Die Sowjetukraine war – pro Kopf gerechnet – der größte Produzent von Roheisen und Zucker in Europa, der zweitgrößte bei Stahl und Eisenerz und der drittgrößte Kohleförderer. Mit der Unabhängigkeit 1991 wuchs der Agrarsektor. Das Schwarzerde-Land wurde weltgrößter Exporteur von Roggen und Sonnenblumenerzeugnissen, errang Platz drei bei Gerste und Platz vier bei Weizen. Dennoch blieb das zweitgrößte Land Europas mit seinen 44 Millionen Einwohnern insgesamt auf dem Niveau von Namiba: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf lag bei 4.828 Dollar (2021) – weniger als ein Zehntel von Deutschland. In Rußland waren es 12.198, in Turkmenien 10.311, in Kasachstan 9.977 und in Weißrußland 7.295 Dollar.
Der reichste Mann Rußlands, Andrej Melnitschenko, wird von Forbes auf 25 Milliarden Dollar taxiert – das reicht für Platz 75 in der globalen Milliardärsliste. Der reichste Mann der Ukraine, Rinat Achmetow, kommt mit 5,7 Milliarden Dollar nur auf Rang 500. Das ist aber immerhin das Fünffache der Summe, die Olaf Scholz vorige Woche dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zugesagt hat: 1,13 Milliarden für weitere Rüstungsgüter sowie ein Sicherheitsabkommen und weitere Hilfe beim Wiederaufbau nach Kriegsende. Bis Januar hatte Deutschland der Ukraine Militärhilfen von 17,7 Milliarden Euro zugesagt.
Deutschland mit 43,5 Milliarden Euro drittgrößter Unterstützer
Hinzu kommen 1,41 Milliarden Euro an Finanz- und 2,95 Milliarden Euro an humanitären Hilfen. Der größte Ukraine-Posten sind aber die Ausgaben für Flüchtlinge, die sich laut dem „Ukraine Support Tracker“ des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) auf 21,44 Milliarden Euro summieren. Mit zusammen 43,5 Milliarden Euro ist Deutschland damit der drittgrößte Ukraine-Unterstützer. Mit 77,18 Milliarden Euro an Hilfszusagen ist die EU, auch dank Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, der größte Ukraine-Unterstützer – noch vor den USA mit umgerechnet 67,71 Milliarden Euro (davon Militärausgaben: 42,22 Milliarden). Für Flüchtlinge zahlen die USA nichts – ebenso wie Japan, Kanada, Südkorea, Australien, Taiwan und Neuseeland.
Mindestens ein Viertel der EU-Hilfen muß letztlich auch Deutschland zahlen. Viertgrößter Unterstützer ist mit 25,03 Milliarden Euro Polen. Dabei liegen dessen Finanz- und Militärhilfen nur bei 4,3 Milliarden Euro, doch die Flüchtlingskosten haben mit 20,73 Milliarden Euro „deutsche“ Dimensionen erreicht. Dabei liegt das polnische BIP pro Kopf nur bei einem guten Drittel von Deutschland. Großbritannien, das in seiner Kompromißlosigkeit gegenüber Moskau selbst die Balten übertrifft, kommt mit 17,56 Milliarden Euro an Hilfszusagen lediglich auf Rang 5. Dänemark liegt mit 9,48 Milliarden Euro schon auf Rang 6.
Frankreich kommt mit 7,94 Milliarden Euro auf Platz 9 – und das auch nur, weil darin 6,14 Milliarden Euro Flüchtlingskosten enthalten sind, die drittgrößten in der EU. Ähnliches gilt für Spanien: Die 5,72 Milliarden Euro an Ukraine-Hilfen enthalten 4,79 Milliarden Euro Flüchtlingskosten. Und die 3,55 Milliarden Euro aus Italien enthalten 2,25 Milliarden Euro Flüchtlingskosten. Da die meisten EU-Partner sich beim Ukraine-Engagement eher zurückhalten und in Washington der Geldhahn vorerst zugedreht wurde, ist Deutschland um so mehr gefordert. Doch woher soll das Geld kommen? Ein „Ukraine-Soli“ kommt bei den Wählern nicht gut an. Spürbare Ausgabenkürzungen sind ebenso tabu. Daher fordern SPD- und Grünen-Politiker, die Schuldenbremse auszusetzen.
Da macht die FDP nicht mit – doch auf kräftiges Wirtschaftswachstum zur Kriegsfinanzierung zu hoffen ist ebenso trügerisch: „Nicht am Krieg beteiligte Drittländer dürften BIP-Verluste von rund 250 Milliarden Dollar verzeichnen“, warnt die neue Studie „The Price of War“, die von Forschern des IfW und der Uni Tübingen erstellt wurde (Kiel Policy Brief 171/24). Etwa 70 Milliarden Dollar davon würden in der EU anfallen, und davon 15 bis 20 Milliarden Dollar in Deutschland. Historische Erfahrungen würden lehren: „Das reale BIP fällt hier nach fünf Jahren durchschnittlich um zehn Prozent, während die Inflation um fünf Prozentpunkte steigt. Kriege haben erhebliche negative externe Effekte auf die Nachbarn.“
Für weiter entfernte Länder könnten die Kriegseffekte aber auch positiv sein – sprich: China, Indien, USA & Co. könnten die wahren Gewinner sein. Der größte Verlierer stehe aber schon fest: „Die Erfahrung aus vergangenen Kriegen läßt erwarten, daß die Ukraine bis zum Jahr 2026 rund 120 Milliarden Dollar an Wirtschaftsleistung verlieren und gleichzeitig der ukrainische Kapitalstock um fast eine Billion Dollar fallen wird“, konstatieren die Studienautoren.
„Militärische Abschreckung aus ökonomischer Perspektive sinnvoll“
„Insgesamt zeigen die Berechnungen einmal mehr, wie hoch auch ökonomisch der Wert des Friedens ist und wie katastrophal ein Krieg auf eigenem Boden in jeder Hinsicht ist“, erläutert IfW-Präsident Moritz Schularick. „Militärische Stärke und glaubwürdige Abschreckung, die Angriffe von außen unwahrscheinlich machen, sind insofern auch aus ökonomischer Perspektive sinnvoll.“
Derzeit unterstützen 39 westlich orientierte UN-Staaten sowie die EU die Ukraine mit Hilfszusagen von bislang insgesamt 255,38 Milliarden Euro. 87,96 Milliarden Euro davon (34,4 Prozent) sind allein Flüchtlingsausgaben – die Hälfte davon tragen Deutschland, Polen und Frankreich. Von den bislang 101,93 Milliarden Euro Militärhilfen kommen 59 Prozent von den USA und Deutschland. China, Brasilien, Indien, Indonesien, Pakistan oder Vietnam zählen laut IfW nicht zu den Ukraine-Unterstützern. Das Nato-Mitglied Türkei hat nur 60 Millionen Euro Militärhilfe geleistet – aber immerhin 1,67 Milliarden Euro für Ukraine-Flüchtlinge ausgegeben.
Rußlands Kriegskosten belaufen sich laut Berechnungen des US-Verteidigungsministeriums auf 211 Milliarden Dollar. Das kriegs- und sanktionsbedingte „entgangene“ russische Wirtschaftswachstum soll sich bis 2026 sogar auf 1,3 Billionen Dollar summieren, rechnete Vizepräsidentin Kamala Harris auf der Münchner Sicherheitskonferenz vor. Dem wären die eroberten, aber teilweise zerstörten ukrainischen Gebiete und die Krim „gegenzurechnen“. Doch dafür gibt es – wie bei den Gefallenen und Kriegsinvaliden – keine seriösen Zahlen.
„Ukraine Support Tracker“ des IfW Kiel: