© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/24 / 12. Juli 2024

Aktivistische Investoren verlangen nicht nur hohe Renditen
Abwanderung nach New York
Thomas ­Kirchner

Nicht nur an der Grenze zu Mexiko, sondern auch an der New Yorker Börse könnte es bald zu Migrationsbewegungen kommen. Die Beratungsfirma Alvarez & Marsal (A&M) soll eine Liste deutscher Unternehmen als potentielle Ziele aktivistischer Anleger zusammengestellt haben, die zur Abwanderung nach New York ermutigt werden könnten. Denn es ist eine simple Rechnung: die 40 Dax-Unternehmen werden im Schnitt mit dem 13,9fachen des Gewinns bewertet, die im S&P 500 mit dem 24,4fachen. Würden deutsche Aktien wie amerikanische bewertet, stünden die Kurse etwa 75 Prozent höher. Der Dax läge über 32.000. Insgesamt wäre das eine Wertsteigerung um 1,2 Billionen Euro, etwa 30 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung.

Dax-Konzerne erwirtschaften einen Großteil ihrer Umsätze und Gewinne längst außerhalb Deutschlands. Auch die Eigner sind mehrheitlich ausländisch. Dennoch sind die Konzerne an der deutschen Börse notiert und werden wie deutsche Firmen bewertet. Sie profitieren von den hohen Wachstumsraten in Asien und den USA, werden aber bewertet, als ob sie nur deutsches Wachstum erlebten. Dazu kommen speziell deutsche Eigenarten: Mitbestimmung und Organtrennung nach deutschem Aktienrecht sind für internationale Anleger Gründe für Bewertungsabschläge.

Noch ist die A&M-Liste für deutsche Firmen nur Theorie, doch es ist absehbar, daß sich das ändern wird. Die Briten haben ähnliche Probleme: Die 100 Firmen im FTSE werden mit nur dem 12,1fachen des Gewinns bewertet, also noch günstiger als die im Dax. Aber es gibt jede Menge Kapital in privaten Pensionsfonds. Die sind aber von Vorschriften zur internationalen Diversifizierung angehalten, was einer der Gründe nicht nur für die niedrige Bewertung des FTSE, sondern der geringen Inlandsinvestitionen des vergangenen Jahrzehnts ist. Die internationale Ausrichtung ließ die Pensionsfonds besser abschneiden als den FTSE, was wiederum diese Anlageentscheidung im nachhinein rechtfertigt. Der in London notierte irische Baumaterialhersteller CRH wird vom schwedischen Aktivisten Cevian aufgefordert, seine Börsennotierung von London nach New York zu verlegen, wie auch der Lehrbuchverlag Pearson.

Cevian ist auch bei ThyssenKrupp engagiert, was der Grund sein dürfte, weshalb die Essener auf der A&M-Liste vertreten sein sollen. Der Hedgefonds Sparta von Franck Tuil, der sich in seiner Zeit bei Elliott Associates bei deutschen Konzernen einen Namen machte, fordert die Öl- und Gasfirma John Wood Group zum Umzug nach New York auf. Tuils Erfahrung in Deutschland legt nahe, daß er mit dieser Forderung auch hierzulande hervortritt. Auch der US-Hedgefonds Third Point von Daniel Loeb soll britischen Firmen die Verlegung nach New York empfohlen haben. Viele der Angesprochenen sollen der Idee gegenüber aufgeschlossen sein. Der Chiphersteller ARM hatte bereits im vergangenen Jahr New York bei seinem Börsengang London vorgezogen. British American Tabacco ist der einzige Konzern, der eine Umsiedelung öffentlich ablehnte.

Ausschlaggebend dürften nicht nur Bewertungsfragen sein. US-Unternehmen haben mehr Flexibilität bei der Entlohnung ihrer Angestellten in Aktien und sind weniger Restriktionen bei Lieferketten und fossilen Brennstoffen ausgesetzt. Die Erwartungen an die Ampelregierung sind nicht hoch. Bleibt abzuwarten, ob die neue Labour-Regierung in London die Abwanderung aufhalten kann.