© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/24 / 12. Juli 2024

Der Niedergang ist nicht aufzuhalten
Glaubenskrise: Die Katholische Kirche in Deutschland hat über 400.000 Mitglieder verloren
Gernot Facius

Georg Bätzing, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), zeigt sich „alarmiert“: Er sieht seine katholische Kirche in einer „umfassenden Krise“, auch wenn die Zahl der Austritte zuletzt etwas gesunken ist. An der Tatsache läßt sich nicht rütteln: Es bröckelt und bröckelt weiter. Das kann Bischöfe, Pfarrer und Laienvertreter nicht kaltlassen. Im Jahr 2023 haben an die 403.000 Menschen die Kirche verlassen, das ist der zweithöchste Wert in der Geschichte der Kirchenaustrittsstatistik, die von der DBK geführt wird. 2022 kehrten 520.000 Katholiken ihrer Kirche den Rücken. Insgesamt sind jetzt in Deutschland noch 20,3 Millionen Einwohner römisch-katholisch: 24 Prozent der Bevölkerung. Und in diesem Jahr könnte die 20-Millionen-Marke erstmals unterschritten werden. Die Krise würde sich verschärfen.

Ein „Dokument des Schrumpfens“ nennt die Tagespost aus Würzburg die jüngste Statistik. Das katholische Blatt stellt sogleich die Frage: Wie lange brauchen die Bischöfe noch, um die Notwendigkeit von Mission zu erkennen? Vor 20 Jahren gehörten noch sechs Millionen Menschen mehr der Kirche an. Sie hat fast ein Viertel ihrer Mitglieder in den beiden letzten Dekaden eingebüßt. Auf eine Trend-umkehr zu hoffen, dürfte vergeblich sein.

Es gibt, wie Demoskopen herausgefunden haben, einen qualitativen Verlust an Glauben. Sonntag für Sonntag bleiben 94 von 100 Katholiken der Messe fern – so es denn überhaupt am Wohnort noch eine gibt. Der Niedergang ist nicht aufzuhalten. Bei der Suche nach den Ursachen wird man auf mehrere Ursachen stoßen. „Wer aber auf dem Boden einer gesunden christlichen Anthropologie um die Wahrheit der Erlösungsbedürftigkeit der gebrochenen Natur des Menschen weiß, muß unbedingt die Frage stellen, welchen narkotisierenden Cocktail unser Zeitalter bereithält, um den Menschen sogar seine Sehnsucht nach Heil zu nehmen. Es ist exakt diese, die neu zu wecken ist.“ Soweit die Tagespost.

Andere Kommentatoren sehen das ähnlich.  „Der Rückgang findet auf extrem hohen Niveau statt“, analysiert der Theologe Daniel Bogner die Entwicklung. „Man muß sich das bildhaft vorstellen: Während im Jahr zuvor Menschen in der Größe einer Stadt wie Nürnberg aus der Kirche ausgetreten sind, waren es im vergangenen Jahr mehr als alle Einwohner einer Stadt wie Bochum. So etwas ist dramatisch. Man kann es sich nicht schönreden.“

Die Kirche, sagt auch Bischof Bätzing aus Limburg, müsse sich „ehrlich machen“ und negative Entwicklungen wahrnehmen. Etwa die nicht enden wollenden Debatten über die Mißbrauchsskandale. Resignation, Angst oder Rückzug seien die falschen Antworten: „Als Kirche haben wir den Auftrag, die frohe Botschaft vom liebenden, schöpferischen und befreienden Gott zu verkünden, sie zu leben und weiterzugeben.“

Die Zahl der Pfarreien ist ebenfalls rückläufig

Bätzing räumt ein, Reformen allein würden die Kirchenkrise nicht beheben, aber die Krise würde sich ohne Reformen noch verschärfen. Und deswegen seien Veränderungen notwendig. Die meisten Austritte gab es nach absoluten Zahlen im Erzbistum Köln (40.913, im Jahr davor 51.345), gefolgt von Freiburg (33.835, Vorjahr 41.802) und München-Freising (32.874, Vorjahr 49.029). Die wenigsten Austritte verzeichneten die mitteldeutschen Bistümer Görlitz mit 392 (Vorjahr 422), Magdeburg (1.244, Vorjahr 1.486) und Erfurt (1.811, Vorjahr 2.413). „Der erfolgreiche und gelungene Katholikentag, der kürzlich in Erfurt stattfand, ist ein gutes Beispiel dafür gewesen, daß noch immer Menschen Hoffnung, Kraft und Zuversicht in ihrem christlichen Glauben finden“, schrieb der Bonner General-Anzeiger. 

Noch einmal ein Blick zurück nach Köln, wo Kardinal Rainer Maria Woelki residiert: Das Erzbistum verzeichnet fast doppelt so viele Austritte wie Sterbefälle, deren Zahl bei 24.819 lag. Vor Bekanntwerden des Mißbrauchsskandals war dieser Wert meist umgekehrt. Das heißt: Es starben deutlich mehr Katholiken als Christen, die ihre Kirche verließen. Es sei das „große und zugleich gruselige“ Drama unserer Tage, den Niedergang mit ansehen zu müssen und zugleich zu realisieren, daß die Kirche aus ihrer „synodalistischen Eigenrotation“ auch angesichts dieser Not nicht herausfinde, schrieb ein Kommentator der Tagespost. Man scheine ernsthaft zu glauben, mit Antworten auf Fragen, die sich nur Bischöfe im Elfenbeinturm und Funktionäre stellten, die Kirche attraktiv und anziehend zu machen. „Sie erreichen damit das genaue Gegenteil.“ Es brauche einen echten Neuanfang, bei dem sich die Organisation Kirche von mancher Last befreit. Viele spürten, daß selbst der – vom Vatikan kritisch beobachtete – Synodale Weg der Deutschen Bischofskonferenz „zu kurz springt“, war im Blog eines engagierten Pastoralreferenten zu lesen. Der Mann hat sicher nicht ganz unrecht: Den meisten „modernen“ Menschen fehlt nichts ohne die Kirche, wie sie sich heute – vielerorts modernistisch – darbietet. Ihre frühere Deutungshoheit über Himmel und Erde, Leben und Sterben hat die Kirche verloren. Sie befindet sich in einer Konkurrenz mit anderen Weltanschauungen. Mit politischen Botschaften allein, das beginnt man in den Bischofskanzleien allmählich zu begreifen, wird man aus der Misere nicht herausfinden.

Dazu zählt auch die fortlaufende Annäherung an die Homosexuellen-Bewegung. So beteiligt sich das katholische Stadtdekanat Köln in diesem Monat erstmals am Programm der Veranstaltung „Cologne Pride“ für die Rechte von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transgendern. Das Motto lautet: „God meets Gays“.

Angesichts der vielfäligen Miseren nennen es manche Forscher sogar „verwunderlich“, daß immer noch so viele Menschen einer Kirche angehören. Ein Grund dafür ist nach Einschätzung des Religionssoziologen Detlef Pollack, daß christliche Werte wie Nächstenliebe von breiten Schichten der Bevölkerung geteilt werden. Dennoch liefert der Mitgliederschwund immer wieder Stoff für Schlagzeilen wie „Katholiken droht ‘Implosion’ zur Minderheitenkirche“. Denn neben der Zahl der Mitglieder ist auch die der Pfarreien rückläufig. Sie ging von 9.624 im Jahr 2022 auf 9.418 im Jahr 2023 zurück.

Der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ergeht es nicht viel anders. Sie hat bereits im Mai ihre Austrittszahlen vorgelegt: 380.000 für 2023, das waren ähnlich viele wie im Jahr davor. Noch 18,5 Millionen Menschen gehören den 20 protestantischen Landeskirchen an. 

Deutsche Bischofskonferenz www.dbk.de