© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/23 / 10. November 2023

„Die Bratpfanne des Schicksals“
Interview: Ihn traf es als einen der ersten: Der Schweizer Satiriker Andreas Thiel erklärt, warum immer mehr in seiner Branche nichts mehr zu lachen haben und warum er „fürchtet, daß ein goldenes Zeitalter des Humors droht“
Moritz Schwarz

Herr Thiel, kenn’Se den: Sagt der Bundeskanzler: „Wir müssen endlich in großem Stil abschieben!“

Andreas Thiel: Der ist echt gut!

Ich hab noch einen: Sagt der Habeck, er gibt „das Versprechen alles zu tun, damit Juden ohne Angst hier leben können“.

Thiel: „Juden ohne Angst“? Der ist unfreiwillig doppeldeutig: Meint er, daß bald nur noch angstfreie Juden hier leben können?

Sagen Sie, ist das noch Politik oder schon Satire?

Thiel: Es ist das Ende der Satire, denn mit so viel Ironie kann sie nicht mithalten.

Apropos „Ende“: Der TV-Kabarettist Detlev Schönauer ist unlängst nach Ungarn ausgewandert, weil er in Deutschland nichts mehr zu lachen habe, nachdem die Cancel Culture seine Karriere beendet hat (JF 42/23). Kommt Ihnen das bekannt vor?

Thiel: Na ja, in meinem Fall erhielten wir von der Kriminalpolizei neue Telefonnummern, und meine Frau und ich mußten anonymisiert den Kanton wechseln. Der nächste Schritt wäre gewesen, mit einer neuen Identität ins Ausland zu ziehen. Übrigens war Hamburg eine der Destinationen, die wir ins Auge faßten.

Was ist damals passiert? 

Thiel: Es war einer der größten Skandale der Schweizer Mediengeschichte: 2013 veröffentlichte ich eine ausführliche, sachliche, quellenkritische Buchbesprechung über den Koran, die 2014 auch in der Weltwoche als Titelgeschichte erschien. Weil Aufrufe zum Mord an Juden zwischen zwei Buchdeckeln auch im „historischen Kontext“ Mordaufrufe bleiben, fiel das Fazit nüchtern aus: Der Koran gleicht eher „Mein Kampf“ als dem Alten Testament. Das bestätigt hinter vorgehaltener Hand jeder urteilsfähige Orientalist – hinter vorgehaltener Hand deshalb, weil der Koran dazu aufruft, alle zu töten, die ihn kritisieren. Das Buch ist also mit einer „Sprengfalle“ versehen, und das war auch mein Hauptkritikpunkt. 

Was waren die Folgen für Sie?

Thiel: Wie abzusehen Morddrohungen von der Qualität „Wir werden dich suchen, finden und töten!“, mehrmals täglich telefonisch, wobei die Täter Software verwendeten, die die Anrufer als meine Mutter, Freunde oder Geschäftskontakte anzeigte. Auf diese Bedrohung aus moslemischen Kreisen reagierte die Polizei mit dem Schutz meiner Familie und die Staatsanwaltschaft mit entsprechender Fahndung. Nicht abzusehen war dagegen die Rufmordkampagne aus dem rotgrünen Milieu. In den Medien wurde ich als Rassist diffamiert, woraufhin die Theater mir reihenweise kündigten. Aber nicht, weil sie mich nach zwanzigjähriger Zusammenarbeit plötzlich für einen Rassisten hielten, sondern weil sie selbst Rufschaden fürchteten. Dann folgte der Anschlag auf Charlie Hebdo, woraufhin ich nur noch unter massivem Polizeischutz auftreten durfte. Es war absurd: im Theater saßen mehr Kriminalpolizisten, Sensationsjournalisten, Anwälte moslemischer Organisationen und Vertreter der Staatsanwaltschaft, die dem Rassismus-Verdacht nachspürten, als normale Zuschauer. 

Auch eine Art, sich ein Stammpublikum zu schaffen. 

Thiel: Woraufhin ich meine Bühnenkarriere beendete. Übrigens nahm die Geschichte noch drei ironische Wendungen: Zum ersten kam die Staatsanwaltschaft zum Schluß, daß ich in zwanzig Jahren als Satiriker noch nie einen rassistischen Satz geäußert hatte. Ich gehöre somit zu den wenigen amtlich ausgewiesenen Nicht-Rassisten. Zum zweiten wurde ich während der Corona-Zeit auf originelle Weise rehabilitiert: Während mein bis dahin noch unbescholtener Kollege Marco Rima in der öffentlichen Wahrnehmung vom Komiker zum Verschwörungstheoretiker absank, stieg ich in der öffentlichen Wahrnehmung vom Rassisten zum Verschwörungstheoretiker auf. Damit lebt es sich viel besser. Und drittens war ich im Zenit meiner Bühnenkarriere gezwungen, alles aufzugeben und noch einmal neu anzufangen: In den letzten Jahren habe ich eine Filmproduktionsgesellschaft aufgebaut und meine ersten beiden Kinofilme gedreht. Die Bratpfanne des Schicksals hat mich das Karrieretreppchen hochgeprügelt.

Das „St. Gallener Tagblatt“ schreibt: „Es gibt nur einen Gott des Humors und Andreas Thiel ist sein Prophet!“ Also erleuchten Sie uns: Was hat es mit dem Humor auf sich?

Thiel: Humor ist die Fähigkeit, emotionale Distanz zu gewinnen zu allem, was uns frustrieren könnte. Humor schafft Gelassenheit. Ohne Humor gäbe es weder Geduld, Demut, noch Bescheidenheit, Toleranz Erbarmen oder Verzeihung. Humor ist eine Tugend und somit eine göttliche Eigenschaft. Ohne Humor gäbe es keinen Frieden unter den Menschen.

In Ihrer sonntäglichen „sprachphilosophischen“ Sendung „Yoyogaga“ auf Kontrafunk sprechen Sie ihm eine überragende Rolle zu, noch vor der Intelligenz. 

Thiel: Humor ist Teil unseres Intellekts, und dieser steht über der Intelligenz. Der Intellekt ist unsere Urteilskraft und umfaßt auch die Logik, das Gewissen und die Intuition. Die Intelligenz sagt nur etwas über die „Rechenkapazität“ unseres Gehirns aus. Die aber ist eine vernachlässigbare Größe. Jedes digitale Küchengerät ist heute intelligenter als unser Gehirn. Entscheidend ist die Urteilskraft, also der Intellekt.

Moment, wenn Humor vor Intelligenz rangiert, die aber als der Unterschied zwischen Mensch und Tier gilt: Was bedeutet es dann, daß auch einige Tierarten zu Humor fähig sind? 

Thiel: Was Mensch und Tier unterscheidet, ist der freie Wille, die Möglichkeit, über sich selbst hinauszuwachsen und Neues zu schaffen. Der Vogel baut seit Jahrmillionen kunstvolle Nester und wird trotzdem nie Kathedralen errichten. Er wird aber auch nie Foltergefängnisse betreiben. Die Willensfreiheit erlaubt es dem Menschen allerdings nicht nur, über sich selbst hinauszuwachsen, sondern auch unter sich selbst hinabzusinken. Im Gegensatz zum Tier, das die Bandbreite seines Instinkts nicht verlassen kann, sind dem Menschen kaum Grenzen gesetzt. Als Folge ist der Mensch nicht nur unglaublich innovativ, sondern auch grenzenlos fehlbar. Ohne Humor wäre diese Freiheit nicht auszuhalten.

Apropos „nicht auszuhalten“: Deutschlands einflußreichster Satiriker ist wohl Jan Böhmermann. Aber ist das eigentlich noch Humor? 

Thiel: Ob Böhmermann diese feine Unterscheidung beherrscht, kann ich nicht beurteilen, da ich seine Sendung nicht verfolge, aber man muß unterscheiden zwischen Humor und Häme. Humor entsteht aus Liebe, Häme aus Haß. Für den Satiriker gelten genau die gleichen Regeln wie für den witzereißenden Kranführer oder die humorvolle Krankenschwester. 

Sie meinen, er muß aufpassen, nicht zu weit gehen? 

Thiel: Es ist ein Unterschied, ob man einen Witz über jemanden macht und damit riskiert, ihn zu beleidigen, oder ob man jemanden einer Straftat beschuldigt und damit einen Rufmord begeht. In der Schweiz ist zum Beispiel Rassismus ein Offizialdelikt. Jemanden als Rassisten zu beschimpfen bedeutet also objektiv, ihm eine Straftat zu unterstellen, was ebenfalls ein Offizialdelikt ist. Sie dürfen folglich den Begriff „Negerkuß“ – in der Schweiz „Mohrenkopf“ – als rassistisch bezeichnen, aber jemanden, der diesen Begriff verwendet, nicht als Rassisten. 

Dieter Nuhr hat vergangene Woche in einem Interview beklagt: „Es gibt Leute (Satiriker), die werden mundtot gemacht. Das reicht bis zur Vernichtung von Existenzen.“ Wie schlimm ist die Lage aus Ihrer Sicht?

Thiel: Bis vor wenigen Jahren haben Künstler aus Prinzip den Staat kritisiert. Dabei spielte es keine Rolle, wie schwachsinnig oder verlogen die Kritik war, Hauptsache es ging gegen den Staat. Heute dagegen rechtfertigen sie den Staat fast nur noch. Und wieder spielt es keine Rolle, wie schwachsinnig oder verlogen diese Rechtfertigung ist. Auf öffentliche Kritik reagiert der Staat mit Rufmord, indem er die Existenz des Kritikers zerstört. Dabei verfährt er – vorsätzlich oder schlicht weil die Mittel des Rufmordes schon immer die gleichen waren – nach Stasi-Richtlinie 1/76.

Die besagt? 

Thiel: Welche „gesellschaftlichen Zersetzungsmaßnahmen“ gegen politisch Andersdenkende einzusetzen sind, namentlich „Diskreditierung des öffentlichen Rufs“, „Organisierung von Mißerfolgen in Beruf und bei sozialen Kontakten“ und „das Verbreiten von Gerüchten“. Sie fragen mich, wie schlimm die Lage ist? Ich würde sagen, es ist ebenso erschreckend wie enttäuschend, aber auch interessant zuzuschauen, wie politische Satiriker zu Staatskonformisten werden, sobald Kritik am Staat nicht mehr nur Lachen auslöst.

Was ist der Grund für diese Entwicklung, warum ist der Humor flöten gegangen? Oder sind es vielleicht die Satiriker, die zu empfindlich geworden sind? 

Thiel: Die humorlosesten Menschen findet man in der Tat unter den Spaßmachern. Es ist ein großer Unterschied, ob man andere zum Lachen bringt, oder ob man über sich selber lachen kann. Erfolg in dieser Branche bedingt einen hohen Grad an Professionalität und damit eine gewisse Pedanterie. Letzteres ist eine Mischung aus Selbstverliebtheit und Perfektionismus. Da ist wenig Platz für Humor. Deshalb ist Selbstironie in der Gilde eher wenig verbreitet. Witze reißen können viele, aber ob jemand Humor hat, erfährt man erst, wenn er Rückgrat beweisen muß. Denn wer kein Rückgrat hat, dem fehlt oft auch der Humor. Es ist lustig, daß es ausgerechnet den Komödianten an Humor mangelt, diese Bedrohungen gelassen zu nehmen.

Ist der Humor nicht auch Opfer einer politischen Ideologie geworden?

Thiel: In der Tat. Das Gegenteil von Selbstironie ist die Selbstverachtung, die sich im linksintellektuellen Milieu zum Selbsthaß steigert. Der rotgrüne Selbsthaß hängt mit der Verwandtschaft von Sozialismus und Nationalsozialismus zusammen. Bürgerliche kennen diesen Selbsthaß nicht, weil sie keine ideologische Verbindung zum Nationalsozialismus haben. Dieses schlechte Gewissen haben nur die Linken, denn ihre nationalistischen Kollegen, die Nationalsozialisten, gibt es ja nicht mehr. Das Rechts-Links-Schema entspringt einem sozialismusinternen Konkurrenzdenken zwischen nationalistischen und internationalistischen Sozialisten. Andere politische Milieus wie Konservativismus, Liberalismus oder die Religion befinden sich außerhalb dieses eindimensionalen Denkschemas. Der Sozialismus ist eine eindimensionale Ideologie. Ideologien sind immer eindimensional und daher dogmatisch – und Dogmatismus läßt keine Ironie zu. Konservative, Religiöse und Liberale können zwar auch dogmatisch werden, sind es in der Regel aber nicht. 

Gilt nicht, je repressiver ein System, desto wichtiger ist der Humor? 

Thiel: Richtig, und im schlimmsten Fall erwartet uns also ein goldenes Zeitalter des Humors. In Jahrzehnten von Freiheit und Wohlstand haben wir diesen fast gänzlich verloren. Freiheit und Wohlstand machen anscheinend humorlos. 

Wieso eigentlich? Die Spaß-Industrie floriert doch. 

Thiel: Die „Spaß-Industrie“ provoziert Lachen. Das hat aber nichts mit Humor zu tun. Der Humor ist die Fähigkeit, Dinge nicht ernst zu nehmen, obschon sie nicht lustig sind. Die Königsdisziplin ist die Selbstironie. Der Wohlstand hat dazu geführt, daß wir uns selbst viel zu ernst nehmen.

Ist Humor wirklich subversiv, wie Sie nahelegen, oder nicht doch reaktionär, weil er erlaubt, „Dampf abzulassen“ und so bestehende Verhältnisse stabilisiert?

Thiel: Humor ist subversiv, weil nicht korrumpierbar. Das Lachen hingegen ist reaktionär, ein unkontrollierter Gefühlsausbruch. Es ist wichtig, humorlose Menschen zum Lachen zu bringen, weil ihnen die Gelassenheit fehlt, um friedlich zu bleiben. Humorlose Menschen sind gefährlich. Deutschland braucht vielleicht einen Böhmermann, damit auch humorlose Menschen etwas zum Lachen haben. 

Da könnten Sie recht haben … Oder ist das eine Frotzelei gegen uns Gummihälse aus dem Norden? Wir haben allerdings nicht nur Böhmermann zu bieten, sondern zum Beispiel auch den meisterlichen Loriot!   

Thiel: „Gummihälse“ ist ein Zürcher Kosewort für alles abnickende, deutsche Karrieristen. Loriot wiederum war die Inkarnation des Humors – jede Pointe hat gesessen! Ein solcher Absolutismus wäre unschweizerisch. Bei uns kommt manchmal gar keine Pointe. Uns genügt es schon, wenn ein Witz gut anfängt. 






Andreas Thiel, zählt zu den bekanntesten Satirikern der Schweiz. Im Fernsehen moderierte der 1971 in Bern geborene Preisträger (u. a. Deutscher Kabarettpreis) die Sendung „Comedy im Casino“ und in Zürich mit dem „Bösen Montag“ eine eigene Bühnenshow. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter 2015 „Humor. Das Lächeln des Henkers“, war Kolumnist der Berner Zeitung, des Satire­magazins Nebelspalter, schreibt heute in der Weltwoche und präsentiert „Yoyogaga“ auf Kontrafunk. Im Winter kommt mit „Kalbermatten“, einer „staatsphilosophischen Satire über Liebe, Kunst und Demokratie“, sein erster Film in die Schweizer und voraussichtlich Ende 2024 in die deutschen Kinos. 

 www.andreasthiel.ch 

 www.kalbermattenfilm.ch