© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 20/24 / 10. Mai 2024

Von Männern, die Babys kaufen wollen
Leihmutterschaft und Eizellspende: Auf einer jährlichen Konferenz in Berlin werben Firmen um Schwule, die Väter werden wollen
Vincent Steinkohl / Martina Meckelein

Das Marriott steht am Potsdamer Platz, direkt neben dem Hyatt Hotel. Die Sonne scheint. Eine Frau in edlem Nerzjäckchen stöckelt aus einem Taxi. Der Fahrer öffnet den Kofferraum, wuchtet das Gepäck heraus. Die Dame lächelt. Gehört die zu den Gästen der Konferenz? Wie eine ukrainische Leihmutter, die ihre Gebärmutter oder gleich noch ihre Eizelle einem schwulen Pärchen mit Kinderwunsch zur Verfügung stellt, sieht sie nicht aus. Ohnehin ist diese Praxis und das Werben dafür in Deutschland verboten. 

Die Informationsveranstaltung der seit zehn Jahren bestehenden US-Organisation „Men Having Babies“ hat sich ein edles Ambiente ausgesucht. Ein Leckerchen für jeden Journalisten, nicht wegen des Ortes, sondern wegen des Angebots, das die Amis europäischen Männern offerieren. Klar, daß Journalisten sich anmelden, um eine Presseakkreditierung zu bekommen. Was für eine seltene Chance, mit Schwulen mit Kinderwunsch und womöglich mit Leihmüttern ins Gespräch zu kommen. Nach ihren Gründen zu fragen, warum sie, die Männer, einen derartig starken Kinderwunsch haben? Warum nicht einfach ein Kind adoptiert wird? Wie sehen sie das weitere Schicksal der austragenden Frau? Wollen sie sich Haar-, Haut- und Augenfarbe aussuchen? Geht das überhaupt? Und die Frauen? Warum tun sie sich das an? Geld? Hatten sie schon eigene Kinder? Was sagt der Mann oder Freund dazu? Glaubt sie, daß sie das Kind einfach so abgeben kann? Hat sie Angst vor Gefühlen gegenüber dem Kind? Wird sie weiterhin Kontakt haben wollen?

„Trägerinnen“, „Stellvertreterinnen“ – von Müttern ist nicht die Rede

 Am 17. April um 17.40 Uhr wird die Bitte um Akkreditierung abgesendet. Doch bis zum Beginn der dreitägigen Veranstaltung am 26. April gab es keine Antwort. Wir fahren hin. Die Dame mit Trolli im Pelzjäckchen lasse ich vor. Dann durch die Eingangstür; wo ist bloß der Fahrstuhl? Die breite beige Marmortreppe hoch. Oben angelangt grüßt eine Frau auf englisch. Überschäumende Freundlichkeit. „Schön, daß Sie da sind“, flötet sie. Ich stelle mich als Journalistin vor und bitte um Einlaß. Das Lächeln erstarrt. Die Dame wird nervös. „Ich habe um Akkreditierung gebeten“, sage ich und fummle den Ausdruck der E-Mail heraus. Die junge Frau starrt auf die Zeilen, die sie wohl nicht lesen kann – es ist auf deutsch geschrieben. „Wait here, please“, sagt sie und schwirrt mit dem Zettel ab. 

Fünf Minuten stehe ich in dem Vorraum, der einer Galerie gleicht. Von hier scheinen die einzelnen Vortragsräume erreichbar zu sein, und irgendwie duftet es nach Buffet. Schwule Pärchen, aber auch einzelne Männer schlendern vorbei. Die wenigen Frauen vor Ort scheinen eher zu den Anbietern verschiedener Dienstleistungsunternehmen oder den Organisatoren zu gehören. Die meist gutaussehenden und sehr gepflegt erscheinenden Herren tragen lässige Businesskleidung, viele Polohemden und Bundfalten sind zu sehen, alles gutsituiert. Es sieht nach Geld aus. Man unterhält sich nicht übermäßig laut, es ist ein gleichbleibendes Raunen als Geräuschpegel zu hören.

„Guten Tag“, lächelt mich plötzlich Jens Landwehr an. Er ist vom Verein zur Förderung der Legalisierung der Leihmutterschaft (VFLLD). Er hält meine E-Mail in der Hand. „Es ist so“, sagt der Mann, der für „Men Having babies“ Pressearbeit macht. „Wir haben ihre E-Mail mit der Bitte um Akkreditierung bekommen, allerdings leider übersehen, Ihnen abzusagen.“ Landwehr ist groß, schlank, ein junggebliebener Fünfziger? „Wir bitten um Verständnis, aber wir haben viele journalistische Anfragen bekommen und allen abgesagt.“ Die Männer sollen sich, so Landwehr, in Ruhe und ohne Fragen von Journalisten hier informieren und beraten lassen können. „Was ist denn überhaupt die JUNGE FREIHEIT, wo steht sie?“, will er wissen. Es folgt die Aufklärung über die größte konservative Wochenzeitung. „Nein“, sagt Landwehr, in entwaffnender Offenheit, „Konservative wollen wir hier schon gar nicht.“ Verständlich.

„Wie stehen Sie denn privat zu dem Thema?“, geht Landwehr in die Offensive. „Als Frau, ist es meines Erachtens doch klar, daß Leihmutterschaft frauenfeindlich ist und Frauen zur Gebärmaschine degradiert werden.“ „Nun, genau diesen Vorurteilen wollen wir entgegenwirken“, sagt er. Er macht uns ein faires Angebot, bei einem Podiumsgespräch als Zuschauer dabeisein zu können. „Aber keine Fotos und keine Fragen an die Gäste.“ Ich muß leider aus terminlichen Gründen ablehnen. Wir verbleiben so, daß er meinen Fragenkatalog beantwortet. Außerdem sind zwei meiner Kollegen als Gäste vor Ort. 

Draußen ziehen etwa ein Dutzend Frauen jeglichen Alters auf und skandieren Parolen, halten Schilder hoch. „Frauen schulden euch keine Kinder“ und „adopt, don’t shop“ („adoptiert, kauft nicht ein“) steht darauf geschrieben. Eine Demonstrantin bringt ihre Meinung noch deutlicher zum Ausdruck: „Leihmutterschaft ist Scheiße!“

Davon bekommen die etwa 200 Teilnehmer wenig mit. Sie lassen sich drei Tage lang über die Möglichkeit beraten, ein Kind mit fremden Eizellen über eine Leihmutter zu bekommen. 40 Euro Eintritt, Voranmeldung. Verschiedene Unternehmen haben Info-Tische aufgestellt, bieten den Besuchern Flyer an. Es ist neben der seit acht Jahren in Brüssel stattfindenden Messe die einzige in Europa. Zwischen den Vorträgen unterhalten sich die Gäste über das Gehörte, es gibt Kaffee und Kuchen. Alles wirkt wie eine gewöhnliche Messe, wie sie jeden Tag und überall auf der Welt stattfinden könnte. Wäre da nicht die Protestgruppe vor der Tür. Die Konferenz biete „eine einzigartige Gelegenheit, sich mit schwulen Vätern, Experten und über 35 seriösen schwulenfreundlichen Agenturen, Kliniken, Anwaltskanzleien und anderen Leihmutterschaftsanbietern auszutauschen und zu beraten“, werben die Veranstalter. Auf die Frage, wievielen Männern die Organisation bereits in ihrem Wunsch helfen konnte, Eltern zu werden, sagt uns Landwehr „mehrere Tausend“.

Man hat an alles gedacht: Juristen besprechen die rechtlichen Fragen der in Deutschland verbotenen Praxis, einer fremden Frau eine befruchtete Eizelle einzupflanzen, damit sie ein genetisch fremdes Kind für andere austrägt. Ärzte erklären die medizinischen Details. Wer nicht sofort Vater werden möchte, kann beispielsweise sein Sperma einfrieren lassen, bis Mann die Zeit gekommen sieht.

Zu Herzen gehende, aufwendig produzierte Videos der ausstellenden Leihmutter-Agenturen zeigen glückliche Väter mit ebenso glücklich aussehenden Neugeborenen. Die Leihmutter ist meistens nicht zu sehen – und wenn, dann lächelt sie genauso werbeglücklich in die Kamera. Die Begriffe „Mutter“ oder „Frau“ begenen uns die gesamten drei Tage von seiten der Aussteller nicht. Sie nennen sie „carrier“ („Träger“) oder „surrogate“ („Stellvertreterin“). Auch das Wort „Bezahlung“ fällt nie, es wird von „Kompensation“ gesprochen.

Die Redner betonen immer wieder die eigenen hohen ethischen Standards. Nur eine von 30 Bewerberinnen würde akzeptiert werden. Sie würden auf ihre körperliche und psychische Gesundheit überprüft, so wie auf ihre finanzielle Situation – keine der „Trägerinnen“ sei auf das Geld angewiesen. Sie handelten aus „Altruismus“ – Selbstlosigkeit –, um Homosexuellen das Glück eines eigenen Kindes zu schenken. Ein Mann fragt besorgt nach: Entsteht keine Bindung zwischen Mutter und Kind? Ein Redner verneint das. „Die Milch wird in Flaschen abgepumpt, so daß die neuen Eltern das Stillen übernehmen können.“

Dennoch ist diese „Reise zur Elternschaft“, wie der Vorgang immer wieder blumig umschrieben wird, alles andere als billig. Die Leihmutter erhält von den hier vertretenen, größtenteils in den USA und Kanada ansässigen Agenturen zwischen 45.000 und 55.000 US-Dollar. Dazu kommen Anwaltskosten und Agenturgebühren, im Schnitt kostet das gesamte Verfahren für die sogenannten Wunscheltern etwa 180.000 US-Dollar. Wer besonders hohe Ansprüche an die eigene Nachkommenschaft hat, zahlt entsprechend drauf für die gewünschte Eizellenspenderin. Für die Gene einer attraktiven Juristin muß der Kunde tiefer in die Tasche greifen als für eine gewöhnliche Spenderin.

Beim Thema Finanzierung erklärt einer der Redner, der Vorteil bei einer Zwillingsgeburt liege natürlich auf der Hand. „Nur einmal der ganze Aufwand und dafür haben sie direkt zwei Kinder, die auch noch als gleichaltrige Geschwister aufwachsen könnten.“ Der Nachteil: Zwillingsgeburten seien meistens komplizierter und erheblich schmerzhafter. Wenn die „Trägerin“ Komplikationen habe und länger und intensiver gepflegt werden müsse, werde es natürlich teurer.

Längst ist das Geschäft mit dem Kinderwunsch zu einer Milliardenindustrie geworden. Das Wirschaftsforschungsunternehmen „Global Markets Insights“ schätzt die globalen Gewinne für das laufende Jahr auf etwa 14 Milliarden US-Dollar. 2025 erwartet man bereits 26 Milliarden. Sollten mehr Staaten Leihmutterschaft erlauben, halten die Ökonomen auch dreistellige Milliardenbeträge künftig für denkbar.

50.000 US-Dollar, Pflege und regelmäßige Arztbesuche – Leihmütter, die bei den von „Men Having Babies“ beworbenen Agenturen unterkommen, werden für ihre Dienste vergleichsweise gut bezahlt. Doch sie sind nicht repräsentativ fürs Gesamtbild.

Im August 2023 geht eine Nachricht aus der griechischen Stadt Chania um die Welt. Bei einer Razzia nehmen Polizisten 30 schwangere Leihmütter in einer Klinik fest, die meisten von ihnen stammen aus Osteuropa. Sie wurden von Mittelsmännern aus Georgien, der Ukraine, Rumänien, Bulgarien und Moldawien nach Griechenland gebracht. Manche von ihnen haben noch nie vorher ein Kind geboren, sie wurden künstlich befruchtet und sollten für neun Monate Schwangerschaft etwa 9.000 Euro erhalten. Der Verkaufspreis der Kinder an wohlhabende Kunden aus aller Welt soll mehr als 100.000 Euro betragen.

In Griechenland ist Leihmutterschaft zwar legal, jedoch nur auf „altruistischem“ Weg. Eine sogenannte Aufwandsentschädigung von maximal 15.000 Euro für die Leihmutter ist rechtens, allerdings dürfen die Frauen nicht im Ausland angeworben und ins Land geholt werden. Das „Mediterranean Fertility Intitute“ hielt sich nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft nicht daran, weshalb im August der 73jährige Klinikleiter und sieben weitere Verdächtige verhaftet wurden. Die Anklage wiegt schwer: Ausbeutung von Frauen und Menschenhandel in mindestens 98 Fällen. Auch in Ländern wie Indien, Rußland, Georgien und der Ukraine kommt es immer wieder zu Fällen, die sich stark unterscheiden von der in Regenbogenfahnen gehüllten Wohlfühlatmosphäre von „Men Having Babies“ in Berlin. Dort ist Leihmutterschaft erlaubt.

Hierzulande ist sie verboten. Eigentlich. „Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe“ drohe dem, der eine Eizelle übertrage.  Strafbar macht sich auch, wer außerhalb enger gestzlicher Vorgaben eine Adopition vermittelt. Anders sieht es aus, wenn Paare das Geschäft im Ausland abwickeln und sich in Deutschland um eine Adoption bemühen. Im Dezember vergangenen Jahres entschied das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main im Sinne eines Ehepaares, das ein in der Ukraine von einer Leihmutter geborenes Kind adoptieren wollte. Das OLG begründete das vor allem mit dem Kindeswohl und dem Umstand, daß die Leihmutter nie vorgehabt habe, das Kind zu behalten. Folglich seien die Adoptiveltern auch die „sozialen Eltern“ des Kindes und hätten somit einen Sorgerechtsanspruch.

Es gehe um die „geschlechtliche Gleichstellung“

Kritiker sehen hier einen Präzedenzfall geschaffen. Im Abschlußbericht der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung der Bundesregierung vom April dieses Jahres heißt es, „aufgrund ethischer, praktischer und rechtlicher Überlegungen“ sollte Leihmutterschaft verboten bleiben. Aber: „unter sehr engen Voraussetzungen (z.B. nahes verwandtschaftliches oder freundschaftliches Verhältnis zwischen Wunscheltern und Leihmutter)“ sollte die Praxis ermöglicht werden. Es liegt an der Politik, wie sie mit dieser Empfehlung zur sogenannten altruistischen Leihmutterschaft umgehen wird. Rechtexperten sagen, mit dem Schritt würden sämtlich Argumente gegen die Leihmutterschaft allgemein geschliffen. Tür und Tor wären dann sperrangelweit geöffnet.

Die JF fragt weiter: Werden die austragenden Frauen nicht zur Gebärmaschine degradiert? Studien zeigten das Gegenteil, erklärt uns Landwehr. „Die Frauen, die sich vorstellen können, für Paare eine Leihmutterschaft durchzuführen, erfahren darüber eine immense Aufwertung und erfahren eine lebenslange Dankbarkeit der Wunscheltern sowie deren Kinder.“

„Men Having Babies“ macht das Thema zu einer Menschenrechtsfrage für gleichgeschlechtlich Paare. Landwehr sagt: „Die gesellschaftliche Aufwertung gleichgeschlechtlicher Paare als Eltern durch eine entsprechende Gleichstellungsgesetzgebung“ sei Ziel der Organisation. „Unsere Partnerorganisation in Deutschland, VFLLD war teilweise an der Erarbeitung und Zusammenstellung der Kommissionsergebnisse beteiligt.“ Man begrüße die dort enthaltenen Empfehlungen, das Verbot der Eizellspende in Deutschland aufzuheben und altruistisch motivierte Leihmutterschaften zu erlauben. Es geht den Unternehmen vor Ort um „Gleichstellung der Fruchtbarkeit“, und sie fordern ein Ende der „reproduktiven Diskriminierung“. 

Ob diese Darstellung der Industrie den Markt aufschließt, ist aber noch unklar. Denn auch in der Schwulenszene wächst der Widerstand gegen Leihmutterschaft. Homosexuelle Männer machen laut einem 2021 erschienenen Gutachten des Schweizer Gesundheitsministeriums lediglich etwa ein Fünftel der Kunden aus. 60 Prozent der Käufer sind heterosexuelle Paare und 20 Prozent Alleinstehende. Genaue Zahlen dringen kaum an die Öffentlichkeit. Prominente Beispiele sind etwa die Fußballikone Cristiano Ronaldo oder die Hotelerbin Paris Hilton.

Und mit welchen Fragen kämen die Interessenten hier her? „Ob eine ethische Leihmutterschaft sichergestellt werden kann und wie diese abläuft“, schreibt uns Landwehr. Und weiter? „Zusätzlich sind auch Kosten immer wieder ein wichtiges Thema.“ In den Worten von Nir Keren, Gründer und Chef einer kanadischen Leihmutterschaftsagentur: „Bekomme ein Baby, oder bekomm dein Geld zurück.“