Die durch Berlins Stadtteile Kreuzberg und Neukölln führende U-Bahnlinie 8 gilt als die Drogenlinie der Hauptstadt. Auf Bahnhöfen wie Leinestraße, Kottbusser Tor oder Schönleinstraße haben sich seit Jahren Süchtige und ihre Dealer häuslich eingerichtet. Weitgehend ungehindert von der Polizei oder dem Sicherheitsdienst der Berliner Verkehrsbetriebe wird hier mit Drogen gehandelt, die dann gleich vor Ort konsumiert werden. Der dabei anfallende Müll wie Alufolie oder Spritzen zeugen auf den Bahnsteigen vom Treiben der Drogenszene.
Doch nun soll alles besser werden. Im Februar hat der Berliner Senat eine Offensive für mehr Sauberkeit und Sicherheit auf der U8 verkündet. Künftig sollen verstärkt Polizisten und Reinigungskräfte in den Zügen und auf den Bahnhöfen unterwegs sein. Dieser Schritt scheint nicht nur angesichts der bereits jetzt herrschenden Zustände angebracht. Glaubt man den Experten, droht Deutschland und damit auch seiner Hauptstadt eine neue gefährliche Rauschgiftwelle, mit der insbesondere Drogen wie Crack und Fentanyl verstärkt auf den deutschen Markt gelangen könnten. Wobei Crack aus Kokain gewonnen wird, Fentanyl ein synthetisch hergestelltes Opioid ist.
Für beide gilt: Sie machen hochgradig abhängig und können die Süchtigen körperlich und psychisch massiv schädigen. Während Crack in den großen deutschen Städten bereits seit mehr als 20 Jahren ein Problem ist, dringt es nun immer weiter auch in ländlichere Regionen vor. Noch mehr Sorgen bereitet den Experten indes Fentanyl, das als schmerzlinderndes Mittel in der Medizin eingesetzt wird und 50- bis 100mal stärker wirkt als Heroin und nun als Droge auch auf dem Weg nach Deutschland ist.
Der Stoff soll hierzulande bereits in mehreren Heroinproben nachgewiesen worden sein. Experten mahnen daher zur Wachsamkeit: Denn durch Fentanyl erhöht sich für die Süchtigen die Gefahr einer Überdosis. Schon zwei Milligramm des Opioids, das vor allem die Atmung beeinträchtigen kann, können tödlich sein. Wird nun Heroin mit hochpotenten Opioiden wie Fentanyl gestreckt, könnte nach Ansicht von Experten die Zahl der Notfälle in Deutschland massiv zunehmen. Bereits in den vergangenen Jahren ist die Zahl der Drogentoten kontinuierlich angestiegen. Nach Angaben des Bundesdrogenbeauftragten Burkhard Blienert gab es 2022 insgesamt 1.990 Rauschgifttote, davon starben 749 Menschen in Verbindung mit Heroin und Morphin.
Doch warum sollten Drogenhändler das synthetische Opioid, das auch als „Zombiedroge“ bezeichnet wird, da der Körper des Süchtigen nach dem Konsum zu unkontrollierten Bewegungen neigt, überhaupt mit Heroin mischen? Der Grund dafür liegt in Afghanistan und der Herrschaft der Taliban. Nach der Rückkehr der Islamisten an die Macht 2021 wurde der Anbau von Schlafmohn, aus dem Heroin gewonnen wird, verboten. Dadurch sei die Produktion der Droge im Land zu 95 Prozent eingebrochen, berichtete Suchtforscher Daniel Deimel von der TH Nürnberg der Berliner Morgenpost. „Aktuell sind zwar noch Lagerbestände des Heroins auf dem Markt, es wird aber in den nächsten 12 bis 18 Monaten mit Heroinmangel gerechnet“, sagte der Experte. Ein Heroinmangel könnte in Deutschland ein Türöffner für Fentanyl sein. Fehle das Heroin, werde es eventuell durch synthetische Opioide ersetzt oder damit gestreckt. Für die Drogenproduzenten ein lukratives Geschäft: „Fentanyl ist leicht und günstig zu produzieren“, erklärt Deimel. Aufgrund der hohen Potenz könnten geringere Mengen eingeschleust werden.
Beschaffungskriminalität besonders brutal und rücksichtslos
Welche dramatischen Folgen die Ausbreitung von Opioiden wie Fentanyl oder aber auch des Beruhigungsmittels Xylazin, das den Rausch von Fentanyl noch verstärkt, haben kann, zeigt ein Blick in die Vereinigten Staaten. Dort spitzt sich die Krise seit Jahren zu und fordert jährlich rund 100.000 Todesopfer – Tendenz stark steigend. Bilder von körperlich schwer gezeichneten Süchtigen aus den großen amerikanischen Städten gehen immer wieder um die Welt.
Vor diesem Hintergrund versetzte Ende des vergangenen Jahres eine Meldung aus Irland Experten in Alarmbereitschaft: In der irischen Hauptstadt Dublin hatte es innerhalb von vier Tagen mehr als 50 Drogennotfälle im Zusammenhang mit Opioiden gegeben. Für die Experten ein deutlicher Hinweis darauf, daß diese Stoffe in Europa auf dem Vormarsch seien, wie es in einer gemeinsamen Erklärung des Bundesverbands für Drogenarbeit „Akzept“, der Deutschen Aidshilfe und der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen heißt.
Wie ernst die Gefahr durch eine Beimischung von Fentanyl in Heroin genommen wird, zeigt das bereits Ende 2022 gestartete Bundesmodellprojekt „Rapid Fentanyl Tests in Drogenkonsumräumen“ (Raft). Raft wurde vom Bundesgesundheitsministerium gefördert, von der Deutschen Aidshilfe geleitet und in insgesamt siebzehn Drogenkonsumräumen deutschlandweit umgesetzt.
Doch nicht nur Fentanyl bereitet Experten und Behörden zunehmend Sorge, auch die Ausbreitung von Crack nimmt immer stärker zu. Man verzeichne in acht Bundesländern einen „teilweise massiven“ Anstieg des Konsums, berichtete der Bundesdrogenbeauftragte der ARD. Auch in Berlin breitet sich die Szene der Crack-Konsumenten rasant aus, mit teilweise drastischen Folgen. Denn die Droge macht aggressiv und der Suchtdruck ist besonders hoch, gleichzeitig führt der Konsum von Crack häufig zu Verwahrlosungserscheinungen.
Auch die Beschaffungskriminalität der Szene gilt als besonders brutal und rücksichtslos. Überfälle und Schlägereien um Geld und Drogen sind unter den Abhängigen an der Tagesordnung. Die Politik, die sich in den vergangenen Monaten intensiv mit der Freigabe des Cannabis-Konsums beschäftigt hat, reagiert bislang weitgehend hilflos auf die sich abzeichnende Verschärfung der Drogenkrise. Dabei deuten alle Zeichen darauf hin, daß die Zeit drängt.