© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 23/24 / 31. Mai 2024

„Die Lage ist wirklich sehr ernst!“
Kino: „Golda – Israels eiserne Lady“ porträtiert die israelische Ministerpräsidentin und schlägt eine Brücke in die Gegenwart
Dietmar Mehrens

Mitunter kommt man sich in dem spannenden Politdrama von Guy Nattiv gar nicht vor wie in einem Film, der Vergangenes beleuchtet, sondern die Gegenwart. In nicht wenigen Momenten verschwimmt die israelische Ministerpräsidentin Golda Meir (Helen Mirren mit respektabler Maske) mit ihrem aktuellen Amtskollegen Benjamin Netanjahu. Aber natürlich handelt der Film „Golda – Israels eiserne Lady“ nicht vom aktuellen Gaza-Konflikt, sondern vom Jom-Kippur-Krieg, dem Angriffskrieg von Ägypten und Syrien auf den zionistischen Staat am Tag des Versöhnungsfestes („Jom Kippur“) 1973. Rund eine Million Männer standen auf einmal an den Grenzen im Norden und Süden des Landes, so schildert es der Film, eine schier unüberwindliche Übermacht!

US-Außenminister Henry Kissinger verlangte einen Waffenstillstand

Die mit vielen Originaldokumenten durchsetzte und in der Machart an „Thirteen Days“ (2000), die Kubakrisen-Rekonstruktion mit Kevin Costner, erinnernde Geschichtsstunde beginnt mit dem Erscheinen der Titelheldin vor der Agranat-Kommission im Jahre 1974. Diese sollte angesichts der hohen israelischen Verluste zu Beginn des Krieges mutmaßlichem Fehlverhalten Golda Meirs nachgehen. Die Anhörung der Ministerpräsidentin dient dem Film als Rahmenhandlung und Anlaß der Rekonstruktion der Ereignisse vom 5. bis 26. Oktober 1973.

Diese setzt ein mit einem Blick auf die geheimdienstliche Tätigkeit des Mossad und eine Regierungschefin, die erst mal skeptisch ist, als ein Geheimagent von einem unmittelbar bevorstehenden massiven Angriff berichtet. Meir läßt 120.000 Soldaten mobilisieren – nicht genug, wie sich herausstellen wird, nachdem die geheimdienstliche Prognose sich als richtig erwiesen hat.

Als Verteidigungsminister Mosche Dajan (Rami Heuberger) von einer Inspektion der Lage an den Golanhöhen vollkommen demoralisiert zurückkehrt, ist auch der 1969 zur „Übergangsministerpräsidentin“ Gewählten klar: „Die Lage ist sehr ernst!“

Es folgt Krisenstabssitzung auf Krisenstabssitzung. Der Krieg findet überwiegend in Erörterungen, Funksprüchen der Frontkämpfer und schematischen Darstellungen der Kampfhandlungen im Besprechungsraum des Stabes statt. Das klassische Gestaltungsmittel der Teichoskopie, bei dem Dramatisches nur berichtet wird, reduziert den Film zumindest phasenweise auf ein Dokudrama im TV-Format. Trotzdem bleibt es immer spannend. Und dank der darstellerischen Qualitäten von Helen Mirren kommt einem die 1898 als Golda Moisejewna Mabowitsch in Kiew zur Welt gekommene Zionistin, die später in den USA per Heirat den Namen Meyerson annahm, auch als Person nah.

Nattiv legt Wert darauf, ein ausgewogenes Bild der zu schwierigen Entscheidungen gezwungenen Frau zu zeichnen, die er mit dem harten Satz zitiert: „Ich werde ein Heer erschaffen von Waisen und Witwen.“ In eindrücklichen Szenen zeigt er aber auch Meirs menschliches Antlitz, läßt die Kamera ein paar sehr private Momente aufnehmen: Sie ist bei der Untersuchung ihres Lymphdrüsenkarzinoms dabei und als sie geplagt wird von alptraumhaften Visionen infolge der hohen Verluste an Menschenleben in den ersten Kriegstagen. Demonstrativ inszeniert der Regisseur Israels eiserne Lady auch als eisern an der Fluppe festhaltende Kettenraucherin, deren Tod im Jahre 1978 dadurch zu einem angekündigten wird.

Fast schon amüsant sind die Szenen, die Golda Meir im Gespräch mit US-Außenminister Henry Kissinger (Liev Schreiber) zeigen. Der stets pragmatische Realpolitiker ist derjenige, der die „humanitären Korridore“ und – aus Rücksicht auf die Sowjets – einen Waffenstillstand verlangt, nachdem es den israelischen Streitkräften durch eine kluge Taktik gelungen ist, nach Überschreiten des Suez-Kanals eine ganze ägyptische Armee einzuschließen.

Eine bewegende Einblendung von beklemmender Aktualität beschließt den Film: Er ist gewidmet „allen Männern und Frauen, die im Jom-Kippur-Krieg kämpften und fielen“. Und auch das macht „Golda“ prompt wieder zu einem Beitrag, der auch bestens in das aktuelle Zeitgeschehen paßt.

Foto: Helen Mirren als israelische Premierministerin Golda Meir: Zu schwierigen Entscheidungen gezwungen
Kinostart ist am 30. Mai 2024