Auf dem Wasser liegen und friedlich in den Himmel schauen“, wie Adorno 1951 in seiner „Minima Moralia“ als kleinen Vermerk über die Utopie notierte, das würden derzeit gern viele Politiker in der Linkspartei tun. Der Sommer ist da, doch die Utopie wirkt weiter entfernt denn je – mit einem desaströsen EU-Wahlergebnis von gerade einmal 2,7 Prozent im Rücken.
Vor sich hat die Partei die Landtagswahlen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen. Umfragen zufolge könnte sie in den beiden letzteren Ländern an der Fünfprozenthürde scheitern. Ganz zu schweigen von der Bundestagswahl, wo eine Niederlage „Die Linke“ als Ganzes in Frage stellen würde. Und so muß das Auf-dem-Wasser-Liegen warten. Zumindest theoretisch – denn immer mehr Funktionäre entdecken die Abkürzung in die Privatutopie für sich und nehmen einen lebenslangen Urlaub von der Politik. So zum Beispiel die Sozialexpertin Katja Kipping, die seit 1999 parlamentarisch für die Linkspartei tätig war. Sie wechselt ab September zum Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband. „Nach einem Vierteljahrhundert in der Berufspolitik wird in Zukunft für mich vieles anders, aber eins bleibt gleich: der unbedingte Einsatz für soziale Gerechtigkeit“, ließ die Dresdnerin über den Kurznachrichtendienst X wissen.
Mit der Ankündigung, bei der kommenden Bundestagswahl nicht wieder für ihren Berliner Bezirk Lichtenberg zu kandidieren, wagte auch die Langzeitabgeordnete Gesine Lötzsch den Sprung in die ewige Sommerpause. Für sie steht im Rückblick auf die vermasselte EU-Wahl fest: „Es gab viel zu wenig Schwerpunktsetzung auf das Thema Frieden.“ Die Parteispitze habe sich öffentlich darüber ausgelassen, daß dieses Thema Frieden vor allem „ältere Ostdeutsche“ interessiere. „Das halte ich für eine eklatante Fehleinschätzung, der aus der Partei deutlich entgegengetreten werden muß“, betonte Lötzsch in der Jungen Welt.
Kann eine „Weststrategie“ die Partei wieder auf Kurs bringen?
Das allgemeine Handtuchschwingen in der Linken verunsichert unterdessen all diejenigen, die eigentlich keinen Urlaub geplant haben – allen voran Gregor Gysi und Dietmar Bartsch. Die beiden Linken-Koryphäen hatten sich unlängst Luft über den aus ihrer Sicht falschen Kurs der Partei gemacht. Es brauche eine „politische, strukturelle und personelle Erneuerung“ der Linkspartei, mahnte Bartsch, der in den vergangenen 20 Jahren so ziemlich alle Posten innehatte, die man in der Linkspartei bekleiden kann, in der Welt. Die Parteispitze um Martin Schirdewan und Janine Wissler hatte sich prompt über „Fouls von der Seitenlinie“ beschwert. Indes, auch sie schließt einen Abgang nicht mehr aus, wie zuletzt der Spiegel aus einer Klausursitzung erfahren haben will.
Gemeinsam mit den Linksfraktionsvorsitzenden im Bundestag, Sören Pellmann und Heidi Reichinnek, solle ein Plan für die Linke ausgearbeitet werden. Ein mögliches Modell ist die „Weststrategie“, ins Spiel gebracht von Daphne Weber aus dem Parteivorstand. Weber setzt auf die Ballungsräume im Westen, wo „das moderne Dienstleistungsproletariat“ lebe. Ob die Linke in Bochum oder Bielefeld die Utopie verwirklichen kann, sei dahingestellt. Zumindest können Kipping und Lötzsch ihren Kollegen nun endlich berichten, wie das Leben ohne Partei so aussieht – was ja auch eine Art Utopie ist.