Morgens um sechs Uhr im brandenburgischen Falkensee: Bewaffnete und maskierte Polizisten dringen in ein Einfamilienhaus ein, durchsuchen die Innenräume. Der Hausherr, Chefredakteur des rechten Compact-Magazins, Jürgen Elsässer, trägt noch seinen Morgenmantel, als er von den bereits anwesenden Journalisten fotografiert wird.
Zuvor hatte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) das Magazin Compact sowie die dazugehörige Videoproduktionsfirma Conspect Film GmbH verboten. Beide richteten sich „gegen die verfassungsmäßige Ordnung im Sinne von Artikel 9 des Grundgesetzes und § 3 des Vereinsgesetzes“, begründete die Politikerin das Verbot in einer Pressemitteilung. „Ich habe heute das rechtsextremistische Compact-Magazin verboten“, verkündete Faeser anschließend in einem auf der Internetplattform X verbreiteten Video. Compact sei „das zentrale Sprachrohr der rechtsextremistischen Szene“, dessen „selbsterklärtes Ziel“ die „Zerstörung unserer freiheitlichen Gesellschaft“ sei. Es hetze und agitiere „auf unsägliche Weise gegen Jüdinnen und Juden, gegen Menschen mit Migrationsgeschichte und gegen unsere parlamentarische Demokratie“. Das Verbot sei daher „ein weiterer harter Schlag gegen den Rechtsextremismus“. In der 90seitigen Verbotsverfügung, die der JF vorliegt, heißt es, daß Compact seine Medienerzeugnisse mißbrauche, um seine „verfassungsfeindlichen Zielsetzungen reichweitenstark zu verbreiten“. Angesichts der „hohen Reichweite“ des Presseorgans berge das Projekt damit „ein beachtliches Gefährdungspotential“. Daher müsse das grundgesetzlich verbriefte Recht auf Pressefreiheit gegenüber dem „Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung“ zurücktreten.
Die Webseiten des Magazins – Untertitel: „Die Stimme des Widerstands“ – und des Shops waren am Dienstag morgen bereits nicht mehr aufrufbar. Die Compact-Seite auf dem Portal X läuft noch. Dort findet sich bisher keine Stellungnahme zu den staatlichen Maßnahmen.
Ein linker Foto-Blog veröffentlichte Bilder der Razzia
Gleichzeitig mit der Verkündung des Verbots durchsuchten Polizisten und Verfassungsschützer am Dienstag morgen in Brandenburg, Hessen, Sachsen und Sachsen-Anhalt die Redaktion sowie Privathäuser der Mitarbeiter – darunter das Grundstück von Herausgeber Jürgen Elsässer in Falkensee bei Berlin. Mehrere Journalisten anderer Medien begleiteten dabei die Sicherheitskräfte. Unter anderem in der Welt erschien zum Zeitpunkt der Razzien ein lange vorbereiteter Text. Der in die linke Szene eingebundene Foto-Blog „Presseservice Rathenow“ veröffentlichte am Dienstagmorgen mehrere Bilder der Razzia. Dort wurde unter anderem abgebildet, wie Elsässer, im Morgenmantel und gesenktem Kopf, von einer Truppe teilweise maskierter Polizeibeamter an seiner Haustüre konfrontiert wird.
Der 67jährige Herausgeber stammt ursprünglich aus der linksextremen Szene und reklamierte für sich, den Schlachtruf „Nie wieder Deutschland“ erfunden zu haben. Bevor er Compact gründete, schrieb Elsässer für die linken Blätter Neues Deutschland und Junge Welt. Kürzlich hatte er zum „Sturz des Regimes“, gemeint war wohl die Ampel-Regierung, aufgerufen.
„Die Sache kam bei Nacht und Nebel und völlig überraschend. Es gab auch vorher keine Pressekampagne“, schilderte Elsässer gegenüber der JF die Durchsuchung. „Wir hatten Anfang des Jahres im Frühjahr Schwierigkeiten mit Kontokündigungen und dem Verbot, Compact am Kiosk auf den Bahnhöfen zu verkaufen. Das waren aber Schläge, die wir gut verkraftet haben. Dank der Solidarität unserer Leser.“ Elsässer vermutet: „Und das hat, glaube ich, Nancy Faeser und Herrn Haldenwang furchtbar geärgert. Und deswegen sind sie dann mit diesem Überraschungsschlag jenseits der Legalität gegen uns vorgegangen.“
Elsässer hält das alles für den „schlimmsten Eingriff in die Pressefreiheit“ seit 1962 und der Spiegel-Affäre. Der Vorwurf, er sei antisemitisch und rechtsextrem seien „bösartige, lügnerische Vorwürfe“. Es sei nun offensichtlich, daß „das Regime in die Diktatur“ übergehe.
Elsässer hat Anwälte eingeschaltetl: „Wir werden sowohl gegen die Verbotsverfügung der Bundesinnenministerin Faeser als auch gegen die gerichtlichen Beschlagnahme-Beschlüsse vorgehen. Gegen das Verbot des Bundesinnenministeriums werden wir Klage beim Bundesverwaltungsgericht einreichen und Eil-Rechtsschutz beantragen, um die weitere Vollziehung des Verbotes vorläufig zu verhindern. Wir gehen davon aus, daß das Verbot keinen Bestand haben wird“, sagte Elsässers Anwalt Gerhard Vierfuß exklusiv der JUNGEN FREIHEIT.
Doch wie schätzen eigentlich erfahrene Medienanwälte den Fall ein? Christian Conrad von der Medienkanzlei Höcker sieht gute Chancen, das Verbot zu kippen. „Nach erster Durchsicht der Verbotsverfügung und der Pressemitteilung des Innenministeriums“ habe er „starke Zweifel“, daß die Verbotsverfügung vor dem Bundesverfassungsgericht bestand habe, sagt er im Gespräch mit der JF. Es gebe eine „enorme Mißbrauchsgefahr, falls der Staat ihm mißliebige Meinungen und Ansichten unterbinden wollte, zumal sich das anschließende gerichtliche Überprüfungsverfahren über Jahre hinziehen kann“.
Schon 1974 scheiterte der Verbotsversuch einer Zeitung
Der Medienexperte verweist auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2018, wonach ein Vereinigungsverbot mit den Anforderungen des Grundgesetzes nicht zu vereinbaren wäre, wenn es nur das Mittel wäre, Meinungsäußerungen oder Publikationen zu untersagen. In dem Urteil heißt es wörtlich: „Ein Vereinigungsverbot darf nicht bewirken, daß auf diesem Wege untersagt wird, was die Freiheitsrechte sonst erlauben.“
Die AfD-Bundesvorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla werteten das Vorgehen des Innenministeriums als „schweren Schlag gegen die Pressefreiheit“ und als „Verweigerung von Diskurs und Meinungsvielfalt“. Die Partei beobachte „diese Vorgänge mit großer Sorge“.
Über das Verbot begeistert zeigte sich hingegen der ZDF-Moderator Jan Böhmermann. Auf X veröffentlichte er das vom linken Blog „Presseservice Rathenow“ veröffentlichte Bild Elsässers im Morgenmantel und kommentierte es mit „Mit Rechten reden (Symbolbild)“.
Ebenso befürwortete Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) die Entscheidung. „Compact ist Haß und Hetze in Hochglanz“, behauptete Stübgen. „Es ist gut, daß diese extremistischen Eiferer jetzt durch das Verbot des Bundesinnenministeriums gestoppt wurden.“
Der bislang einzige Fall, in dem sich eine Bundesregierung an dem Verbot einer nicht parteigebundenen Zeitung versuchte, ereignete sich 1969. Damals stellte der Bundesminister des Inneren, Ernst Benda (CDU) beim Bundesverfassungsgericht einen Antrag nach Artikel 18 des Grundgesetzes. Demnach habe die rechte National-Zeitung ihr Presserecht mißbraucht, indem sie es „zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ eingesetzt habe.
Fünf Jahre später entschied das Bundesverfassungsgericht dagegen: Das Blatt stelle „keine ernsthafte Gefahr für den Bestand der freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ dar. Auf Anfrage der jungen freiheit, wieso das Innenministerium nicht auch im Falle von Compact diesen Weg gewählt habe, antwortete die Faeser-Behörde trotz mehrfacher Nachfrage bis Redaktionsschluß nicht.
Auch das juristische Fachmagazin Legal Tribune zweifelte an der Rechtmäßigkeit des Verbots. Es sei „fraglich“, ob das Vereinsgesetz in diesem Fall anwendbar sei, schrieben die Redakteure Joschka Buchholz und Max Kolter. „Das Vereinsgesetz ist insofern verfassungskonform dahingehend auszulegen, daß Verbote nicht ausschließlich mit den Inhalten eines Presseerzeugnisses begründet werden können“, zitierten sie den Juristen David Werdermann. Selbst verfassungsfeindliche Äußerungen müßten dafür strafrechtlich relevant sein.
Compact erschien seit 2010 monatlich. Der Verfassungsschutz hatte Compact Ende 2021 als „gesichert extremistische Bestrebung“ eingestuft.