© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/23 / 10. November 2023

„Sehr ernste Verfehlungen“
Infrastruktur: Der Ausbau des schnellen Glasfasernetzes kommt in Deutschland weiterhin nur schleppend voran / Ziele der Gigabitstrategie der Bundesregierung unrealistisch
Christian Schreiber

Auf dem Papier hört es sich vielversprechend an. Bis 2025 soll die Hälfte der Haushalte in Deutschland einen schnellen Internetzugang via Glasfasernetz haben. Und 2030 soll es flächendeckend Glasfaseranschlüsse bis ins Haus überall dort geben, wo Menschen leben, arbeiten oder unterwegs sind, heißt es in der Gigabitstrategie der Bundesregierung. Doch die Realität sieht anders aus. Die Branche, die sich vor Jahren noch in einer Führungsposition sah, klagt über schwere bürokratische Hemmnisse und eine Blockade-Politik durch den Marktführer Telekom.

Die Ziele der Bundesregierung ließen sich nicht mehr erreichen, heißt es unisono. Deutschland ist in Sachen Digitalisierung ein Entwicklungsland. Selbst kleinere osteuropäische Länder haben dem früheren Wirtschaftswunderland den Rang abgelaufen. Beim jüngsten Bund-Länder-Treffen im Kanzleramt wurde immerhin eine Beschleunigung von Planungsverfahren beschlossen. Das soll unter anderem das Aufstellen von Mobilfunkmasten erleichtern. Das hilft dem veralteten Festnetz kaum.

 Einer neuen Studie der Unternehmensberatung Boston Consulting Group und der Personalberatung Egon Zehnder zufolge sind die Investorenbewertungen von Glasfaserunternehmen um bis zu 30 Prozent eingebrochen. Somit häufen sich bei vielen Glasfaserbetreibern die Probleme, weil der Ausbau nicht wie geplant vorankommt und die Kosten wegen Zinswende und Inflation immer weiter steigen.

Die Folge: Viele Bürger müssen auf den längst versprochenen Glasfaserausbau länger warten, als bisher gedacht. Die EU-Kommission klagte jüngst, daß der Ausbau hierzulande von „sehr ernsten Verfehlungen“ gekennzeichnet sei. „Der Glasfasermarkt kollabiert gerade“, zitiert das Handelsblatt den Geschäftsführer eines großen Anbieters. Kleinen Anbietern drohe die Pleite, andere würden bereits überlegen, den deutschen Markt zu verlassen. Das FDP-geführte Ministerium für Digitales und Verkehr reagiert noch gelassen: „Die Ziele der Gigabitstrategie halten wir weiterhin für realistisch“. Die Branchenverbände Anga, Breko und VATM befinden, das Ausbauziel für 2030 sei zwar „sehr ambitioniert, aber theoretisch machbar“. Die Unternehmen arbeiteten „mit Hochdruck“ darauf hin.

Die Telekom will ihr Kupfernetz gegen die Konkurrenz verteidigen

Tief blicken ließen aber Äußerungen auf einer Feier anläßlich des 25jährigen Jubiläums des Verbandes VATM. „Ich glaube, das sieht in der Presse alles viel besser aus, als es in Wirklichkeit ist“, sagte der Geschäftsführer der Glasfaser-Telco Deutsche Giganetz, Jan Budden, während einer Podiumsdiskussion. Er ließ durchblicken, daß er erst unlängst veröffentlichte Zahlen beim Glasfaserausbau für unseriös hält. Die Versorgung in Deutschland liege nicht bei einem Drittel der Haushalte, es gebe „2,4 Millionen aktivierte Anschlüsse“ in der Republik. Und es kämen auch nur 500.000 Anschlüsse im Jahr dazu. Das sei weitaus weniger als erwartet. „Mit dieser Entwicklung werden wir nie im Leben die Ziele der Bundesregierung schaffen“, so Budden. Er macht die Telekom für den lahmenden Ausbau verantwortlich. „In jedem Projekt, in dem wir sind, ist die Deutsche Telekom mit über 2.000 Vertriebsleuten dabei und versucht ihr Kupfernetz zu verteidigen, weil sie überhaupt keinen Grund hat, die Glasfaser auszubauen.“

Die Telekom sitze auf 140 Milliarden Euro Schulden. Der freie Geldfluß aus dem DSL-Geschäft betrage sieben Milliarden Euro. Geld, das die Telekom benötige, um ihre Schulden zu tilgen. Ein großes Thema ist dabei der sogenannte Überbau. Die Telekom ist gerade erst dazu übergegangen, bei Eigenheimen die Glasfaser nicht mehr „auf Vorrat“ in die Häuser zu verlegen, sondern nur noch, wenn sie auch genutzt wird. Heißt: Viele Leitungen laufen gerade einmal bis zur Grundstücksgrenze. Die Folge: Angeblich 90 Prozent der schon verlegten Glasfaserleitungen in Deutschland werden nicht genutzt. Und wo DSL mit Kupferleitungen oder  Kabel-Internet verfügbar ist, scheuer viele Immobilienbesitzer die Zusatzinvestition. Und die privaten Internetnutzer suchen sich in der Regel das beste Preis-Leistungsverhältnis aus.

Viele Glasfaseranbieter wollen erst bauen, wenn in Wohngebieten genügend Menschen eine Nutzungserklärung abgeschlossen hätten. Die Telekom würde in aller Regel dazwischengrätschen und ihr vorhandenes Infrastruktur-System nutzen und den Bau eigener Leitungen (Überbau) ankündigen. Das würde dazu führen, daß viele potentielle Anbieter einen Rückzieher machen würden. Die Telekom bestreitet eine gezielte Strategie. Aber daß dies zu einem Stillstand führt, steht außer Frage.

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