© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/24 / 16. Februar 2024

Alter Wein in neuen Schläuchen
RBB startet Twitch-Format für junge Zielgruppe: Talk-Sendung nach längst bekanntem Muster
Vincent Steinkohl

Schon Schiller wußte: „Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.“ Das dachten sich offenbar auch die Verantwortlichen beim öffentlich-rechtlichen Fernsehsender RBB und starteten eine eigene Twitch-Sendung.

Am 31. Januar ging die erste Folge von „Politik und wir“ auf der ursprünglich als Gaming-Plattform für ein junges Zielpublikum gedachten App online. Dreimal im Monat will das RBB-Format künftig mit den Online-Zuschauern über aktuelle gesellschaftliche Debatten sprechen. Thema der ersten Folge: „Überlastete Hausärzte – Wie krieg ich endlich nen Termin?“

Die Moderatorin Franziska Hoppen sagt zur Begrüßung, wo die Reise hingehen soll. Der Zuschauer soll „direkt mit der Politik ins Gespräch“ kommen. Wer schon einmal Probleme hatte, einen Termin beim Hausarzt zu bekommen, könne das in den Chat schreiben. Dann stellt sie ihre Gäste vor: die Hausärztin Antonia Stahl und den SPD-Bundestagsabgeordneten Matthias Mieves. Im Studio herrscht dieselbe Harmonie, die der ÖRR-Zuschauer bereits aus den Fernseh-Talkshows kennt – solange kein Konservativer zu Gast ist. Mieves betont zu Anfang, daß sein Parteikollege, Bundesgesundheitsminister Lauterbach, seine Sache gut mache. Kein Widerspruch.

Neben den auch im Fernsehen üblichen Einspielern werden immer wieder Twitch-Zuschauer live zugeschaltet, um per Webcam mitzudiskutieren. Weil die Gäste jedoch von einem Moderationsteam vorselektiert werden, kommt hier nicht so richtig Feuer auf. 

Steile Thesen, etwa vom zugeschalteten Pascal Lemmer von der Fachschaftsinitiative der Berliner Charité, stoßen nicht auf Gegenwind. Wenn viele junge Berufseinsteiger sich nicht kassenärztlich niederlassen wollen, habe das neben den finanziellen Risiken auch andere Gründe: Der „alte Schlag“ von zumeist männlichen Kassenärzten, „die ganz viel arbeiten konnten, weil sie eine Frau zuhause hatten“, sei nicht mehr zeitgemäß. Lemmers Konklusion: Allgemeine gesellschaftliche Veränderungen müssen auch in der Gesundheitspolitik berücksichtigt werden. Zustimmendes Nicken von allen Beteiligten.

Eine zugeschaltete Nutzerin namens „autistischer Igel“ sorgt kurz für Schwung in der dahinplätschernden Gesprächsrunde. Als IT-Angestellte mit direkter Arbeitserfahrung im öffentlichen Dienst, plädiert sie für radikalen Bürokratieabbau. „Es sind zu viele Leute, die Innovationen bremsen.“ Die Zuschauer im Chat sehen das ähnlich. SPD-Mann Mieves versichert, daran zu arbeiten. Nach etwa zwei Stunden endet das Pilot-Projekt mit einer Themenankündigung für die nächste Folge: „Unsichere Zeiten – Braucht Deutschland mehr Soldat*Innen?“

Abgesehen von dem am Bildrand vorbeirauschenden Live-Chat unterschied sich die Sendung in der Auswahl der Gäste und in der Breite der geäußerten Meinungen nicht von den üblichen TV-Diskussionsformaten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Zeitgemäße Optik für alten Wein in neuen Schläuchen.