© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/24 / 03. Mai 2024

Aus dem Loch herauskommen
Kino: Die bittersüße Liebesgeschichte „Zwischen uns das Leben“ ist ein typisch französischer Film
Dietmar Mehrens

Das französische Boulevardblatt Paris-Match nennt ihn in einer üppig bebilderten Reportage „L’audacieux“, „Den Wagemutigen“, als der renommierte Filmschauspieler Mathieu (Guillaume Canet) sich für ein ambitioniertes Theaterprojekt entscheidet. Doch dann bekommt der vermeintlich Wagemutige auf einmal Angst vor der eigenen Courage, neudeutsch: eine Panikattacke, und büxt aus.

Nach dem Vorbild seiner berühmten Leidensgenossin Romy Schneider, deren „3 Tage in Quiberon“ 2018 bereits Gegenstand der gleichnamigen Filmerzählung waren (die bei „Zwischen uns das Leben“ unverkennbar Pate stand), hat der gebrochene Held sich nun sieben Tage Wohlfühloase mit Meerblick verordnet. Heute heißt das in bestem Psychotantenjargon „Thalassatherapie“. Der ermattete Filmstar soll jetzt also erst mal ruhig einatmen und ausatmen lernen und innerlich zur Ruhe kommen. Und da er mit dem französischen Originaltitel „Hors-Saison“ gebucht hat, also außerhalb der Hauptreisezeit, ist eines schon mal klar: Ruhig wird es auf jeden Fall. 

Raffiniert kaschierter Regenbogenwimpel

Telefonisch ist der abgestürzte Ikarus in regelmäßigem Kontakt mit seiner Frau, einer Star-Nachrichtensprecherin. Sie kommt im gesamten Film nur als Stimme aus dem Mobilfernsprecher vor, und so richtig verstanden fühlt sich der Krisengeschüttelte von ihr auch nicht. Bald fällt ihm in der sterilen Kuranlage mit Glasfassade und weißen Wänden die Decke auf den Kopf. Wie gerufen kommt da der Anruf von Alice (Alba Rohrwacher), einer überaus charmanten Pianistin, die mit ihrem Mann und der gemeinsamen Tochter zufällig ganz in der Nähe wohnt und Wind von Mathieus Aufenthalt bekommen hat. Vor fünfzehn Jahren hatte Mathieu der gebürtigen Italienerin überraschend den Laufpaß gegeben. Damals hatte Alice sich, wie sie ihm jetzt in einer privaten Unterredung anvertraut, in ein Loch zurückgezogen. Viele ihrer Träume lösten sich mit ihm in Luft auf. Statt professionell Klavier zu spielen, begnügte sie sich mit der bescheidenen Existenz als Musiklehrerin in der Provinz. Ihre Kunst ruht wie in einem Tresor verschlossen in ihrem digitalen Privatarchiv.

Was sich aus der unerwarteten Begegnung ergibt, ist eine – gerade in Frankreich – schon tausendmal erzählte Die-Liebe-hat-immer-recht-Geschichte und klingt so abgedroschen, daß man es hier gar nicht schreiben mag: Es erwachen alte Gefühle, die Mathieu und Alice ihre bisherigen Lebensentscheidungen überdenken, die 15 Jahre Leben zwischen ihnen überbrücken, Alice aus dem Loch kriechen lassen. Doch das französische Kino wäre nicht, was es ist, wenn es ihm nicht gelänge, selbst aus einer derart ausgeleierten Masche noch den tausendundersten berührenden Film zu stricken. Man fragt sich, wie die Franzosen das immer wieder hinbekommen.

Zum Beispiel mit einem geschickten Kunstgriff, wie ihn das Filmskript von Regisseur Stéphane Brizé und Marie Drucker für den Zuschauer bereithält: Um ihrem bittersüßen Beziehungsdrama über das eher banale Grundgerüst hinaus noch etwas Tiefenwirkung zu verleihen, spiegeln sie ihr Thema Wahlverwandtschaften in einem in der Filmmitte plazierten Exkurs: Alice interviewt die sich selbst spielende 78jährige Lucette, die freimütig Auskunft gibt über ihre unromantische Ehe mit einem Mann und ihre spät entdeckte Liebe zu ihrer aktuellen Partnerin Gilberte. So raffiniert kaschiert sieht man den Regenbogenwimpel, den Geßlerhut der westlichen Medien- und Kulturszene, selten geschwenkt.

Die Schauspieler (was wäre für Guillaume Canet leichter zu spielen als ein frustrierter Schauspieler?), die rauhe Landschaft der bretonischen Atlantikküste, atemberaubende Vogelperspektiven und die sanft-melancholischen, zuweilen auch monotonen Melodien, mit denen Brizé sein Melodram unterlegt hat, entfalten natürlich auch ihre Wirkung. Sie sorgen dafür, daß man als Zuschauer gleichsam selbst auf Kur in die Bretagne fährt und die sieben Tage, die man mit Mathieu und Alice verbringt, einem am Ende viel zu kurz vorkommen. 


Kinostart ist am 1. Mai