Das glücklicherweise gescheitere Attentat auf den 45. US-Präsidenten und erneuten Kandidaten Donald Trump wird zu einer weiteren Polarisierung und Emotionalisierung des Wahlkampfes beitragen. Noch ist unklar, ob der Täter Thomas Matthew Crooks Hintermänner hatte, wie sich die unglaublichen Pannen beim United States Secret Service (USSS) ergeben konnten und warum denn nun genau ein zwanzigjähriger Mann aus einer beschaulichen Nachbarschaft versucht, den republikanischen Präsidentschaftsbewerber zu erschießen.
Im ländlichen Umfeld der Metropole Pittsburgh glaubte der 78jährige Trump, ein Heimspiel im Wahlkampf zu absolvieren. Der Attentäter stammt aus der wohlhabenden Pittsburgher Vorstadt Bethel Park, schien kaum politisch zu verorten zu sein. Gewiß: Die beiden Großstädte Pittsburgh und Philadelphia werden wohl an die Demokraten gehen, aber die übrigen Regionen im „Swingstate“ Pennsylvania sind eigentlich Trump-Land, der hier die wirtschaftlich stagnierende weiße untere Mittel- und Unterschicht anzusprechen vermag.
Weiter wird versucht, Trump in die rechtsextreme Ecke zu rücken
Daß der Täter ein halbautomatisches Gewehr verwendete, dürfte erneut die Debatte über die Waffengesetze befeuern, obgleich die AR-15 legal vom Vater des Schützen erworben wurde. Die haarsträubende Schlampigkeit bei der Absicherung des Veranstaltungsgeländes hat Kimberly Cheatle, USSS-Chefin und Joe Bidens Heimatschutzministerium (DHS) unterstellt, bereits eine Vorladung des Kongresses eingebracht. Bezeichnenderweise hat Trump den 39jährigen Senator James David „J. D.“ Vance als Vize nominiert, der nicht nur aus dem Nachbarstaat Ohio stammt, sondern auch in ähnlichen kulturellen und sozioökonomischen Verhältnissen aufgewachsen ist wie viele seiner Wähler.
Immerhin: Joe Biden trat im Weißen Haus selbst vor die Kameras und rief zu Besonnenheit auf, um die Wogen zu glätten und eine Eskalation nebst Revancheakten zu vermeiden. Vor dem zweiten Bürgerkrieg stehen die USA nicht, aber immer tiefere Gräben reißen auf, und es wird immer schwieriger, im Parlament noch Kompromißlösungen auszuhandeln. Die politisch aufgeladene und gespaltene Stimmung wird aber durch die Medienberichterstattung kräftig angeheizt. In der linken amerikanischen Presse – von der deutsche Journalisten zu oft unreflektiert einfach abschreiben – konzentriert man sich oft auf Trumps Polemik, seine Vereinfachungen und Verallgemeinerungen, läßt aber bewußt aus, daß der 81jährige Biden eine mindestens ebenso aggressive Sprache verwendet und mit polemischen Attacken nicht geizt.
Immer wieder versucht Biden, Trump in die rechtsextreme Ecke zu rücken, insinuiert, daß dessen Wähler im Grunde verkappte Neonazis seien und doziert vor überwiegend schwarzem Publikum gerne über den angeblichen strukturellen Rassismus, der Schwarze noch immer fundamental benachteilige. Der sanfte, einigende ältere Herr war eigentlich immer ein Mythos: als Senator und Vizepräsident war Biden jahrzehntelang für seine scharfe, oft bösartige Zunge bekannt.
Nur hat sich die weiße Arbeiterschicht von den Demokraten verabschiedet, und zunehmend tun dies auch die Latinos, ansatzweise sogar die Schwarzen. Die Dämonisierung der amerikanischen Rechten, etwa in der Formel, Trump stelle das Ende der Demokratie dar oder würde eine Diktatur errichten wollen, beinhaltet das Eingeständnis, die Hälfte der Wählerschaft nicht mehr ansprechen zu können. Umfragen zufolge geraten die Demokraten selbst in Hochburgen wie Minnesota oder „purpurnen“ wechselhaften Staaten wie Virginia in Bedrängnis.
Wenn Biden sich also beharrlich am Rassenthema abarbeitet, ob nun im Herbeireden des Popanz Rassismus oder ganz unverfroren mit sichtlich inkompetenten nichtweißen Kandidaten in Spitzenposten im Kabinett und als Vize, so geht es wahltaktisch darum, die nichtweiße Bevölkerung bei der Stange zu halten und gleichzeitig am herbeigeredeten Schuldkomplex der akademisch gebildeten weißen Mittelschicht zu rühren. Eigentlich weist dies auf die Beständigkeit des Faktors Ethnie und Rasse im eigenen politischen und staatsbürgerlichen Verständnis hin und ein Scheitern der Assimilation. Statt die angespannten Rassenbeziehungen zu kitten, hat Biden in der „dritten Amtszeit Obamas“ diese sogar noch bewußt verschlechtert.
Der Anschlag auf Trump wird die Spaltung und Spannungen im Land weiter verschärfen. Er könnte sogar Trump zusätzliche Wahlstimmen aus Sympathie und dem tiefsitzenden Mißtrauen gegenüber dem Staat heraus einbringen. Zur Disposition steht indes nicht etwa die Zukunft der Republikform, sondern eher, ob es Trump gelingt, im Falle eines Wahlsieges auch demokratische Wähler nicht auszugrenzen. Das wird alles andere als einfach, ebenso wie die Beschneidung der Bundesregierung und des Beamtenapparates, die Trump ja seit 2016 vollmundig verspricht, tatsächlich aber im Verlaufe seiner Amtszeit keineswegs umgesetzt hat.
Was wird diesmal anders, und was ist der Trumpsche Konservatismus?
Die Kür Trumps auf dem Parteitag in Milwaukee ist in trockenen Tüchern. Anhand der umfangreichen Liste der Gastredner bereits am ersten Tag läßt sich gut ablesen, wie sich die Partei positioniert: der sprichwörtliche „kleine Mann“, ein Gewerkschaftsvertreter, Vertreter des mittigen und rechten Flügels und der neurechten Jugendorganisation Turning Point USA. Man will die Trumpsche „Marke“ beibehalten, gleichzeitig aber einladend auf viele wirken. Es ist unklar, ob sich Trump noch als Anti-Establishment-Rebell versteht, was viele seiner Anhänger immer noch vermuten, oder nicht eben doch als etwas gemäßigter und „melonisierter“. Als Indiz könnte das Verhältnis zum geschaßten Vordenker der US-Rechten Steven Bannon herhalten. Trump punktet bei seinen Auftritten mit denselben Themen und Ankündigungen wie 2016 in Sachen Außenpolitik: eine härtere Gangart im Außenhandel, insbesondere mit China, aber jetzt auch im Verhältnis zu Europa, stärkerer Druck auf die Nato-Partner in Sachen Rüstungsausgaben und ein Ende der endlosen Kriege.
Das ist im Vergleich zur katastrophalen Bilanz der Biden-Regierung zwar viel, bleibt aber eine genaue Definition der Parole „America First“ schuldig. Dito im Inneren: Schließung der Südgrenze, Massenabschiebung von illegalen Einwanderern, Ausbau der Grenzsicherung im Süden, ein Rückbau des Washingtoner Beamtenapparates und eine konservativere Ausrichtung in Sachen Soziales, Kultur und Wirtschaft. Auch das ist Balsam auf der geplagten konservativen Seele, nur gilt auch hier: das sind im Grunde genommen keine neuen Forderungen. Die Frage muß erlaubt sein, warum Trump als Amtsinhaber sich 2016 bis 2018 im Kleinkrieg verzettelte, statt schnell und effizient ein paar einschneidende Maßnahmen umzusetzen, solange er im Kongreß noch Mehrheiten hatte.
Worin genau besteht die Trumpsche Spielart des Konservatismus? Der von seinen Gegnern als Populist oder Neonazi gebrandmarkte Kandidat konnte sich bislang dieser Frage entziehen. Die lachhaft schlechte Performance Bidens im Fernsehduell und jetzt das Attentat werden Trump es auch weiterhin ermöglichen, Politikfelder anzuschneiden und zu thematisieren, aber oft nicht sehr konkret zu werden. Realpolitisch könnte das aber zum Wahlsieg reichen: Die oft lediglich emotional vorgebrachte Kritik an Trump und die innere Zerstrittenheit der amerikanischen Linken tun hier ihr Übriges.
Schließlich stellt sich auch die Frage, ob es ein Zurück zur „alten“ Republikanischen Partei geben kann. Mit Forderungen nach Steuersenkungen für Firmen und Superreiche, Auslandskriegen und sozialkonservativen Themen wie der Verschärfung der Abtreibungsregelung, die kaum noch mehrheitsfähig sind, konnten die Republikaner auf Bundesebene kaum noch punkten und wirkten aus der Zeit gefallen. Eine Nikki Haley, Trumps Mitbewerberin bei den Vorwahlen und wie die Ehefrau von Vance aus einer indischstämmigen Familie kommend, verkörpert diese alte Linie der amerikanischen Republikaner. Selbstredend spaltet Trump, nur begeistert er auch und steht für eine Entkrustung und Neuausrichtung der amerikanischen Rechten, die durchaus ihre Berechtigung hat, wenn man die Alternative durchdenkt. Die Zeit eines Bush jr. ist vorbei, und eigentlich wird die im Amerikanischen als „GOP Inc.“ verspottete Republikanische Partei dieser Ära allenfalls noch in Washington selbst vermißt, im Rest des Landes aber nicht.
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