© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/23 - 01/24 / 22. Dezember 2023

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Mahnung: „Die Menschen loben immer (aber nicht immer mit Recht) die alten Zeiten und klagen die gegenwärtigen an. Sie sind so sehr für die Vergangenheit eingenommen, daß sie nicht allein die Zustände preisen, welche sie durch die Überlieferungen der Schriftsteller kennen, sondern auch jene, welche sie, alt geworden, in ihren Jugendjahren gesehen zu haben sich erinnern.“ (Machiavelli)

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Ohne Worte: Die deutsche Kandidatin Ute Hohoff ist in der Vertragsstaatenversammlung nicht zur Richterin des Internationalen Strafgerichtshofs gewählt worden. Damit bleibt Deutschland ab März 2024 zum ersten Mal seit Gründung der Institution in Den Haag ohne Repräsentanten. Hohoff hatte in sieben Wahlgängen die erforderliche Zweidrittelmehrheit der 123 Vertragsstaaten deutlich verfehlt. Und: Deutschland ist der zweitgrößte Geldgeber des Gerichts.

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Bildungsbericht in loser Folge: „Die ausschlaggebende Fähigkeit zum einleuchtenden Vortrag und zur Einschätzung dessen, was den Schülern durch den Kopf gehen mag, sowie die Bereitschaft, zur Teilnahme am Unterricht aufzufordern, zum Dialog, kann nur am Stoff entwickelt werden. Insbesondere die Fähigkeit, mit Fehlern der Schüler etwas anfangen zu können und sie nicht bloß als Irrtümer abzuhaken, erscheint zentral. Ein Unterricht ohne beidseitiges Vergnügen an Schwierigkeiten ist sinnlos. Durch dieses Nadelöhr muß aller Unterricht hindurch.“ (Jürgen Kaube in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 12. Dezember)

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„Der Mensch schwankt im Verkehr mit seinen Brüdern zwischen zwei falschen Extremen: zwischen kalter Distanz und stilloser Fraternität.“ (Egon Friedell)

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Während hierzulande der vorweihnachtliche Kulturkampf um den Christbaum tobt, konzentriert er sich im Nachbarland Belgien auf die Person des Heiligen Nikolaus. Allerdings waren der Bürgermeister von Saint-Gilles, der ihn durch die arabische Variante „Sidi Nikkolah“ ersetzen wollte, wie der Bürgermeister von Gent, der am 6. Dezember den Auftritt einer Queen Nikkolah plante – einer aparten jungen Dame schwarzer Hautfarbe, die dem Fest mehr „inklusiven“ und „postkolonialen“ Charakter verliehen hätte – unter dem Druck der Öffentlichkeit rasch zum Rückzug gezwungen. Anders in der Metropole Brüssel, wo man eine Performance unter dem Titel „Dieses Jahr veranstaltet Queen Nikkolah eine Party für Kiddo‘s! – Luftballons, Spiele, Geschenke, ... und eine … revolutionäre Playlist nur für Kinder!“ angeboten fand. Ziel war selbstverständlich, über „die Rassen- und Geschlechtergrenzen der Nikolaustradition“ aufzuklären, um das „unbewußte Erlernen von rassistischen und geschlechtsspezifischen Privilegien (oder Benachteiligungen) in der Kindheit“ zu durchbrechen und solchermaßen die künftige „Gesellschaft mit echter Chancengleichheit“ vorzubereiten.

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Auf der Netzseite des Magazins Glamour findet man allen Ernstes eine Kolumne zum Thema „Klassismus“. O-Ton: „Im Gesundheitsbereich, im Arbeitskontext oder bei den Auswirkungen der Klimakrise: Klassismus durchzieht alle Lebensreiche“. Da mir vor Zeiten ganz unwahrscheinlich schien, daß der Begriff „Sexismus“ je aus den Ghettoblättern linker Feministinnen herausfinden und in den allgemeinen Sprachgebrauch eingehen werde, bin ich vorsichtig, was die Zukunft dieses Ismus angeht. Allerdings scheint eine gewisse Spannung zu bestehen, zwischen dem hier verfolgten Konzept sozialer Sensibilität und dem Titel Glamour oder den Rubriken, die man präsentiert: Beauty, Frisuren, Empowerment, Lifestyle, Shopping, X-Mas Deals, Women of the Year.

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Man wüßte doch gerne, welcher Quote die drei Präsidentinnen amerikanischer Elite-Universitäten ihre Positionen verdanken (war’s das Geschlecht, die Rasse, die sexuelle oder ideologische Ausrichtung?), die unlängst deutlich machten, daß sie zwar jede Mikroaggression an ihren Hochschulen im Keim ersticken würden, aber nicht dem Aufruf zum Massaker, falls sich der gegen Juden – und mithin Weiße – richten sollte.

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Zu den wohl unvermeidlichen Begleiterscheinungen der Vorweihnachtszeit zählt das gehäufte Auftreten von Parfümwerbung. In diesem Jahr sticht vor allem die für das Produkt „Goddess“ der Marke Burberry hervor: Im zugehörigen Film sieht man eine junge Frau, leicht geschürzt, einen Berg – wohl in einer Savannenlandschaft – hinauflaufen, begleitet von zwei Löwinnen, die sie, am Gipfel angekommen, ruhig sitzend flankieren. Man mag das für eine eher zufällige Inszenierung halten, aber sie entspricht doch irritierend dem Muster jener altorientalischen Darstellungen, die die „Herrin der Tiere“ zeigen. Sie war eine machtvolle Göttin, deutlich verschieden von der Großen Mutter oder den eher brünstigen oder harmlosen weiblichen Gestalten, die sonst einen Pantheon bevölkerten. Eine ihrer Nachfahrinnen könnte Artemis gewesen sein, in jedem Fall läßt das Auftreten heute an die Macht des Archetypus denken, die sich nie verliert, auch dann nicht, wenn die Zusammenhänge, der Mythos wie der Kult, lange vergessen sind. 

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 5. Januar 2024 in der JF-Ausgabe 2/24.