Mit Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft durch Ungarn setzt Ministerpräsident Viktor Orbán ein überraschendes Signal. Schon beim EU-Gipfel in Brüssel Ende Juni fielen Bilder auf, die Orbán im gelösten Gespräch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zeigten. Dort soll Orbán seinen Coup verabredet haben: Sein erster Besuch in Kiew seit Beginn des Krieges 2022 und Beginn seiner „Friedensmission“. Binnen weniger Tage traf der Ungar im Anschluß den russischen Präsidenten Wladimir Putin in Moskau und danach den chinesischen Präsidenten Xi Jinping. Alles mit dem Ziel, endlich Bewegung in den festgefahrenen Krieg in der Ukraine zu bringen.
Im dritten Kriegsjahr hat sich das fürchterliche Schlachten im Osten der Ukraine festgefressen. Beide Kriegsparteien haben nicht genug Kraft, um den Gegner endgültig niederzuwerfen. Trotzdem sterben jeden Tag Hunderte, Tausende Männer auf beiden Seiten oder werden verstümmelt. Militärisch ist kein Befreiungsschlag in Sicht.
Es ist zu wünschen, daß Viktor Orbán Bewegung in eine festgefahrene politische Lage gebracht hat.
Orbán nutzt eine Phase, in der eine europäische diplomatische Initiative Chancen haben könnte. Der Westen bietet mindestens bis nach den US-Wahlen im November ein konfuses Bild. Großbritannien vollzieht gerade den Wechsel zu einer neuen Labour-Regierung. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat seine erodierte Macht durch die jüngste Parlamentswahl kaum stabilisieren können. Der Rückhalt der Regierung Scholz in Deutschland ist bei einem stotternden Wirtschaftsmotor auf einem Tiefpunkt, die fortgesetzten Hilfen für die Ukraine reißen riesige zusätzliche Milliardenlöcher. Und an der Spitze mit den USA die Weltmacht, deren Präsident die Führungsschwäche des Westens zum kläglichen Sinnbild macht.
Viktor Orbán hat allen Seiten als ersten Schritt einen Waffenstillstand vorgeschlagen. Sowohl Moskau als auch Kiew haben dies vorerst abgelehnt, weil sie befürchten, er könne von der anderen Seite zur beschleunigten Wiederaufrüstung genutzt werden, um dann erneut und noch härter zuzuschlagen. Doch der Gesprächsfaden ist da.
In einem Welt-Interview kreidet Orbán den EU-Staaten insgesamt an, sie hätten es vor 2022 versäumt, den Konflikt „zu isolieren“. Stattdessen „haben wir ihn eskaliert und immer internationaler gemacht“. Es ist zu wünschen, daß Orbán Bewegung in eine festgefahrene Lage bringt und diplomatische Phantasie weckt. Wie auch immer die bittere Lösung aussieht: Ohne ernste Sicherheitsgarantien wird es keine neue Ordnung geben. Schon der jetzige Krieg brach aus, weil Putin die Europäer gewogen und zunächst als zu leicht befunden hatte.