Sieben Spreng- und Brandsatzexplosionen erschüttern in nur drei Wochen Nord-rhein-Westfalen. Marokkanische Kriminelle aus den Niederlanden erobern Deutschland. Die Täter schrecken vor Mord, Folter und Entführungen nicht zurück. Sie kämpfen um Absatzmärkte auf deutschem Grenzland zu Holland und Belgien. Die Banden treffen auf einen Staat, der weder politisch noch personell noch rechtlich in der Lage und willens scheint, sich ihnen mit der gebotenen Kraft und Entschlossenheit entgegenzustemmen.
Die Mocro-Mafiosi – einen Mord begehen sie schon für 4.000 Euro
„Wir haben hier eine neue Dimension der Gewalt im Bereich der Organisierten Kriminalität erleben müssen,“ sagt sichtlich angefaßt Kölns Kripo-Chef, Kriminaldirektor Michael Esser, auf einer Pressekonferenz am Mittwoch, den 10. Juli in der Domstadt, „die es so hier in Deutschland meines Wissens noch nicht gegeben hat.“
Was war geschehen? Fahnder entdeckten in einer schmucken Bungalowsiedlung eine Folterkammer. Die nackten, blutenden Opfer lagen und hockten gefesselt noch darin. Ein Mann und eine Frau. Der SEK-Einsatz am Freitag, den 5. Juli in Köln-Rodenkirchen katapultierte die „Mocro-Mafia“, wie die Niederländer sie nennen, ins Licht der Öffentlichkeit.
Hintergrund des Einsatzes war eine Lieferung von 300 Kilo Cannabis der Mocro-Mafia nach Köln. Jedoch soll eine andere Mafia-Bande den Stoff unterschlagen oder gestohlen haben. Das konnten die „Mocros“ natürlich nicht durchgehen lassen. Die Folgen: Bedrohungen, Sprengstoffanschläge, dann die Geiselnahme. Die Tatorte sind Köln, Buchheim, Merheim, Duisburg, Solingen, Bochum und Engelskirchen.
Bilanz: Bisher ein Toter. Vermutlich der Attentäter selbst, der sich, wohl seinem jugendlichen Alter geschuldet, er zählte 17 Lenze, aus Versehen selbst in die Luft jagte. Dann die Entführung und die Befreiung der Geiseln, eine soll aus dem Al-Zein-Clan stammen, durch das Spezialeinsatzkommando am Freitag vor zwei Wochen. Stephanie Beller, Staatsanwaltschaft Köln, sagte dazu: „Wir befinden uns hier in tiefsten OK-Verflechtungen.“ Sieben Männer konnten bisher festgenommen werden. Der Straßenverkaufswert der Ware beläuft sich um die 1,5 Millionen Euro.
Als „Mocro-Mafia“ bezeichnen Niederländer die losen Gruppierungen von Drogendealern, die sich erst in den nuller Jahren in den Niederlanden gebildet haben. Viele der Täter stammen aus Marokko und von den Antillen oder haben dort ihre familiären Wurzeln. Einstellungsvoraussetzungen sind Brutalität, Skrupellosigkeit und eine, jedenfalls bei den meist jugendlichen Auftragsmördern, ausgeprägte Minderintelligenz. Einen Mord begehen sie für 4.000 Euro, nach oben hin sind keine Grenzen gesetzt. Sie sind so kaltschnäuzig, daß ihnen der niederländische Sicherheitsapparat die Entführung der Kronprinzessin Amalia zutraute.
Über die beiden Seehäfen Amsterdam und Rotterdam, aber natürlich auch über Hamburg und Bremen, werden Marihuana aus Marokko und seit einigen Jahrzehnten Kokain auf den europäischen Kontinent geschmuggelt. Die präparierten Container werden noch im Hafengebiet von der Mafia geöffnet und die Fracht umgeladen. Der europäische Markt floriert. 2020 schätzten Experten, daß Konsumenten 39 Milliarden Euro pro Jahr ausgeben.
Worüber Journalisten in den Niederlanden schon vor Jahren berichteten, ließ deutsche Minister einfach kalt. Markus Wagner, innenpolitischer Sprecher der AfD im nordrhein-westfälischen Landtag, wollte am 24. März 2021 wissen: „Trägt die niederländische ‘Mocro-Mafia’ neue Clan-Kriege nach Nordrhein-Westfalen?“ Am 15. April 2021 antwortete ihm Innenminister Herbert Reul (CDU): „Bisher liegen auch für Nordrhein-Westfalen keine belastbaren Indikatoren für kriminelle Aktivitäten dieser Zielgruppe vor, die aus OK- oder OK-ähnlichen Strukturen verübt werden oder verübt worden sind.“
Insofern ließen sich auf Grundlage der bislang vorliegenden Informationen, so Reul, die im Rahmen der Presseberichterstattung dargestellten vermeintlichen Gefahrenpotentiale für die öffentliche Sicherheit in Nordrhein-Westfalen „durch die mutmaßlichen mafiosen Strukturen in ihrem Kern nicht verifizieren.“
Das sah aber schon ein Jahr zuvor einer der bekanntesten OK-Experten des Landes ganz anders. Die Welt veröffentlichte einen bemerkenswerten Artikel im Dezember 2020, der am 5. Januar 2021 in der Zeitung des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) nachgedruckt wurde, also drei Monate vor der Antwort des Innenministers. In dem Artikel gibt Thomas Mischke, einer der leitenden Fahndungsbeamten in der Bundespolizei in NRW zur Organisierten Kriminalität, Auskunft. Mischke stellt Deutschland als Geldwaschmaschine der OK dar, als Rückzugsort, aber er geht auch auf ein spezielles Problem ein, nämlich die „Mocro-Mafia“. Sie dränge „auf den deutschen Markt, denn die Banden kennen keine Grenzen“. Ihre Aktivitäten beschränkten sich nicht auf die Niederlande, sondern orientierten sich an Angebot und Nachfrage. So habe die sichergestellte Drogenmenge aus Holland in Richtung Deutschland seit 2017 „dramatisch zugenommen“, vor allem die in den Niederlanden mittlerweile in enormen Mengen produzierten synthetischen Drogen wie Amphetamin und seine Derivate, aber auch Kokain.
„Jetzt findet der Drogenkrieg vor unserer Haustür statt.“
Unter deutschen Fahndern waren also das Krebsgeschwür Mocro-Mafia und seine Expansionsbemühungen nach Deutschland und die spezielle Problematik des Grenzgebietes spätestens ab 2017 bekannt.
Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Welt-Artikels hat Peter de Vries noch knapp 18 Monate zu leben. Der renommierte TV-Journalist berichtet seit über 17 Jahren über Kriminalität. Er ist Berater des Kronzeugen Nabil B. in dem sogenannten „Marengo-Prozeß“ gegen Ridouan Taghi und 16 weitere Angeklagte. Der Prozeß beginnt im März 2021. Taghi ist einer der führenden Köpfe der Mocro-Mafia. Sechs Morde und diverse Versuche werden verhandelt. Die Strafen: dreimal lebenslänglich, die Urteile sind noch nicht rechtskräftig.
Schon im Vorfeld des Prozesses waren der Bruder und der Anwalt des Kronzeugen ermordet worden. Auf Peter de Vries wird am 15. Juli 2021 in Amsterdam um 19 Uhr auf dem Heimweg fünfmal aus nächster Nähe geschossen. Er wird 64 Jahre alt.
Das Metastasieren der Mocro-Mafia nach Deutschland trifft hierzulande auf die Freigabe des Cannabiskonsums. Seit April darf Haschisch legal konsumiert werden. Doch es fehlt an einer ausreichenden legalen Produktion von Cannabis. Genau hier setzen die Rauschgift-Dealer aus den Niederlanden an und beliefern mit ihrer geschmuggelten Ware den legalen Verkauf. Ein Milliardengeschäft.
Wagner beantragte im Juli eine Sondersitzung des Innenausschusses zum Drogenkrieg. „Die marokkanischen Kriminellen kommen über die NRW-Westgrenze, aber die CDU will keinen adäquaten Grenzschutz. Das ist doch schon fast Vorsatz!“, warnte er der JUNGEN FREIHEIT gegenüber. Die Ausschußvorsitzende Angela Erwin (CDU) lehnte den Antrag jedoch ab, das erforderliche Quorum sei nicht erreicht worden. „Die Gefahr war bekannt, aber man tat nichts. Jetzt findet der Drogenkrieg vor unserer Haustür statt“, kommentiert das Wagner.