Ohne Drama ging es nicht über die Bühne: Als Israels Regierungschef Jitzchak Rabin am 4. Mai 1994 in einem Veranstaltungssaal in Kairo das „Gaza-Jericho-Abkommen“ unterschrieb, kam er ins Stocken. Auf den zugehörigen Landkarten, die das neue Autonomiegebiet der Palästinenser absteckten, fehlte die Unterschrift seines Gegenübers, die von Jassir Arafat. Der Chef der Palästinensischen Befreiungsorganisation hatte unmittelbar vor Rabin seine Unterschriften geleistet – die Karten aber hatte er nur angeschaut und dann beiseite gelassen.
Rabin war sichtlich irritiert. Vor laufenden Kameras begann auf der Bühne ein angeregtes Diskutieren. Rabins Außenminister Schimon Peres redete auf Arafat ein, mit ihm Ägyptens Präsident Hosni Mubarak. Die Zeremonie wurde unterbrochen. Schließlich unterzeichnete Arafat die Karten doch noch, ließ sich aber zusichern, daß die Diskussionen nicht abgeschlossen seien.
Das Drama vor versammeltem Publikum machte deutlich, wie groß der Graben nach wie vor war, der zwischen Israelis und Palästinensern klaffte. Erst im September des Vorjahres hatten sich beide Seiten auf eine „Prinzipienerklärung“ geeinigt und sich in ausgetauschten Briefen die gegenseitige Anerkennung versichert. Damit war der „Oslo-Friedensprozeß“ auf den Weg gebracht, benannt nach dem Ort, wo die Abkommen heimlich verhandelt worden waren.
Historisch war das in mehrerlei Hinsicht: Bis dato hatten sämtliche israelische Regierungen Verhandlungen mit der PLO abgelehnt, unter deren Dach sich seit 1964 mehrere Terrorgruppen zusammengefunden hatten. Die PLO wiederum zeigte sich erst 1988 offen dafür, den israelischen Staat anzuerkennen. Mehrere Faktoren katalysierten schließlich die Annäherung: Unter anderem hatte Arafat sich durch ungeschicktes Agieren international isoliert und stand vor finanziellen Schwierigkeiten; für ihn war „Oslo“ ein Ausweg, um die eigene Macht zu sichern. Israel wiederum sah sich seit 1987 einem Palästinenseraufstand („Intifada“) ausgesetzt, der das Verlangen nach Frieden stärker werden ließ.
Die „Prinzipienerklärung“ von 1993 zielte auf eine schrittweise Annäherung: Sie räumte den Palästinensern Autonomie ein, und zwar in „Gaza und Jericho zuerst“, also in dem schmalen Streifen am Mittelmeer und im Jerichoer Gebiet im Jordantal. Die praktisch unlösbaren großen Streitfragen hingegen sollten zunächst ausgeklammert bleiben, so der Status Jerusalems oder das „Rückkehrrecht“ von palästinensischen Flüchtlingen und deren Nachkommen.
Projektionsfläche für illusorische Vorstellungen westlicher Staaten
Das „Gaza-Jericho-Abkommen“ (auch: Kairo-Abkommen) vom Mai 1994 regelte dann die praktische Umsetzung der Autonomie. Die Verhandlungen waren schwierig: Heiß umstritten war neben der Größe des Autonomiegebiets auch die Frage, wie die Grenzübergänge mit Jordanien und Ägypten kontrolliert werden würden. Die neue Autonomiebehörde sollte laut Abkommen zunächst von 24 Personen geleitet werden und Kompetenzen im Bereich der inneren Politik haben. Zu diesem Zweck wurde der Aufbau einer 9.000 Mann starken palästinensischen Polizei vereinbart. Israel wiederum setzte einen „beschleunigten Abzug“ aus den Autonomiegebieten um, blieb aber für äußere Sicherheit zuständig und durfte Besatzungsrecht in Kraft lassen. Zudem sagten Die Israelis die Freilassung von 5.000 Palästinensern zu.
Die Gespräche für das „Gaza-Jericho-Abkommen“ fanden unter erheblichem öffentlichen Druck statt. In Israel war die politische Rechte überzeugt, daß sich die linke Rabin-Regierung von Arafat blenden ließ: Dieser nutze die Verhandlungen nur, um sich eine neue Basis für den bewaffneten Kampf gegen Israel zu verschaffen. Tatsächlich ließ der Terrorveteran am 10. Mai, nicht einmal eine Woche nach Unterzeichnung der Vereinbarung, in einer Rede verlauten, daß „der Dschihad“ weitergehe.
Arafat hatte mit Druck aus den eigenen Reihen zu kämpfen; die islamistische Hamas hatte zuvor eine Reihe von Terroranschlägen in Israel losgetreten. Im Februar 1994 wiederum ermordete der extremistische Israeli Baruch Goldstein in der Ibrahimi-Moschee in Hebron 29 Moslems. Vor diesen Hintergründen war es bemerkenswert, daß die Vereinbarung überhaupt zustande kam. „Die Welt hat gerade einmal die Spitze des Eisbergs der Probleme gesehen, die wir allein in der ersten Phase überwinden müssen“, sagte Rabin bei der Unterzeichnungszeremonie. Am 1. Juli dann inszenierte Arafat, der die PLO zunächst von Jordanien, dann vom Libanon und schließlich aus Tunesien heraus geleitet hatte, im Gazastreifen unter großem Jubel seine „Rückkehr“. 1996 bestätigten die Palästinenser ihn erstmals in Wahlen als Chef der Autonomiebehörde.
Auf das „Gaza-Jericho-Abkommen“ folgten weitere Vereinbarungen, in deren Folge sich die israelische Armee aus zusätzlichen Gebieten zurückzog. Die anschließenden Endstatusverhandlungen aber scheiterten ergebnislos: Ab 2000 kommandierte Arafat die blutige Terrorwelle der „Zweiten Intifada“. Offiziell wurde dies mit dem provokativen Besuch des damaligen Oppositionsführers und späteren israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon auf dem Tempelberg in Jerusalem begründet, der bei den Muslimen Empörung hervorrief. Damit hatte „Oslo“ in die Sackgasse geführt. Der Prozeß war von Anfang an auch Projektionsfläche für illusorische Vorstellungen westlicher Regierungen gewesen. Sie sehen darin zum Teil bis heute fälschlicherweise den Auftakt für eine „Zwei-Staaten-Lösung“. Dabei war in keinem der Osloer Abkommen jemals von einem palästinensischen Staat die Rede.