© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/24 / 12. Januar 2024

Die Grünen betreiben eine für das Land ruinöse Politik als Geschäftsmodell
Der Ungeist wabert fort
Thorsten Hinz

Es wäre nicht nur voreilig, es wäre falsch, aus dem Abschmelzen grüner Wähleranteile in den Umfragen eine politische und kulturelle Schubumkehr abzuleiten. Zu sehr ist die grüne Politikszene verflochten mit den Medien, mit dem universitären und dem Kulturbetrieb, den Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Die aber konstituieren im wesentlichen die „Öffentlichkeit“, in der die Begriffe geprägt, die Narrative geformt und die Meinungskorridore abgegrenzt werden. Zu tief haben die grünen Parteigänger und Sympathisanten sich in die staatlichen und semistaatlichen Institutionen eingegraben, als daß man hoffen dürfte, eine um ein Viertel oder Fünftel reduzierte Grünen-Wählerschaft würde eine konservative Gegenbewegung auslösen.

Als die Grünen 1990 bei den ersten gesamtdeutschen Wahlen unter die Fünf-Prozent-Marke rutschten, glaubten viele, sie als ein Ein-Generationenprojekt abschreiben zu können. Heute sehen wir, daß sie die vergiftete Frucht einer bundesdeutschen Kontinuität und imstande sind, Deutschland den Garaus zu machen. Die Partei ist lediglich das politische Konzentrat und die organisatorische Form eines Ungeistes, dessen richtige Bezeichnung „giftgrün“ lautet. Er ist hegemonial und durchwest und durchwabert alle Bereiche der Gesellschaft.  

Vor fast genau zwanzig Jahren, im Mai 2004, proklamierte der Journalist Bernd Ulrich, Jahrgang 1960, einer der einflußreichsten publizistischen Unterstützer der Partei, in der Zeit unter dem Titel „Jetzt sind wir dran“ den Machtanspruch seiner, der sogenannten „Boomer“-Generation. Gemeint war freilich nur ein bestimmtes, westdeutsches, akademisches, grün gesinntes „Boomer“-Segment. Zu dem Zeitpunkt regierten die Grünen seit fast sechs Jahren in einer Koalition mit der SPD, die über die „Agenda 2010“ zunehmend aus dem Tritt gekommen war, während die Grünen unter Joschka Fischer nach anfänglichem Schwächeln den Machtmachiavellismus perfektioniert hatten. Der Idealismus ihrer Anfangsjahre, die Natur-Romantik, der Pazifismus, das Aufbegehren gegen die ökonomische Zweckrationalität, die selbstverzehrende Gesinnungsethik, die sich im Leidensgesicht der 1991 tragisch verstorbenen Parteigründerin Petra Kelly ausgedrückt hatte, waren längst abgeräumt oder höchstens in Restbeständen noch vorhanden. 

Ulrich erklärte den Hegemonieanspruch seiner Favoriten wie folgt: „Eine Ahnung von dem, was kommen wird, haben sie also schon seit früher Jugend. Ihre kommunikativen Fähigkeiten sind ohnehin beträchtlich, sie können über alles reden, und zwar so vernünftig, daß es fast schon niederschmetternd ist.“ Als Sparring-Partner der 68er hätten sie „an Küchentischen Machtdiskurse gelernt und können darum verdeckt und lächelnd Vorteile erkämpfen“. Ulrich feierte einen Typ des Berufspolitikers, über den Ex-Bundespräsident Richard von Weizsäcker gesagt hatte, er sei „ein Generalist mit einem Spezialwissen, wie man politische Gegner bekämpft“.

Eben deshalb hatte Ulrich – heute stellvertretender Zeit-Chef – keinen Zweifel, daß die Grünen sich dauerhaft einrichten und das Land prägen würden: „Schon die 68er-Generation wird mit dem ihr eigenen erfinderischen Egoismus das Altern revolutionieren. Nicht zuletzt dürften die heute 40jährigen aufgrund ihrer Möglichkeiten in den kommenden Dekaden genügend Reichtum anhäufen – Ansprüche an den Staat, Eigentum, Netzwerke und Erfahrung. (...). Die Frage ist nicht, wie wir uns gegen künftige Ohnmacht wehren, sondern was wir mit unserer Macht anfangen wollen.“ 

Nun, die Stafette wird weitergereicht an radikale „Aktivisten“, die schon als Vierzehnjährige Seilschaften knüpfen, Mehrheiten organisieren, ohne Punkt und Komma gesinnungsstarke Erklärungen herunterrasseln und sich fotogerecht in Szene setzen können. Auf dem Portal „Achse des Guten“ hat ein Spaßvogel die Arbeitsbiographien der aktuellen grünen Bundestagsabgeordneten unter die Lupe genommen: „Immerhin 36 der 116 Abgeordneten geben an, einen Beruf erlernt zu haben, der zumindest pro forma zu wertschöpfender Tätigkeit qualifiziert.“ Von diesen haben allerdings nur 17 eine tatsächliche Tätigkeit außerhalb der Politik und des staatsnahen Sektors angegeben. Es handelt sich um eine soziale Negativ-Auslese. In den anderen Parteien ist der Trend ähnlich, aber die Grünen sind Spitze. 

So haben wir heute eine Außenministerin Annalena Baerbock, deren Wissensbestände, intellektuellen und verbalen Möglichkeiten – um es höflich auszudrücken – beschränkt sind. Trotzdem traute sie sich bei den Wahlen 2021 sogar das Kanzleramt zu, was sie als milieutypische Narzißtin ausweist. Für sie hat sich erfüllt, „(w)as sich kleine Mädchen in behüteten Verhältnissen halt für die Zukunft erträumen. Prinzessin mit Kutsche war gestern, jetzt muß der Jet der Flugbereitschaft herhalten“ (Fabian Schmidt-Ahmad).

Ein Staat, der solche Personen mit seinen auswärtigen Angelegenheiten betraut, sendet das Signal aus, daß er keine eigene Außenpolitik mehr zu betreiben gedenkt. Insofern ist die Übernahme des Auswärtigen Amtes durch Annalena Baerbock das Zeichen einer fortgeschrittenen Staatszerstörung. Ihre „feministische Außenpolitik“, schwadronierte sie, ziele darauf ab, „von Anfang an den Genderblick in Ressourcen und Köpfen zu verankern“. Außerdem installierte sie in ihrem Haus zwecks Welterrettung eine „Sonderbeauftragte für internationale Klimapolitik“.

Auf der internationalen Bühne stellt natürlicherweise Baerbock ein Leichtgewicht dar, ihre Pressekonferenzen muß sie schon mal vor leeren Stuhlreihen abhalten. Es wäre ein Wunder, wenn andere Regierungen – freundliche wie feindliche – sie nicht längst als Faktor einkalkuliert hätten, der es ihnen erleichtert, auf Kosten Deutschlands den Nutzen ihrer Länder zu mehren. Nur wagt es hierzulande niemand auszurufen, daß das Prinzeßchen nackt ist.

Aber auch Baerbock setzt im Grunde nur eine Kontinuität fort. Die Grünen konstituierten sich in einer Zeit, als die Generation der Flakhelfer, der um 1928/30 Geborenen, an den Hebeln der Macht saß. Diese Generation, schrieb Günter Maschke in einem Schlüsseltext, sei sich in einem einig gewesen: „Nie wieder darf Deutschland eine Macht bedeutenderen Zuschnitts sein.“ Das war die Lehre gewesen, die die gebrannten Kinder aus der Weltkriegskatastrophe gezogen hatten. Es genügte ihnen, im Schatten eines scheinbar wohlwollenden Hegemons ein politisch weitgehend außer Dienst gestelltes, dafür aber wirtschaftlich florierendes Gemeinwesen zu verwalten. Als Jürgen Habermas (Jahrgang 1929) noch glaubte, vor dem „D-Mark-Nationalismus“ des vereinten Deutschland warnen zu müssen, hatte Helmut Kohl (Jahrgang 1930) bereits die Preisgabe der harten Mark an eine europäische Weichwährung in die Wege geleitet.

In der Hypermoral der 68er, ihrer ins Religiöse reichenden Überhöhung des Schuldgedankens und ihrer Romantisierung des „edlen Wilden“, der in der Bundesrepublik das revolutionäre Subjekt ersetzen sollte, für das der wohlstandsgesättigte Proletarier sich nicht mehr eignete, waren immerhin noch Spuren von Idealismus erkennbar. Die heutigen Grünen betreiben eine für das Land ruinöse, suizidale Politik als Geschäftsmodell, das ihnen persönliche Vorteile verschafft. 

Ein fast durchweg defizitäres Spitzenpersonal will in der Politik seinen Wunsch nach sozialem Aufstieg verwirklichen. Seine Defizite machen es leicht steuer- und beeinflußbar, falsches Lob und soziale Rangerhöhung schmeicheln dem narzißtischen Ego. Die Roths, Göring-Eckardts, Nouripours, Özdemirs usw. sind ja nicht wegen ihrer Sachkenntnisse oder ihrer intellektuellen Großartigkeit für internationale „Young Leader“-Programme oder für Mitgliedschaften in transnationalen Zirkeln auserkoren worden, sondern wegen ihrer Brauchbarkeit vor Ort. Bezeichnend in dem Zusammenhang ist die Vita der  „Klimasonderbeauftragten“ im Auswärtigen Amt Jennifer Morgan: eine US-Amerikanerin, die als Geschäftsführerin von Greenpeace International tätig war. Im Eilverfahren wurde ihr die deutsche Staatsbürgerschaft verliehen, um sie zur verbeamteten Staatssekretärin zu ernennen.

Die Medien haben große Anstrengungen unternommen, die Mängel des grünen Personals als vorteilhaft erscheinen zu lassen. Baerbock erschien auf den Titelblättern von Spiegel und Stern als „Die Frau für alle Fälle“ und wurde mit der psychedelischen Schlagzeile „Endlich anders“ angepriesen. Der auffällig oft als Vizekanzler apostrophierte Wirtschaftsminister Robert Habeck wurde als „Kanzler der Herzen“ gefeiert. Seine Aussage „Vaterlandsliebe fand ich stets zum Kotzen. Ich wußte mit Deutschland nichts anzufangen und weiß es bis heute nicht“, sie darf als programmatisch für die Grünen gelten.

Die SPD, die Union, die FDP haben Wurzeln, die bis in die Vorzeit der Bundesrepublik zurückreichen. Mittlerweile sind sie weitgehend gekappt und verdorrt, doch haben sie die Parteien jahrzehntelang im doppelten Sinne geerdet. Die Grünen aber sind eine genuin bundesrepublikanische Partei. Ihr geschichtlicher Ausgangspunkt datiert auf 1945/49. Davor liegt eine geschichtliche Steppe, die „bewältigt“ gehört. Die Nichtsouveränität des Landes und das ins Negative gewendete Nationalgefühl sind für sie absolute, unhinterfragte Initialerfahrungen. Daher ist es für sie selbstverständlich, daß die Bundesrepublik unter global-universalistischen Losungen die Kollateralschäden fremder Kriege (Baerbock in schöner Einfalt: „Wir kämpfen einen Krieg gegen Rußland und nicht gegeneinander.“) oder die Überbevölkerung Afrikas übernimmt.

Lange konnte man sich damit rechtfertigen, echte Politik gar nicht nötig zu haben, es genüge, daß die Wirtschaft großartig floriere. Das war – eingeschränkt – richtig im Kalten Krieg, als die Verhältnisse festgezurrt waren. Jetzt sind sie fließend, und es zeigt sich, daß die große Wirtschafts- und Handelsnation nicht einmal ihre Gasleitungen in der Ostsee, geschweige denn ihre überseeischen Handelswege schützen kann. Aber auch die Wirtschaftspolitik im engeren Sinne liegt darnieder. Einst waren deutsche Wirtschaftspolitiker internationale Autoritäten. Die als „Eiserne Lady“ bekannte frühere britische Premierministerin Margaret Thatcher berichtet in ihren Memoiren über ein Treffen mit dem alten Ludwig Erhard. Sie habe sich, schreibt die nie an mangelndem Selbstbewußtsein leidende Thatcher, wie nach einem bestandenen Examen gefühlt, als Erhard sich zufrieden mit ihren Antworten zeigte.

Jetzt erleben wir, daß unfähige und ideologiegesteuerte Politiker fähig sind, eine intakte Wirtschaft zugrunde zu richten. Kein Satiriker hätte sich den Auftritt Robert Habecks bei Sandra Maischberger ausdenken können, der zur drohenden Insolvenzwelle deutscher Firmen sagte: „Dann sind die nicht insolvent automatisch, aber sie hören vielleicht auf zu verkaufen.“ Worauf die Moderatorin am Rande der Fassungslosigkeit erwiderte: „Wenn ich aufhöre, zu verkaufen, dann verdien’ ich kein Geld mehr. Dann muß ich die Insolvenz anmelden. Nach zwei Monaten, wenn ich’s nicht getan habe, hab ich Insolvenzverschleppung.“ Nach diesem Nachweis völliger Inkompetenz wäre in einem Vernunftstaat Habecks Rücktritt als Wirtschaftsminister fällig gewesen.

Den grünen Medienliebling bekümmern solche Kleinigkeiten nicht, denn er hat Großes im Sinn: „Wenn man sich Großes vornimmt, kann man scheitern, aber die Alternative wäre ja, sich nichts mehr vorzunehmen aus Angst, daß man scheitern könnte. Wer will in so einem Land leben und wer will so eine Bundesregierung haben? Ich hätte keinen Bock, in solch einer Regierung Minister zu sein. Deshalb voll ins Risiko und vielleicht gelingt es ja auch, und dann können wir alle miteinander stolz aufeinander sein.“

Es gibt historische Analogien zu dieser Ansage. Einem überdrehten Künstler, der im Café Größenwahn deliriert, könnte man sie locker durchgehen lassen. Ein Spitzenpolitiker hingegen, der in seiner Person den Träumer-Hans, den Dilettanten und faktenbefreiten Ideologen vereint, ist ein Sicherheitsrisiko ersten Ranges. Um es freundlich auszudrücken: Habeck fehlt das pragmatische Verhältnis zur Wirklichkeit. Tatsächlich hat er explizit zugegeben, daß er sich von ihr „umzingelt“ fühlt. Soll heißen: in feindlicher Absicht eingekreist. Habeck steht damit pars pro toto für die Grünen. Wer so sehr mit der Realität auf Kriegsfuß steht, dem bleibt nur der Ausbruch ins Irrationale. 

Widerstand aus dem etablierten Polit- und Medienzirkus hat er nicht zu befürchten. Ein Herausgeber der einstmals elitären, bürgerlich-konservativen FAZ hat Habecks Schmierenkomödie, die fotogene Staatsdenker-Simulation, zur Renaissance von Platon, Hobbes, Tocqueville etc. stilisiert: „In den Zwängen der Politik erkämpft er sich auf beeindruckende Weise Freiräume durch Nachdenklichkeit.“ Die Servilität der FAZ gegenüber dem Schaumschläger mag sich aus der Hoffnung auf staatliche Presseförderung erklären, für die das Bundeswirtschaftsministerium zuständig ist. Sie rührt aber wohl auch aus der Einsicht her, daß ein elitäres, bürgerlich-konservatives Publikum keine relevante Zielgruppe mehr bildet.

Ob Wokeness, Genderfragen, Transsexualität, Metoo, „Black Lives Matter“ oder die Aufregung wegen „kultureller Aneignungen“: Wo immer Idiotien und Hysterien zur Monsterwelle anschwellen, bilden Grüne ihre Schaumkrone. Das ist kein Zufall, denn ihnen geht es aus Prinzip um die Dekonstruktion von Strukturen und Traditionsbeständen, um die „Ablehnung hierarchischer Ordnung“, um die „vitale Selbstvergewisserung“, in der die Triebe nicht gezügelt,  sondern „als Agenturen lustvoller Entfesselung“ verstanden werden. Es sind die Merkmale der „dionysischen“, der statt auf Arbeit auf „Er-Leben“ orientierten Persönlichkeit, die der Historiker Rolf Peter Sieferle als Kennzeichen der modernen Massengesellschaften festgestellt hat und die von den Grünen exemplarisch verkörpert werden.

Sie stehen also auch in einem internationalen, westlichen Kontext. Das Besondere in der Bundesrepublik ist nur, daß hier die operative Politik zum grün durchwirkten Erlebnis-, Spaß- und Selbstverwirklichungspark degeneriert ist. Ein kluger Mann aus England sprach deshalb mal vom „Hippie-Staat“ (Anthony Glees). Der bleibt uns erhalten, so wie die Grünen wenigstens bis 2025 in der Regierung bleiben werden.






Thorsten Hinz, Jahrgang 1962, studierte in Leipzig Germanistik, war JF-Kultur-redakteur und ist heute freier Publizist. Auf dem Forum schrieb er zuletzt über Osteuropa in Kriegszeiten („Das Intermarium schlägt zurück“, JF 40/22).