Im Wendejahr 1990 wetteiferten BMW, Renault und VW darum, den 1895 unter dem Namen Laurin & Klement gegründeten Autohersteller Škoda zu übernehmen. Die Prager Regierung entschied sich für die Wolfsburger – und dank deren Kapital und böhmischer Ingenieurskunst begann eine Erfolgsgeschichte: 1,1 Millionen Škodas wurden 2023 abgesetzt. Der Umsatz stieg – trotz Verlust des Rußlandgeschäfts – auf 26,5 Milliarden Euro. Die operative Rendite kletterte auf 6,7 Prozent. Die Hauptmarke VW kam nur auf 4,1 Prozent – bei 86,4 Milliarden Euro Umsatz und nur noch 4,9 Millionen Fahrzeugverkäufen (2019: 6,3 Millionen). Der Škoda Octavia ist längst der bessere Golf Variant und der Kodiaq der bessere Tiguan.
BMW und Mercedes scheiterten hingegen mit ihren Investitionen: Die britische Rover-Gruppe (1994–2000) bzw. Chrysler (1998–2009) wurden für die Deutschen zu Milliardengräbern. Und der Fünf-Milliarden-Investition von VW in die US-Firma Rivian könnte ähnliches drohen. Denn die E-Auto-Manufaktur produzierte im ersten Quartal 2024 nur 13.980 Fahrzeuge: den 5,50-Meter-Pickup R1T und das 5,10-Meter-SUV R1S. Die kleinen Modelle R2 und R3X sollen erst 2026 auf den Markt kommen.Tesla kam mit insgesamt 412.376 Autos der beiden Modellreihen Y und 3 fast auf das dreißigfache Volumen. Der frühere Rivian-Kooperationspartner Ford, der schon im November 2021 die Reißleine zog, produzierte im ersten Quartal über eine Million Fahrzeuge – das 75fache.
„Software-Transformation bei Volkswagen beschleunigen“
Der „Ultimate Truck“ R1T kostet in den USA – ohne Steuern – zwischen 70.000 und 85.000 Dollar, der R1S zwischen 78.000 und 100.000 Dollar. Dennoch verbrannte Rivian laut Wall Street Journal 2023 mit jedem Autoverkauf im Schnitt 33.000 Dollar – das ist mehr, als VW in den USA für den großen Tiguan Allspace (28.880 Dollar) oder den Golf GTI (31.965 Dollar) verlangt. Bei 4,4 Milliarden Umsatz wies Rivian voriges Jahr einen operativen Verlust von 5,7 Milliarden Dollar aus. Immerhin ist die R1S-Qualität offenbar besser als die eines Tesla X: „Er ist auch geräumiger, hat eine größere Reichweite und verfügt über eine hochwertigere Innenaustattung“, konstatierte im März der U.S. News & World Report.
Es gibt fünf Jahre Garantie bis zu einer Laufleistung von 60.000 Meilen (96.560 Kilometer). Tesla oder VW geben nur vier Jahre Garantie für maximal 80.467 Kilometer. Doch um die Rivian-Autos geht es nicht. Die Wolfsburger Milliarden sollen Kooperationen in den Bereichen Software, Steuercomputer sowie Netzwerk-Architektur ermöglichen. „Die Motivation von unserer Seite ist es, die Software-Transformation bei Volkswagen in allen unseren Marken zu beschleunigen. Rivian hat die beste Architektur in seiner Klasse. Volkswagen hat die Größe“, rechtfertigte sich VW-Konzernchef Oliver Blume in der Financial Times.
„Wenn es um eine große technische Umstellung geht, können wir nicht alles alleine machen“, so der 56jährige Maschinenbauingenieur. „Wir brauchen diesen Schritt vor allem in Nordamerika, um ein besseres Gleichgewicht zwischen den Regionen zu erreichen“ – sprich: Bei der VW-E-Mobilität und Autosoftware läuft es auf dem US-Markt noch schlechter als in Europa und China. Und nur dank der globalen Verkäufe der Benziner-Modelle Tiguan und Polo/Taigo kam VW 2023 mit zwei Modellreihen in die globalen Top-10. Der Weltmarktführer Toyota (10,3 Millionen Autoverkäufe), der überwiegend auf Hybrid- und in der Dritten Welt auf Verbrennermodelle setzt, verwies den VW-Gesamtkonzern (9,4 Millionen) auf Rang zwei.
Die elektrischen ID-Modelle von VW waren und sind keine Verkaufsschlager: zu teuer und softwaremäßig schlecht: Blume verabschiedet sich mit dem Rivian-Einstieg von der Strategie seines woken Vorgängers Herbert Diess, der mit einem eigenen Softwarehaus die E-Mobilität und Digitalisierung voranbringen wollte. Doch die Projekte scheiterten. Diess mußte 2022 gehen. „Durch unsere Zusammenarbeit werden wir die besten Lösungen schneller und zu geringeren Kosten in unsere Fahrzeuge bringen“, verspricht Blume. Doch andere sehen Rivian kritischer. Großaktionär und Investor Amazon, für den Rivian in Illinois den E-Lieferwagen EDV in kleinen Stückzahlen produziert, hatte kürzlich angekündigt, kein frisches Kapital mehr in das US-Unternehmen schießen zu wollen.
Doch der VW-Deal hat den dramatisch abgestürzten Aktienkurs etwas stabilisiert: Das 2009 von Robert Scaringe gegründete Unternehmen war am 1. Juli an der Technologiebörse Nasdaq noch 13,3 Milliarden Dollar wert – ein Achtel des Werts von 2021. Die E-Autofirma Fisker mußte im Juni Antrag auf Gläubigerschutz (Chapter 11 Bankruptcy) stellen, eine Liquidation ist wohl unausweichlich. Das hat VW bei Rivian vorerst verhindert – aber ist das „spezielle Software-Know-how für Elektroautos“ (Helena Wisbert, Chefin des Center Automotive Research in Duisburg in der Bild) wirklich Milliarden wert? Und was wird aus der 2020 gegründeten VW-Software-Tochter Cariad SE, für die weltweit 6.000 Mitarbeiter tätig sind? Da wurden dreistellige Millionensummen investiert.
Die Geschichte der Autoindustrie ist voll von gescheiterten Allianzen
„Es sagt viel über die mißliche Lage der Volkswagen AG aus, nach dem Umsatz, daß die Rettung für Europas größten Autohersteller darin liegt, einen Scheck in Milliardenhöhe an ein amerikanisches Startup-Unternehmen auszustellen, das seit seiner Gründung 20 Milliarden Dollar verloren hat, im vergangenen Jahr nur 57.000 Fahrzeuge gebaut hat und voraussichtlich noch mehrere Jahre lang Geld verbrennen wird“, ätzte der Bloomberg-Kolumnist Chris Bryant. Es sei viel einfacher, eine Ehe zu verkünden, als sie zum Erfolg zu führen: „Die Geschichte der Autoindustrie ist voll von gescheiterten Allianzen und ungleichen Unternehmenskulturen. Investoren beider Unternehmen, die sich von der Verbindung eine schnelle Lösung der jeweiligen Probleme erhoffen, könnten schwer enttäuscht werden“, so der Brite und frühere Financial Times-Journalist.
Der deutsche Autoexperte Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management, verteidigt VW-Chef Blume: „Die Kosten für das Joint Venture sind hoch, aber gerechtfertigt. Die hauseigene Entwicklung war nicht erfolgreich.“ Er macht auch den Cariad-Beschäftigten Hoffnung: VW brauche eine Software-Mannschaft mit hoher Kompetenz, und die Amerikaner hätten zwar das technische Wissen, aber keine „Man Power“. Frank Schwope, Lehrbeauftragter für Automobilwirtschaft an der FH des Mittelstands in Hannover, sieht es ähnlich wie Bryant: „Sollte ein Konzern mit 684.000 Mitarbeitern nicht in der Lage sein, viel mehr selbst zu entwickeln, statt immer wieder Kooperationen einzugehen?“
Foto: Rivian-Gründer Robert Scaringe im März bei der Vorstellung des Prototyps des Elektro-SUV R3X in Laguna Beach/Kalifornien: „Wenn es um eine große technische Umstellung geht, können wir nicht alles alleine machen“, verkündete VW-Chef Oliver Blume vorige Woche,
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