© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 23/24 / 31. Mai 2024

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Madenmampf und Macron
Peter Möller

Berliner verirren sich in der Regel kaum in das weitläufige Areal zwischen Reichstag und Kanzleramt, sondern überlassen das Feld vor allem Besuchergruppen, die die Reichstagskuppel besteigen wollen oder Touristen, die hier auf ihrem Weg vom Hauptbahnhof Richtung Brandenburger Tor und Potsdamer Platz eher zufällig vorbeikommen. Am vergangenen Wochenende sollte dem Platz als einem der zentralen Orte der Demokratie in Deutschland neues Leben eingehaucht werden. Anlaß war der 75. Jahrestag der Verkündung des Grundgesetzes, der am Donnerstag von allen Verfassungsorganen mit einem Staatsakt unter freiem Himmel begangen worden war.  

Die Bundesregierung, die auch das Kanzleramt für Besucher geöffnet hatte, präsentierte sich mit ihren Ministerien genauso mit Ständen wie das Bundespräsidialamt, das Bundesverfassungsgericht und der Bundesrat. Neben riesigen Mengen an Informationsmaterial und Spielen gab es auch einige Kuriositäten zu bestaunen. So lud etwa das Entwicklungshilfeministerium von Ministerin Svenja Schulze (SPD) die Besucher dazu ein, Insekten zu verkosten, die als „proteinreiches Superfood“ zur Bekämpfung des Hungers in der Welt gepriesen wurden.

Der Bundestag präsentierte sich und die Arbeit der Abgeordneten. Auf dem Programm standen Vorträge und Diskussionen mit Abgeordneten sowie ein Rollenspiel, bei dem die Besucher eine Debatte im Plenarsaal über eine fiktive Änderung des Grundgesetzes miterleben konnten. Wer auf den Geschmack gekommen war, konnte sich am Ende noch eine Faksimile-Ausgabe des Originals des Grundgesetzes unter den Arm klemmen oder ein Tütchen mit Blumensamen („Demokratie blüht durch Vielfalt!“) einstecken.

Natürlich durften auch die vielbeschworenen zivilgesellschaftlichen Organisationen nicht fehlen, von denen 30 die Gelegenheit hatten, sich und ihre Arbeit zu präsentieren – vom Technischen Hilfswerk über den Deutschen Frauenrat bis hin zum Niederdeutschsekretariat und dem Sozialdienst muslimischer Frauen. Trotz aller Versuche, das „Fest der Demokratie“ als lockeres Volksfest zu inszenieren, erinnerte die Veranstaltung in weiten Strecken an einen großen Freiluftkongreß der Bundeszentrale für politische Bildung. Etwas Glanz verlieh dem Ganzen der Staatsgast, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der sich mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf der Bühne vor dem Kanzleramt interviewen ließ und anschließend medienwirksam eine Partie Kicker spielte.

Weniger harmonisch verlief dagegen am Sonntag der Auftritt von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) im Veranstaltungszelt „Tipi am Kanzleramt“. Ihre Diskussion mit Bürgern wurde lautstark von pro-palästinensischen Demonstranten gestört, die die deutsche Unterstützung für Israel kritisierten und die teilweise von Sicherheitsleuten aus dem Zelt geführt werden mußten. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war die Feierlaune verflogen und die harte Realität der bundesrepublikanischen Wirklichkeit zurück.