© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/24 / 08 März 2024

„Es gibt keinen Streit“
ID-Fraktion: Nach den Spannungen ist die Zeit reif für eine Annäherung zwischen AfD und Rassemblement National
Hélène de Lauzun

Die Beziehungen zwischen dem Rassemblement National (RN) und der Alternative für Deutschland (AfD), zweier Parteien, die in der Fraktion Identität und Demokratie im Europäischen Parlament verbündet sind, geriet nach einer Kabale in der deutschen Presse gegen die AfD im Zusammenhang mit der Remigration, einem Prinzip, das angeblich von der AfD vertreten wurde und das der RN ablehnt, in unruhige Fahrwasser. 

Der deutsche Blog „Correctiv“ veröffentlichte im Januar einen gegen die AfD gerichteten Artikel, in dem behauptet wurde, die Partei habe sich für die Remigration von nicht assimilierten deutschen Staatsbürgern ausgesprochen. Obwohl dies von der AfD dementiert wurde, erklärte Marine Le Pen, Chefin der RN-Abgeordneten im französischen Parlament, anläßlich einer Pressekonferenz Ende Januar: „Bei derart großen Unterschieden“ müsse man „darüber nachdenken, ob man gemeinsam in einer Gruppe verbleiben“ könne.

Dem Rassemblement National fällt es schwer, eine Linie festzulegen 

Die Verurteilung der AfD durch Le Pen hatte den Zweck, der französischen Öffentlichkeit Signale der Respektabilität zu senden. Der Rassemblement National ist besessen von der Idee, einen makellosen Diskurs zu symbolischen Fragen des Rassismus oder impliziten Verweisen auf den Zweiten Weltkrieg zu bieten.

Seitdem haben die beiden Rechtsparteien versucht, eine schwierige diplomatische Annäherung einzuleiten. Doch Thibaut François, Mitglied des französischen Parlaments, erklärte laut dem Nachrichtenportal Euractiv, daß man von der AfD eine schriftliche Zusicherung verlange, daß die „Remigration“ nicht Teil des Parteiprogramms sein werde. Dies ist jedoch für die AfD unmöglich zu erfüllen, da der Begriff bereits in verschiedenen Programmen, wie dem EU-Wahlkampf, verwendet wird.

Am Dienstag, den 20. Februar, fand in Paris ein diskretes Mittagessen zwischen Alice Weidel, Co-Vorsitzende der deutschen Partei, Jordan Bardella, Vorsitzender des RN und Spitzenkandidat des RN für die Europawahlen, und Marine Le Pen, statt. Zunächst wollte der Rassemblement National nicht über dieses hochstrategische Mittagessen berichten, da es schwierig ist, eine offizielle Linie festzulegen. Denn innerhalb des RN stehen sich zwei Lager gegenüber. Die Befürworter einer Distanzierung von der AfD sind der Ansicht, daß die deutschen Freundschaften des RN auf nationaler Ebene gegen ihn arbeiten und die Partei zu ihrem schlechten Ruf zurückführen. 

Die RN-Europaabgeordneten hingegen halten an diesem Bündnis fest, das unerläßlich ist, um ihrer Fraktion im Europaparlament maximale Macht zu verleihen. Auch wenn der Rassemblement National in den Umfragen für die Wahl am 9. Juni mit starken Ergebnissen rechnen kann wird, kann das Spiel mit den Gleichgewichten im Parlament den Sieg schwächen: „Die Möglichkeiten reichen von keiner Fraktion bis zu einer Superfraktion“, erinnerte Bardella, Spitzenkandidat des RN, in einem Gespräch mit Journalisten am 29. Februar. Die Europaabgeordneten machten daher ihren Einfluß geltend, um zur Wiederaufnahme der Beziehungen mit der AfD beizutragen und so die Einheit der Fraktion zu wahren.

Auf der deutschen Seite stehen andere Dinge auf dem Spiel. Alice Weidel teilte ihre Erfahrungen in den Stunden nach dem Mittagessen mit Wärme und Begeisterung auf ihrem X-Account. Nach diesem Post dementierte der Rassemblement National nicht, wollte aber auch nicht sofort kommentieren. Es dauerte einige Tage, bis die Mitteilung der französischen Partei über das Mittagessen und seine Folgen fertiggestellt war. Am Sonntag, den 25. Februar, erläuterte der Parteivorsitzende Jordan Bardella seine Version der Ereignisse auf der Bühne von BFM TV. Er stellte das Mittagessen mit Alice Weidel als eine Initiative von ihm und Marine Le Pen dar, mit der sie „ihre Uneinigkeit“ in der Einwanderungsfrage zum Ausdruck bringen wollten. Bardella erklärte, daß die AfD-Co-Vorsitzende „eine Reihe von Präzisierungen eingebracht habe, die sie uns schriftlich zu liefern versprochen hat“. 

Am 26. Februar schrieb Weidel dann einen Brief an Le Pen, in dem sie die Position der AfD zum Thema Remigration klarstellte. Darin wies Weidel darauf hin, daß „unterschiedliche Bedeutungen von Begriffen beziehungsweise Übersetzungen in den jeweiligen Sprachen“ es schwierig machten, manche Dinge zu erklären. „So ist zum Beispiel das englische gebräuchliche Wort für Abschiebungen ‘deportation’ im Deutschen mit Gewalt und Zwang verbunden und könnte nie in diesem Zusammenhang benutzt werden.“ Ähnliches gelte für das deutsche Wort Remigration, betonte Weidel. Dieses meine im Deutschen „lediglich die Anwendung bestehender Gesetze“, stellte die AfD-Chefin klar.

Am 28. Februar erklärte Le Pen dann auf dem Salon de l’Agriculture in Paris nur kurz auf eine erneute Anfrage eines Journalisten, was sie von den  auf Briefpapier übermittelten Erklärungen zu der Polemik halte: „Erstens, erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, daß ich es mäßig geschätzt habe, [diesen Brief] in der Presse wiederzufinden, noch bevor ich ihn erhalten habe. Zweitens scheint es mir, daß es noch eine Reihe von offenen Fragen gibt.“

Bardella begrüßte die Erklärung von Alice Weidel. Am Dienstag erklärte auch Jean-Paul Garraud, Leiter der RN-Delegation im EU-Parlament, gegenüber der JUNGEN FREIHEIT, daß es keinen „Streit“ gebe. „Es gibt offene und herzliche Diskussionen, die von einigen französischen Medien karikiert werden, um zu versuchen, unsere Fraktion wenige Monate vor den Wahlen zu destabilisieren, wahrscheinlich aus Angst vor den zu erwartenden guten Wahlergebnissen.“ Derzeit sei noch nichts entschieden. „Ich denke, daß die deutsche und die französische Presse allein in einem Tunnel von Interpretationen und Analysen, die weit von der Realität entfernt sind, unterwegs sind. Wir sind in Gesprächen mit der AfD, um sicherzustellen, daß wir auf derselben Wellenlänge sind. Das tun wir auch mit allen unseren europäischen Verbündeten“, erklärte Garraud gegenüber der JF und fuhr fort: „Der Rassemblement National hat Frau Weidel um Klarstellungen gebeten, die in diesem Schreiben enthalten sind. Wir werden in den kommenden Wochen weiter daran arbeiten.“