Wie haben die das nur geschafft?“ fragen sich immer noch viele Deutsche mit Blick auf den amtierenden Basketballweltmeister. Und weil man es nicht oft genug hören kann, hier noch mal der Hinweis: Die beste Basketballmannschaft der Welt, das ist aktuell Deutschland. Wer sich angesichts des überraschenden Titelgewinns im Sommer dieses Jahres immer noch ungläubig und verwundert die Augen reibt, der kann sich nun in einem Basketball-Krimi aus Japan Anschauungsunterricht erteilen lassen, wie es zum unerwarteten Sieg eines krassen Außenseiters kommen kann.
71:76 steht es in der spannendsten Phase von „The First Slam Dunk“ für den haushohen Favoriten. Und es ist noch eine Minute zu spielen. Wer das Finale oder das Halbfinale der diesjährigen Basketball-Weltmeisterschaft im Fernsehen verfolgt hat, weiß: Das bedeutet gar nichts. Die sechzig letzten Sekunden eines entscheidenden Spiels können für Spieler und Zuschauer zu einer wahren Ewigkeit werden. Und genau das, eine Minute zu einer Ewigkeit dehnen, macht auch Autor und Regisseur Takehiko Inoue an der spannendsten Stelle seines Zeichentrickfilms und zugleich des Spiels, von dem er handelt.
Zeichentrickfilme haben in Japan einen höheren Stellenwert als bei uns
Der Außenseiter, das ist in diesem Fall natürlich nicht Deutschland, und es geht hier auch nicht um eine WM, sondern lediglich um ein Kräftemessen in der japanischen Schulliga: der chancenlos scheinende Herausforderer vom Shohoku-Gymnasium gegen den haushohen Favoriten Sannoh. Aber das tut dem Reiz des Films keinen Abbruch. Im Zentrum des Geschehens steht der für Basketball eigentlich viel zu kleine 17jährige Ryota, der mit seiner schmächtigen Gestalt ein Sinnbild für die totale Unterlegenheit seiner Mannschaft ist. Mit dem Satz „Das Dribbling ist der Weg, wie ein Zwerg in diesem Sport überlebt“ ist sein Dienst an der Mannschaft ziemlich gut umrissen. Die Stars von Shohoku sind andere, der rothaarige „Rebound-König“ Hanamichi, der sich selbst ganz unbescheiden ein Naturtalent nennt, und der Hüne Akagi, Spitzname: Gorilla.
Ryota schleppt eine schwere Hypothek aus der Vergangenheit mit sich herum: Sein drei Jahre älterer Bruder Sota, der als großes Basketballtalent galt, verstarb früh. Der Schmerz über diesen furchtbaren Verlust quält die Mutter der beiden Jungen bis heute – eine zusätzliche Belastung für Ryota, der sich durch hartes Training („Rocky“ läßt grüßen) aus dem Schatten seines Bruders zu lösen versucht, obwohl seine Mutter ihm in dieser Hinsicht die erwünschte Unterstützung schuldig bleibt. Diese Geschichte wird in pastellfarbenen Rückblenden erzählt und ist mit den Szenen aus der Basketballhalle verschränkt.
Unbewältigte Konflikte, latente Familien- und Beziehungsprobleme sind ein klassisches Thema in japanischen Zeichentrickfilmen, die als Kunstform im Land der aufgehenden Sonne einen viel höheren Stellenwert haben als bei uns. In Mangas (Comics) und den mit ihnen artverwandten Filmen, den sogenannten Animes, werden oft Dramen für Erwachsene erzählt. Auch „The First Slam Dunk“ richtet sich nicht an Kinder, sondern an Jugendliche und Erwachsene. Der Film basiert auf 31 Comic-Bänden des Regisseurs, die in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts erschienen, als auch hierzulande japanische Mangas mit der Science-fiction-Serie „Akira“ einen Popularitätsschub bekamen.
Die Figuren in „The First Slam Dunk“ sind sehr realistisch gehalten und erinnern kein bißchen an die „Heidi“- und „Pinocchio“-Gesichter, mit denen deutsche Zuschauer schon vor 45 Jahren an japanische Zeichentrickfilme gewöhnt wurden. Die Szenen vom Basketballspiel in der Halle, die etwa die Hälfte des Films ausmachen, sind rasant animiert und mit ziemlich viel rockiger Musik unterlegt. Es wird so viel Testosteron ausgeschüttet, daß Feministen schreiend Reißaus nehmen werden. In Japan wurde „The First Slam Dunk“ zum Zeichentrickfilm des Jahres. Aber wer weder maskuline Posen noch Sportfilme mag, ist hier falsch – es sei denn, er möchte nach dem deutschen WM-Triumph sein Wissen über Basketball erweitern und ein paar Wissenslücken stopfen. Nicht jeder weiß schließlich, was Fachbegriffe bedeuten wie „Fadeaway“, „Cut“, „Fast break“ oder eben „Slam Dunk“.
Kinostart ist am 7. Dezember 2023