Man kennt ihn aus dem Fernsehen: Wenn es finanziell nicht mehr weiterging in einer Familie, kam Peter Zwegat, der Schuldenberater. Penibel stellte er auf seiner berühmten Tafel Ausgaben und Einnahmen gegenüber und kam meist zu dem Ergebnis: So wie bisher geht es nicht weiter.
Seine Fernsehkarriere endete 2015, aber in Berlin würde er jetzt dringend gebraucht. Denn eine aktuelle Studie zeigt: Auch der Bundesregierung sind die Schulden über den Kopf gewachsen. Mit knapp 2,5 Billionen Euro stehen Bund, Länder und Kommunen bereits heute in der Kreide. Das sind etwa 30.000 Euro pro Kopf der Bevölkerung. Und die Schuldenuhr tickt munter weiter: Pro Sekunde steigt der Schuldenberg um weitere 3.581 Euro, hat der Bund der Steuerzahler (BdSt) ausgerechnet.
Von 100 Euro Steuereinnahmen zehn Euro allein schon für Zinsen
Der normale Bürger mag sich angesichts dieser Zahlen gruseln, aber die Politiker sind ganz entspannt. SPD und Grüne würden sogar am liebsten noch die grundgesetzliche Schuldenbremse (Artikel 109) loswerden, um den Bundeshaushalt 2025 finanzieren zu können. Denn da klemmt es trotz Rekord-Steuereinnahmen an allen Ecken und Enden. Die Ironie dabei: Das liegt ganz wesentlich auch an den Zinslasten für früher aufgenommene Schulden. Diese haben sich nämlich nach der Zinswende für den Bund seit 2021 verzehnfacht, von 3,85 Milliarden auf 38,5 Milliarden Euro im vergangenen Jahr.
Im laufenden Jahr werden sie mit 37 Milliarden Euro kaum geringer sein. Damit muß der Bund von 100 Euro Steuereinnahmen zehn Euro allein schon für Zinsen ausgeben, schreibt das Kölner Institut der deutschen Wirtschaft (IW-Kurzbericht 40/24) in seiner aktuellen Analyse. Daran sind natürlich vor allem die Sünden der Vorgängerregierungen schuld. Aber auch die Ampel hat entgegen vielen Mahnungen des Bundesrechnungshofes die verantwortungslose Haushaltspolitik nicht korrigiert, sondern beschleunigt fortgesetzt.
Zwar ist die offizielle Schuldenquote Deutschlands von knapp 65 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in den letzten Jahren konstant geblieben. Es wurden aber noch zusätzliche Schuldenfässer geöffnet, welche in die offizielle Verschuldungsquote gar nicht eingehen. Dazu gehört zum Beispiel das Bundeswehr-Sondervermögen von 100 Milliarden Euro, für das sogar ein eigener Artikel ins Grundgesetz eingefügt wurde. Auch das neue „Generationenkapital“, mit dem Finanzminister Lindner die Renten zukunftssicherer machen will, taucht in der Schuldenstatistik nicht auf.
Dabei sind dafür weitere, rein kreditfinanzierte Bundesmittel in Höhe von zwölf Milliarden Euro im Bundeshaushalt vorgesehen. Da diese aber nicht sofort für Konsumzwecke verausgabt, sondern erst einmal in Aktienkapital angelegt werden sollen, erhöhen sie rein formal nicht den Schuldenstand des Bundes. Die Zinsen für die zu diesem Zweck aufgenommenen Finanzmittel müssen aber gleichwohl aus dem Haushalt finanziert werden, schreibt das IW zu Recht. Um so unverständlicher ist allerdings, daß die Kölner Ökonomen im gleichen Atemzug zu einem ähnlichen Trick raten: Man könne doch die Investitionszuschüsse an die Deutsche Bahn dieser künftig als Eigenkapital zur Verfügung stellen. Das wäre dann ebenfalls eine rein „finanzielle Transaktion“ und damit in der Schuldenstatistik nicht mehr sichtbar. Peter Zwegat würde sich bei solch unseriösen Vorschlägen zweifellos die Haare raufen.
Was aber kann man sonst tun, um den Haushalt zu retten? In erster Linie sparen, meint auch das IW. Und dafür bieten sich vor allem die Sozialausgaben an. Denn bei den Investitionen liegt Deutschland ohnehin seit Jahren international weit zurück, was mittlerweile auch die EU-Kommission moniert. Der Sozialhaushalt ist dagegen mit 46 Prozent nicht nur der mit Abstand größte Einzelposten im Bundeshaushalt, er ist laut der IW-Studie auch für mehr als ein Drittel des gesamten Ausgabenanstiegs seit 2019 verantwortlich. Das sind nicht weniger al 41 Milliarden Euro, wovon knapp die Hälfte (20 Milliarden) auf den Bundeszuschuß zur Rentenversicherung zurückzuführen sind.
Für die Politik steht der nächste Wahltermin im Vordergrund
Hinzu kamen drei Milliarden Mehrausgaben für die Grundsicherung im Alter. Weitere sieben Milliarden entfielen auf den Etat des Bundesarbeitsministers, wozu insbesondere auch das teure Bürgergeld gehört. Damit ist offensichtlich, an welchen Stellen eingespart werden könnte und auch müßte. So ist die demotivierende und arbeitsmarktschädliche Wirkung des Bürgergelds inzwischen hinlänglich nachgewiesen und wird von kaum noch jemandem ernsthaft bestritten. Aber auch die Ausgaben für die Alterssicherung werden sich so wie bisher nicht mehr lange finanzieren lassen.
Hier klafft eine weitere Nachhaltigkeitslücke in Billionenhöhe, die in der offiziellen Schuldenstatistik nicht erfaßt wird. In der Wissenschaft besteht weitgehend Einigkeit darin, daß deswegen an einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit kein Weg vorbeiführt. Zuletzt hat das Münchener Ifo-Institut zum wiederholten Mal darauf hingewiesen. Wie sonst auch soll das wachsende Heer der Alten von immer weniger Jungen finanziert werden, ohne daß die Rentenbeiträge ins Uferlose steigen?
Die Ampelregierung tut allerdings das Gegenteil. Gerade erst hat sie das Rentenniveau auf Dauer festgeschrieben, was allein zu Lasten der Steuer- und Beitragszahler geht. Ebensowenig denkt sie an eine Korrektur der „Rente mit 63“ oder anderer Faktoren, welche die Finanzierbarkeit der künftigen Rentenlasten erschweren. Wie meistens in der Politik steht offenbar vor allem das Überstehen des nächsten Wahltermins im Vordergrund. Echte Nachhaltigkeit sähe indessen anders aus.
Prof. Dr. Ulrich van Suntum lehrte von 1995 bis 2020 VWL an der Wilhelms-Universität Münster. www.iwkoeln.de/studien.html