© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/24 / 12. Juli 2024

Kakerlaken – Wunder der Schöpfung
Kino I: Das skurrile Kuriositätenkabinett der Filmreihe „Ich – Einfach unverbesserlich“ geht in die vierte Runde
Dietmar Mehrens

Kein Kokolores, keine Sperenzien und kein Tamtam.“ Was der vom Oberschurken zum Vorstadt-Familienvater geschrumpfte Gru (deutsche Stimme: Oliver Rohrbeck) als Devise für das problemfreie familiäre Zusammenleben ausgibt, war erkennbar nicht die Richtschnur für die Macher von „Ich – Einfach unverbesserlich 4“, Regisseur Chris Renaud und Autoren-Duo Mike White/Ken Daurio. Denn auch der vierte Teil der Computertrick-Kinoreihe um einen ingeniösen Schwerverbrecher mit russischen Wurzeln und seine gelben Helferlein, die Minions (JF 27/22), ist ein buntes Feuerwerk der Skurrilitäten. 

Der Filmspaß beginnt mit einer Dienstreise der russischstämmigen Langnase und einiger für diese Mission erwählter Minions zur entlegenen Schurkenausbildungsstätte Lycée Pas Bon (auf deutsch: „Nicht-Gut-Gymnasium“). In dem verdächtig an das Märchenschloß von Disneyland erinnernden Lehrinstitut findet die Verleihung des Alumni Award an den frankophilen Superschurken Maxime Le Mal (deutsche Stimme: Jens Knossalla) statt. Eine ideale Gelegenheit, um den eingebildeten und passend dazu in Baerbock-Grün gewandeten Gernegroß, der Kakerlaken als Wunder der Schöpfung preist und sich damit perfekt selbst charakterisiert, aus dem Verkehr zu ziehen. Denn seit dem Ende des ersten „Ich – Einfach unverbesserlich“-Films von 2010 ist Gru bekanntlich auf der Seite der Guten und arbeitet für die Anti-Verbrecher-Liga (AVL).

Action- und Superheldenfilme werden eifrig pa­ro­diert

Als sich Le Mal – passend zum Kafka-Jahr – in eine überdimensionierte Küchenschabe verwandelt und dank dieser Mutation aus der Haft entfliehen kann, droht Gru, Gattin Lucy (deutsche Stimme: Martina Hill), den Töchtern Margo, Edith und Agnes sowie Baby Gru junior Ungemach. Hatte der Kakerlakenkönig doch aus Anlaß seiner Verhaftung gedroht: „Ich werde dich vernichten!“

AVL-Chef Silas Ramspopo sieht dringenden Handlungsbedarf und schickt Grus Familie mit falschen Identitäten ins Zeugenschutzprogramm-Städtchen Mayflower, wo sie eine kleine Villa mit automatischem Einschließungsmodus für Notfälle bezieht. Doch das ruhige Vorstadtleben ist nur von kurzer Dauer, denn die jugendliche Superschurken-Aspirantin Poppy Prescott enttarnt Gru. Als Gegenleistung für ihr Schweigen verlangt sie von ihm, ihr bei der Entwendung des Schulmaskottchens des Lycée Pas Bon zu helfen. Das ist ein Honigdachs, der von der hochbetagten Schuldirektorin Übelschlecht an schwer zugänglichem Orte gefangengehalten wird.

Der Dachs – noch so ein Wunder der Schöpfung – entpuppt sich leider als ebenso garstiger wie arg­listiger Aggressor. Aber natürlich kann Gru sich wie bei jeder schwierigen Mission auf die Mitwirkung der Minions verlassen. Als hätte er mit Poppy und dem Dachs nicht schon genug Ärger am Hals, bekommt der Ex-Kriminelle es dann auch noch mit Maxime Le Mal zu tun. Dem entflohenen Schwerverbrecher gelingt es vermöge einer an die Anatomie von Kakerlaken angelehnten Flugmaschine, Baby Gru junior zu entführen. In einem dritten Handlungsstrang sorgen die Minions, von Silas Ramspopo zur AVL-Geheimwaffe trainiert, dafür, daß die Leinwand auch dann nicht zur Ruhe kommt, wenn weder Gru noch der üble Maxime auf ihr zu sehen sind.

Wie üblich werden bekannte Action-, Superhelden- und Agentenfilme eifrig pa­ro­diert, so daß Cineasten dank der vielen Filmzitate an der überdrehten Komödie fast so viel Spaß haben werden wie ihre Kinder. Zum Erfolgsrezept der Kinoreihe um Gru und die Minions gehört es auch, das Leinwandvergnügen mit Klassikern der jüngeren Musikgeschichte zu würzen. Diesmal sind es Cameos „Word Up!“, „Everybody Wants to Rule the World“ von Tears for Fears und „Karma Chameleon“ von Culture Club, die als adäquat eingebaute Neuinterpretationen neben der minderjährigen Zielgruppe auch Musik-Nostalgiker mit Achtziger-Jahre-Jugend ins Schwärmen geraten lassen. Das schwächt, zumindest geringfügig, den Eindruck ab, daß der Gru-Drops inzwischen reichlich ausgelutscht ist und nur noch als Lizenz zum Gelddrucken herhält. Und es mindert die Verwunderung darüber, wie viel Kokolores sich in 90 Filmminuten unterbringen läßt.

Foto: Familiäres Vorstadtleben: Falsche Identitäten im Zeugenschutzprogramm