Alle reden über digitales Entgiften, der finnische Handykonzern Nokia macht Ernst: Mit dem neuen 3210 kehrt ein Handy zurück, mit dem man fast nur telefonieren kann. Das trifft den Nerv einer Bewegung, die dem Smartphone den Kampf angesagt hat.
Vor 17 Jahren kam das erste iPhone auf den Markt, heute hat es uns im Griff. Endloses, exzessives Suchtverhalten nimmt Smartphone-Nutzer immer stärker gefangen: Tinder, Mails, Youtube-Shorts, WhatsApp, Insta-Reels, Tik-Tok-Videos, X-Postings verlangen permanente Aufmerksamkeit. Das hat nachweislich negative psychische Effekte. Die Angelsachsen haben bereits ein Wort dafür: „Doomscrolling“ (Doom = Untergang). „Digital Detoxing“, das „Entgiften“ von dauernden Online-Nachrichten, ist schon ein mentaler Gesundheitstrend.
Ein Klassiker kommt erneut auf den Markt
Doch vielen fällt es zu schwer, das Mobilfunkgerät aus der Hand zu legen. Außerdem möchte oder kann man vielleicht nicht auf telefonische Erreichbarkeit verzichten. Die Lösung: ein Steinzeit-Handy, das nichts anderes kann als Anrufen, Kurznachrichten schreiben und vielleicht den Wecker stellen. Das Comeback der „alten Knochen“ rollt an. Wer noch ein altes Nokia, Motorola oder Siemens-Handy mit Schwarz-Weiß-Display besitzt, ist jetzt ganz weit vorne. Hartnäckige Smartphone-Verweigerer, bis gestern noch mit Augenrollen als schrullige Kauze verlacht, sind plötzlich Vorreiter und -bilder. Mobiltelefone, die buchstäblich nichts weiter sind als eben das, avancieren vom Elektroschrott zum gesuchten It-Piece.
In den USA ist die Rückkehr der Mobilfunk-Oldtimer schon eine Bewegung. Die „Dumbphones“, also „dumme Telefone“ ohne Kamera, Apps, soziale Medien und Wisch-Bildschirm, erzielen Höchstpreise. Nach ihren Motiven befragt, erzählen Nutzer, daß sie mit dem guten alten Handy ihre Smartphone- und Social-Media-Sucht erfolgreich bekämpft haben und sich glücklich befreit fühlen von der zeitfressenden Dauerablenkung. Die begeisterten Stimmen kommen von Jugendlichen mit Online-Depression, Eltern, die ihre Aufmerksamkeit endlich wieder ihren Kindern widmen, und Senioren, die mit den vielen Anwendungen überfordert waren.
Wer kein Antik-Mobiltelefon mehr in der Schublade hat, muß nicht verzweifeln: Erste Händler haben schon reagiert und bieten einfache Handys mit Rudimentärfunktionen an. Der Hersteller „Light Phone“ präsentiert ein Modell, das aussieht wie ein Taschenrechner aus den 1980ern. Das Gerät bietet Telefon, SMS-Dienst, Navi, Kalenderfunktionen und die Möglichkeit, Musik oder Podcasts abzuspielen. Soziale Medien und Streaming-Apps sind nicht verfügbar. Schlafstörungen durch nächtelanges Youtube-Gucken sind damit passé.
Apple und Samsung müssen die neue Weniger-ist-mehr-Philosophie nicht fürchten, aber Nokia hat die Zeichen der Zeit erkannt und ein Vierteljahrhundert nach seinem Erscheinen das legendäre Modell 3210 neu auf den Markt gebracht. „Nimm Likes, Shares und Kommentare weg und was bleibt, sind Gespräche mit Menschen, die Dir am wichtigsten sind“, schreiben die finnischen Hersteller und treffen damit den Nagel auf den Kopf.
Das Remake sieht aus wie der Klassiker und punktet neben der reduzierten Technologie vor allem mit der schon legendären Akku-Laufzeit. Als kleiner Nostalgie-Gag wurde das kultige Spiel „Snake“ vorinstalliert. 5G unterstützt das neue/alte 3210 nicht. Dafür kommt es mit einer Kamera daher, die auch modernen Ansprüchen genügt (mit LED-Blitz). Das Nokia 3210 2024 ist für 80 Euro zu haben.