© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/24 / 29. März 2024

Zeit für mehr Transparenz
Bundesbank: Bereits vier Jahre ohne Gewinn / Vom ehrbaren Kaufmann zum Bilanzjongleur?
Dirk Meyer

Konkurse haben etwas Reinigendes. Überschuldete Firmen müssen mangels Leistungsfähigkeit den Markt verlassen, um besseren Wettbewerbern die Bedienung der Nachfrager zu überlassen. Zugleich schützt der Zwang zur gerichtlichen Anmeldung des Konkurses die Gläubiger. Denn die Bilanz ist nicht mehr im Gleichgewicht: Die Vermögensseite (Aktiva) ist aufgrund von Verlusten leichter geworden als die Finanzierungsseite (Passiva), auf der das Eigenkapital durch ebendiese Verluste weggeschmolzen ist und demzufolge die Schulden das Vermögen übersteigen. Man spricht von einer Eigenkapitallücke oder negativem Eigenkapital.

Bei Notenbanken ist das anders. Sie können nicht pleite gehen, da sie sich jederzeit das Geld selbst drucken können, um etwaige Ansprüche zu bedienen. Die von der EZB und den nationalen Zentralbanken wie der Bundesbank (BBk) ausgegebenen Euroscheine sind „die einzigen Banknoten, die in der Union als gesetzliches Zahlungsmittel gelten“, heißt es in Artikel 16 EZB-Satzung. So erfährt der Euro im Inland und der Eurozone als Monopolwährung zudem einen Konkurrenzschutz – dem die Geldhalter auch bei hoher Inflation (2022: 7,9 Prozent; 2023: 6,0 Prozent) ausgesetzt sind.

Dies vorauszuschicken ist notwendig, um die durchaus prekäre Situation nicht nur der BBk einschätzen zu können. Seit 2015 haben die nationalen Zentralbanken der Eurozone massiv Staatsanleihen aufgekauft – offiziell um die geldpolitische Steuerung der EZB wirksamer zu machen. Nach Einschätzung ehemaliger Zentralbanker aber auch, um den hochverschuldeten Staaten wie Griechenland, Italien, Spanien und Frankreich den Marktzugang bei tragbaren Zinskosten offen zu halten. Die seinerzeit angekauften, langlaufenden Anleihen haben sehr niedrige Zinsen, die die Notenbanken jetzt weiterhin als Einnahmen verbuchen.

Denen stehen im Gegenzug aufgrund der Anti-Inflationspolitik relativ hoch verzinste, jederzeit abrufbare Einlagen der Geschäftsbanken gegenüber. Konkret berichtet die BBk für 2023 eine durchschnittliche Verzinsung der Anleihen von 0,37 Prozent bei zu leistenden Zinsen auf die Einlagen von im Jahresdurchschnitt 3,27 Prozent. Hieraus resultiert eine negative Zinsmarge von -2,90 Prozent – ein wahrhaftes Verlustgeschäft. In ihrem aktuellen Geschäftsbericht für 2023 weist die BBk per Saldo ein negatives Zinsergebnis von 19,1 Milliarden Euro aus – quasi ein selbstverschuldeter Kollateralschaden infolge der verbotenen Unterstützung der Euro-Hochschuldenstaaten.

Eine Bewertung zu Marktkursen würde massive Probleme bringen

Den gesamten Jahresverlust von 21,6 Milliarden Euro kann die BBk nur durch die vollständige Auflösung ihrer Wagnisvorsorge (19,2 Milliarden Euro) und einen weitgehenden Abbau ihrer angesparten Rücklagen (2,4 Milliarden Euro) zu einer „roten Null“ ausgleichen. Da die BBk auch für 2024 mit einem erheblichen Fehlbetrag rechnet, dürfte dieser die noch verbliebenen Rücklagen (661 Millionen Euro) übersteigen. Erstmals seit 1979 müßte sie dann wieder einen Bilanzverlust ausweisen und hätte eine nicht unerhebliche Eigenkapitallücke.

Dabei resultiert das BBk-Defizit auch noch aus den verlustdämmenden Bewertungsansätzen, nachdem die Anleihen zu „fortgeführten Anschaffungskosten“ bewertet werden. Infolge der gestiegenen Kapitalmarktzinsen und des einhergehenden Rückgangs der Kurse können die Anleihen deshalb zu zehn Prozent über ihrem derzeitigen Marktwert angerechnet werden. Nur so kann der Verlust auf 21,6 Milliarden Euro begrenzt werden, gegenüber 118 Milliarden Euro bei einer Marktkursbewertung. Die Überschuldung entspräche dann dem 47fachen des BBk-Grundkapitals.

Eine Bewertung zu Marktkursen würde naheliegen, da gemäß dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum PSPP-Ankaufprogramm der EZB (2 BvR 859/15) „erworbene Schuldtitel wieder dem Markt zugeführt werden müssen, wenn eine Fortsetzung der Intervention zur Erreichung des Inflationsziels nicht mehr erforderlich ist“. Jedoch erklärte BBk-Präsident Joachim Nagel kürzlich, „aus geldpolitischer Sicht gibt es derzeit überhaupt keine Notwendigkeit, Anleihen zu verkaufen“. Dies entspricht auch der bisherigen Praxis, nach der die Anleihen bis zur Endfälligkeit gehalten werden.

Doch wann, wenn nicht bei der gerade sinkenden Inflationsrate, könnte sich die BVerfG-Forderung zur Vermeidung einer monetären Staatsfinanzierung dann überhaupt noch durchsetzen? Und wie wirkt all das sich auf den angespannten Bundeshaushalt von Christian Lindner aus? Laut einer Studie des Internationalen Währungsfonds wird die BBk bis 2029 für sieben Jahre ein negatives Eigenkapital aufweisen und von 2020 bis 2030 für elf Jahre keine Gewinnabführungen an den Bundeshaushalt vornehmen können. Eigene Berechnungen ergeben für die BBk 2025 mögliche kumulierte Verluste von 53 Milliarden Euro – das wären 1,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Damit könnte eine Eigenkapitallücke von 30 Milliarden Euro entstehen. EZB-Vorgaben zufolge könnte dann die Aufforderung erfolgen, die Kapitallücke durch Zuführungen aus dem Bundeshaushalt auszugleichen. So betont die EZB in ihrem Konvergenzbericht (2022) den Erhalt der Unabhängigkeit der Notenbanken ihren Regierungen gegenüber. Der bloße Versuch einer politischen Einflußnahme könnte den wohl wichtigsten Vermögenswert einer Notenbank gefährden – das in sie gesetzte Vertrauen der Bürger. Es drohten Wechselkursverluste bis hin zur Abwahl des Euro als Leitwährung.

Deshalb muß, so die im EZB-Bericht erhobene Forderung, sofern „das Nettoeigenkapital einer nationalen Notenbank ihr Grundkapital unterschreitet oder sich gar ins Negative kehrt, ... der jeweilige Mitgliedstaat [diese] innerhalb eines vertretbaren Zeitraums mit einem angemessenen Kapitalbetrag mindestens bis zur Höhe des Grundkapitals ausstatten, um dem Grundsatz der finanziellen Unabhängigkeit zu entsprechen“. Trotz Konkursschutz hält die Eurozone demnach einen Rechtsrahmen vor, der zu einer etatbelastenden Rekapitalisierung der Notenbanken durch ihre Mitgliedstaaten führen könnte. Macht das teure Nachspiel der Anleihekaufprogramme die BBk zum Bilanzjongleur?


Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.