und CSU. Dort reichen 32,1 Punkte für Platz neun. Und die FDP-Wähler? 44 Punkte und Platz 8.

Interessanter wird es da schon bei Linkspartei und AfD. Bei den Linken-Wählern erreicht Wagenknecht 58,2 Punkte und steht klar auf dem ersten Platz. Allerdings läßt die JF bei der Befragung auch nur Politiker abfragen, die für Mitte-Rechts-Wähler interessant sein könnten. So findet sich, mit deutlichem Abstand hinter Wagenknecht der Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens, Hendrik Wüst (CDU). Schlecht schneiden bei Anhängern der Linkspartei die drei abgefragten AfD-Politiker Chrupalla, Weidel und Björn Höcke ab. Sie erreichen 21 bis 24 Punkte – von 100. Umgekehrt sind AfD-Anhänger offenbar deutlich weniger wählerisch, wenn es um die Vergabe von Sympathiepunkten geht. So erreichte Wagenknecht seit Januar stets den zweiten Platz, hinter AfD-Parteiliebling Weidel. Bisher. In der Oktober-Befragung gelingt es Tino Chrupalla nun erstmals, den zweiten Platz bei den eigenen Anhängern zu erreichen. Der AfD-Frontmann erreicht 55,7 Punkte – vier mehr als noch im September –, während Wagenknecht einen Punkt einbüßt und bei AfD-Wählern den immer noch überdurchschnittlichen wert von 53 Punkten bekommt. Höcke erreicht Platz vier und liegt damit vor dem Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger. 

Bemerkenswert ist bei Wagenknecht die Langzeitentwicklung. Zu Beginn der Insa-JF-Befragung im Januar lag die Politikerin bei AfD-Wählern noch bei 61,6 Punkten. Im Verlauf des Jahres sank dieser Wert auf nun 53,4 Punkte. Je mehr über ihre Parteigründung spekuliert wurde, desto unbeliebter wurde sie bei Anhängern der AfD. Das gilt auch für Unterstützer der Linkspartei. Im Januar erreichte Wagenknecht dort noch 64 Punkte, im Oktober waren es noch 58. 

Starke Verluste muß Wagenknecht auch bei den zusammengerechneten Wählern von Union, AfD und FDP hinnehmen. Lag sie hier mit 45,2 Punkten im Januar noch auf dem dritten Platz, muß sie sich nun mit Platz sieben und 41 Punkten begnügen. Die Politikerin selbst gibt sich derweil schon ganz wie eine künftige Bundesministerin. Eine Koalition mit Grünen und CDU schließt sie aus. Friedrich Merz sei schließlich nicht „koalitionsfähig“. Auch mit der AfD will sie nicht zusammenarbeiten. Viele Parteien bleiben dann nicht übrig, insbesondere wenn ihre alte Wahlheimat es nicht mehr in den Bundestag schaffen sollte. Eigentlich kann sie dann nur noch mit SPD und FDP regieren. Ob die das auch wollen?