© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/24 / 02. Februar 2024

Mehr Selbstbewußtsein wagen
Sicherheitspolitik: Ob Trump zurückkehrt oder nicht – in jedem Fall muß Deutschland besser gerüstet sein
Bruno Bandulet

Erst haben sie Wladimir Putin dämonisiert, jetzt da er an seinem Comeback als US-Präsident arbeitet, trifft es wieder Donald Trump. In der FAZ wurde er zum „Verrückten“ abgestempelt, im Spiegel zu einem „Diktator“, der die Welt verändern werde. Sympathien und Antipathien gegenüber auswärtigen Mächten und Personen, das wußte schon der ehemalige Reichskanzler Bismarck, sind ein Zeichen politischer Unreife und tragen den „Embryo der Untreue“ gegenüber dem eigenen Land in sich. Auch wenn wir Trump nicht mögen, müßten wir mit ihm auskommen. Sollte er die Wahlen im November wirklich gewinnen, wird die Welt keine andere sein. Es wird nur etwas ungemütlicher für die Deutschen und die Europäer. 

Joe Biden mußten sie auch ertragen. Er hat völkerrechtswidrige exterritoriale Sanktionen verhängt und damit in die Souveränität seiner Verbündeten eingegriffen. Er hat im Weißen Haus in Anwesenheit eines sprachlosen Bundeskanzlers Olaf Scholz mit dem Ende von Nord Stream gedroht. Er hat den freien Handel, auf den die Exportnation Deutschland angewiesen ist, mit Zöllen und protektionistischen Maßnahmen belegt. Sein „Inflation Reduction Act“ ist eine Kampfansage an die europäische Industrie. 

Schon Trump rief China, die zweite Supermacht, zum Gegner aus – Biden knüpfte nahtlos an. Und da ist noch der größte Fall von Staatsterrorismus seit dem Zweiten Weltkrieg, der Anschlag auf die Erdgasleitungen in der Ostsee. Die Bundesregierung stellt sich unwissend, weil sie sonst Konsequenzen ziehen müßte. Hätte Trump die Leitungen gesprengt? Die amerikanischen Geheimdienste werden wissen, wer es getan hat.

Einerseits spielen die Medien und die politische Klasse das Gespenst einer amerikanischen Gefahr von rechts auf, andererseits fürchten sie den Verlust des atomaren Schutzschirms, sollten die Vereinigten Staaten die Nato verlassen. „I don’t give a shit about Nato“, spottete Trump noch 2019. Würde er das Bündnis tatsächlich aufkündigen? Nein. Mit Ramstein und den anderen Militärbasen fungiert Deutschland als unsinkbarer Flugzeugträger der imperialen Weltmacht. Sie wird ihre Truppen nicht abziehen. Sie wird aber unter Trump ebenso wie unter Biden verlangen, daß die Deutschen mehr für ihre Verteidigung tun. Darauf hätten wir auch selbst kommen können. Der dysfunktionale Zustand der Bundeswehr stellt mit und ohne amerikanische Ermahnungen einen Skandal dar.

Und wie soll der amerikanische Schutzschirm im Ernstfall funktionieren? Bestandteil der Nato-Kriegsspiele während des Kalten Krieges war der Einsatz von taktischen Atomwaffen auf deutschem Boden. Als Helmut Schmidt Bundeskanzler war, äußerte er einmal gegenüber Klaus von Dohnanyi, ihm sei diese Strategie der Nato bekannt und er werde Deutschland für neutral erklären, sobald kriegsähnliche Entwicklungen in Europa erkennbar seien. Schmidt wußte, daß der „Schutzschirm“ nie bedeutet, daß die Atommacht USA die eigene Vernichtung riskiert.

Weil auch Franz Josef Strauß das wußte, opponierte er gegen den Beitritt zum Atomwaffensperrvertrag. Er sah in der deutschen Bombe ein wünschenswertes Attribut der Souveränität. 2018 war es der Politikwissenschaftler Christian Hacke, der den „weißen Elefanten im Raum“ wiederentdeckte. Deutschland müsse Atommacht werden, forderte er, weil auch ein französischer Nuklearschirm keine Alternative sei. Denn nukleare Gewalt lasse sich nicht teilen. Hackes Vorstoß war in sich logisch, aber eine Totgeburt. Er bleibt illusionär, nachdem sich die Bundesrepublik aus der zivilen Nutzung der Atomenergie verabschiedet hat und weil das Risiko, daß die USA und Rußland nicht mitspielen, zu groß wäre.

Wer wollte Emmanuel Macron widersprechen, wenn er sich für die „strategische Autonomie“ Europas stark macht. Wie so oft liegt der Teufel im Detail. Die Idee einer europäischen Atomstreitmacht ist bestechend. Wer aber soll den Einsatzbefehl geben? Ein Procedere nach Brüsseler Manier wäre nicht praktikabel. Es würde wohl darauf hinauslaufen, daß Berlin die französische Nuklearwaffe mitfinanziert und dafür eine Art von „nuklearer Teilhabe“ bekommt. Auch die mit den USA vereinbarte ist nicht viel wert. 

Leichter realisierbar ist der Neuaufbau der Bundeswehr, die in ihrer derzeitigen Verfassung nicht einmal bedingt abwehrbereit ist. Sie wurde in der Ära Merkel nicht nur kaputtgespart, sie wurde schäbig mißachtet. Ursula von der Leyen war im Verteidigungsressort eine Zumutung für die Truppe, Christine Lambrecht ein Totalausfall. Boris Pistorius, der gedient hat, bringt den Soldaten endlich wieder Wertschätzung entgegen. Bisher glänzt er mit Ankündigungen. Er geht einen schweren Gang. Der Verteidigungsetat für 2024 wurde schon wieder gekürzt. Und er zäumt das Pferd von hinten auf. Von den drei Heeresdivisionen, die bis 2031 aufgestellt sein sollen, ist noch nichts zu sehen – und schon hatte er im Alleingang beschlossen, zwei Bataillone zusammenzukratzen, um eine Brigade dauerhaft in Litauen zu stationieren. Die Verteidigung des eigenen Landes rangiert an zweiter Stelle.

Zur Entwicklung einer strategischen Kultur und einer realistischen geopolitischen Lagebeurteilung hat Pistorius bislang ebensowenig beigetragen wie Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Roderich Kiesewetter. Die Freidemokratin gibt sich unangenehm martialisch, der Christdemokrat rasselt mit fremden Säbeln, wenn er eine Blockade von Königsberg ins Gespräch bringt. Die Unterstellung, Putin plane einen Angriff auf die Nato, ist nicht glaubhaft, taugt aber zur Stärkung des Wehrwillens. So oder so liegt es nicht im deutschen Interesse, die Russen für immer zu entfremden und zu verlieren. Wir teilen mit ihnen einen Kontinent, die Amerikaner nicht.

In Sachen Ukraine laufen die deutschen Bellizisten Gefahr, nach einer Rückkehr Trumps zwischen allen Stühlen zu sitzen. Als er sich im November 2022 ein zweites Mal um das Amt des Präsidenten bewarb, sagte er: „Der Krieg in der Ukraine wäre nicht passiert, wenn ich Präsident gewesen wäre.“ Wenn er sich mit Putin darauf einigt, den Konflikt einzufrieren, wird Deutschland – der mit Abstand zweitgrößte Geldgeber – die amerikanische Militärhilfe nicht ersetzen können. Dann ist der Krieg zu Ende, und einsatzbereite deutsche Streitkräfte werden immer noch gebraucht. Sie stärken das politische Gewicht nicht zuletzt gegenüber Washington, sie untermauern den Anspruch auf Souveränität, und sie harmonieren mit der Vision einer gesamteuropäischen Sicherheitsordnung, die schon einmal greifbar nahe schien: Deutschland als Friedensmacht, selbstbewußt und gerüstet.