In rüdem Ton hatte die Berlinale-Festivalleitung die an fünf AfD-Politiker ergangenen Einladungen zurückgezogen. Die Partei würde Positionen vertreten, „die den Grundwerten der Demokratie zutiefst widersprechen. Forderungen nach einer homogenen Gesellschaft, nach Zuwanderungsrestriktionen und Massenabschiebungen, homophobe und queerfeindliche oder rassistische Äußerungen bis hin zu schlimmem Geschichtsrevisionismus und klarem Rechtsextremismus“. Natürlich muß die AfD sich darüber ordentlich empört zeigen, das gehört zum politischen Spiel. In der Sache aber lohnt die Auseinandersetzung mit solchen Leerformeln, Unterstellungen, Un- und Halbwahrheiten nicht mehr. Es genügt festzustellen, daß der Kulturbetrieb verbal und geistig genauso arm dran ist wie der Politiktrieb und beide unter einer Decke stecken.
Die Berliner AfD-Chefin Kristin Brinker hat ja recht mit dem Vorwurf: „Sie grenzen Menschen aus, die mit den herrschenden Verhältnissen hadern und sich mit der Hoffnung auf eine Revitalisierung der Demokratie uns, der AfD, zuwenden“. Doch ihr Befund, die Ausladung sei ein „kulturpolitisches Fanal“, ist unzutreffend. Vielmehr handelt es sich um business as usual, um die Fortsetzung des üblichen Geschäftsgangs im Kulturbetrieb. Überhaupt – was wollten die AfDler als öffentliche Personen auf der Berlinale? Eine Normalität, eine Zugehörigkeit vortäuschen, die es nicht gibt, nicht geben kann? Sich beleidigen lassen? Die Eröffnungsrede der Geschäftsführerin Mariëtte Rissenbeek war eindeutig: „Haß steht nicht auf unserer Gästeliste.“ Draußen auf dem roten Teppich wedelten Schauspieler mit Losungen wie „Fck AFD“ und „No Racism!“ herum.
Es wirkt überdreht und vermessen, wenn Hollywood-Stars meinen, ihr globaler Ruhm erlege ihnen eine missionarische Pflicht zur Rettung der Welt auf. Die deutschen „Promis“ der B-, C- und D-Klasse aber, die lauthals ihren unmaßgeblichen Senf zur Politik absondern, sind ein Grund zum Fremdschämen. Ihre Buhlerei um ein bißchen Blitzlicht und einen Platz auf der nächsten Besetzungsliste ist offensichtlich.
Die Jury-Präsidentin und Hollywood-Schauspielerin Lupita Nyong’o, eine Oscar-Preisträgerin mit kenianischen Wurzeln, winkte denn auch müde ab: „Ich bin eine Ausländerin hier und kenne die Besonderheiten der politischen Situation nicht.“ Mit anderen Worten: Was hier abgeht, ist eine sehr provinzielle, sehr kleinliche, sehr deutsche Angelegenheit.
Der Regisseur Dominik Graf hat sie in drei Sätzen zusammengefaßt: „Und die Kunstfilmbranche braucht ja auch dringend die Teilhabe an Debatten der Tagespolitik zum Zwecke der Selbstvergewisserung der eigenen Bedeutung. Denn ihre Sehnsucht, als gesellschaftlicher Player noch weiterhin wahrgenommen zu werden, ist sehr groß. Allerdings werden die Filme dadurch nicht zwangsläufig besser.“ Natürlich nicht, denn der politisch korrekte Opportunist ist gegenüber dem Individualisten, der sich auf ein künstlerisches Anliegen konzentrieren will, klar im Vorteil. Grafs Befund gilt nicht nur für die Berlinale, sondern für große Teile des offiziellen Kulturbetriebs.
Der Exlinke Bernd Stegemann, Dramaturg und Professor an der Hochschule für Schauspiel „Ernst Busch“ in Berlin, hat im Cicero die Ausladung der AfD-Vertreter scharf kritisiert, und zwar mit Hinweis aus die Rolle des Theaters in der antiken Polis. Dort versammelten die streitbaren Bürger sich zum gemeinsamen Erlebnis der griechischen Tragödie, die ihnen modellhaft vorführte, daß Konflikte und Widersprüche schnell in blutige Konfrontation zum allseitigen Schaden umschlagen können. „Seitdem gehört es zum Kern demokratischer Weisheit, die fremde Meinung nicht zu verdammen, sondern sie im Wettbewerb der Argumente um Stimmen kämpfen zu lassen.“ Diese „zivilisierende Kraft des Theaters“ hätte Stegemann auch dem Filmfestival gewünscht.
Das ist lieb gemeint, aber nicht einmal von gestern, sondern bereits von vorgestern. Seit Jahren, seit Jahrzehnten sieht der linkslastige Kulturbetrieb seine vornehmliche Aufgabe darin, alles, was sich seinem Verständnis von Progressivität verschließt, lächerlich zu machen und zu delegitimieren.
2015 inszenierte Falk Richter an der Berliner Schaubühne das Stück „Fear“, in dem es um oder besser gegen Pegida, die AfD, die doofen Ossis, gegen Hedwig Freifrau von Beverfoerde – die Gründerin der Initiative Familienschutz und Mitorganisatorin der „Demo für alle“ – und die AfD-Politikerin Beatrix von Storch ging. Unter Verwendung ihrer Fotos figurierten sie als eine Art Nazi-Zombies; Assoziationen zum Massenmörder Anders Breivik sowie zu Beate Zschäpe wurden hergestellt. Das war eine kaum noch camouflierte Feinderklärung, die als solche auch verstanden wurde: Auf Beverfoerdes Familienunternehmen wurde kurz darauf ein Brandanschlag verübt, und von Storch bekam eine Torte ins Gesicht geknallt. Die öffentlich vernehmbaren Reaktionen bestanden überwiegend aus glucksendem Gelächter.
Seitdem ist es schlimmer statt besser geworden: So hat das einst ehrwürdige Berliner Ensemble an der Inszenierung der Correctiv-Kampagne um die angebliche „Wannseekonferenz 2.0“ direkt mitgearbeitet, indem es deren Resonanz durch eine szenische Lesung vergrößerte. Zugespitzt gesagt: Die Künste betätigen sich als Partei im Kalten Bürgerkrieg. Im übrigen: Von welcher Polis spricht Stegemann eigentlich?
In der FAZ findet Feuilletonredakteur Dietmar Dath den Ausschluß der AfD-Vertreter grundsätzlich richtig, denn „(a)lle einschlägigen Äußerungen der AfD und ihres Umfelds belegen deren komplett instrumentelles Verhältnis zur Kultur. Wo die extreme Rechte je gesiegt hat, war sie nicht mehr rechts, sondern überall. Wenn sie bestreitet, extrem rechts zu sein, meint sie den Vorgriff darauf. Eben der ist abzuwehren.“ Andernfalls drohe „nicht nur inhaltlich, sondern auch formal die kategorische Verneinung liberaler Gleichheits- und Freiheitstraditionen, die Linke stets radikalisieren und verallgemeinern wollen.“ Der in der Wolle gefärbte Marxist-Leninist beruft sich auf „Walter Benjamins Wort, solche Siege seien auch ein Ergebnis der erfolgreichen faschistischen Ästhetisierung des Politischen“.
Benjamins Beobachtung, der Faschismus ließe „die Massen zu ihrem Ausdruck (beileibe nicht zu ihrem Recht) kommen“, war in der Tat scharfsichtig. Nur waren die Massenchoreographien, in denen die Beteiligten die eigene Unterdrückung und Manipulierung feierten, keine faschistische und nationalsozialistische Exklusivität. Der ganzheitliche Ausgriff auf die Lebenswelt war im Reiche Stalins sogar noch schlimmer. Es handelt sich also um kein spezifisch rechtes oder linkes, sondern um ein totalitäres Phänomen des Massenzeitalters. Zudem wissen wir, daß der Totalitarismus nicht mehr an rote oder braune Groß-ideologien gebunden ist. Heute zeichnen sich die Umrisse eines postmodernen, flexiblen Neo-Totalitarismus ab, der die Künste und den Kulturbetrieb wie gehabt einbezieht.
So ist die Wannsee-2.0-Phantasmagorie zur Initialzündung für bundesweite Massenmobilisierungen geworden. Unter Losungen wie „Bunt statt braun“ feiern die „Teilnehmenden“ ihren Infantilismus und ihr Einverständnis mit der Macht: Der „Kampf gegen Rechts“ ist zum Gesamtkunstwerk einer in selbstverschuldete Unmündigkeit verfallenen Gesellschaft geworden. Ob faschistische „Ästhetisierung der Politik“ oder die „Politisierung der Kunst“ beziehungsweise „ihre Fundierung auf Politik“ , wie von Benjamin gefordert – es läuft auf dasselbe hinaus. Und die politisierenden Schauspieler auf dem roten Berlinale-Teppich demonstrierten ihre stramme Linientreue.
Das komplett instrumentelle Verhältnis zur Kultur, das Dath der machtlosen AfD vorhält, wird von den machthabenden Parteien längst in die Tat umgesetzt. Die Filmförderung wird an Kriterien wie Diversität, Inklusion, Geschlechtergerechtigkeit, Nachhaltigkeit, also an die Akzeptanz des woken Weltbildes gebunden. Es werden künftig wohl vermehrt Lehrfilme produziert wie „Je suis Karl“, in dem ein vermeintlich islamistischer Terroranschlag sich als identitäre False-Flag-Aktion erweist und der hübsche Janis Niewöhner den fotogenen Martin Sellner entsprechend verzeichnet.
Die Alternative zu solcher ideologisch motivierten Kulturpolitik kann nicht im Austausch der ideologischen Vorzeichen bestehen. Es muß darum gehen, eine Kunst zu ermöglichen, die, statt die „böse Liebe des Volkes, zu dem was man ihm antut“ (Theodor Adorno) zu füttern und an der „Elimination von Alternativen“ (Hans Magnus Enzensberger) mitzuwirken, das imaginative Potential der Rezipienten herausfordert und ihn befähigt, sich über die Trivialitäten des Alltags und der Politik zu erheben.
Eine Alternative, die darum barmt, vom eliminatorischen Kulturbetrieb akzeptiert und in ihn integriert zu werden, würde sich selber aufheben. Adorno: „Das Wunder der Integration aber, der permanente Gnadenakt der Verfügenden, die Widerstandslosen aufzunehmen, meint den Faschismus.“ Ersetzen wir den Begriff durch „woken Neototalitarismus“, dann trifft es die Gegenwart. Und statt über die Ausladung zu jammern, kann man sie innerlich mit Stolz tragen in der Überzeugung: Da hatten wir nichts zu suchen!