Der israelisch-palästinensische Konflikt erfaßte nach dem 7. Oktober 2023 nicht nur US-amerikanische und deutsche Universitäten. Auch spanische Studenten, die sich mit den Palästinensern solidarisierten, marschierten unter der Parole „Zionisten raus aus der Universität“ auf. Doch im Unterschied zur autochthonen linken und zur zugewanderten arabischen Judenfeinschaft in der Bundesrepublik und den USA, wurzelt der spanische Antisemitismus in einer jahrhundertealten Tradition. Obwohl es seit ihrer Vertreibung 1492 kaum noch Juden in Spanien gibt, blieben antijüdische Ressentiments allgegenwärtig. Sie fanden in die spanische Sprache, in die Literatur, Liturgie und Volkskultur Eingang. Auch das im 15. Jahrhundert entstandene Konzept der „Reinheit des Blutes“ dokumentiert für den Madrider Soziologen Alejandro Baer eine „frühe spanische Besessenheit von Abstammung und ‘Blutsgemeinschaft’“. Die jüngere Erscheinungsform der Judenfeindschaft kam mit der Modernisierung Spaniens auf und begünstigte während des Bürgerkriegs (1936–1939) die Verbreitung des Schreckgespensts einer „jüdischen Weltverschwörung“. Das Klischee des jüdischen Wucherers wurde selbst nach dem Ende der Franco-Ära in Schulen und Kirchen vermittelt und blieb in weiten Teilen der spanischen Bevölkerung einschließlich der Intelligenz virulent. Qualitative Studien belegen, daß heute noch, neben dem katholischen Antijudaismus, offen abwertende stereotype Bemerkungen die alltägliche spanische „Gesprächskultur“ durchsetzen und das negative Bild vom Staat Israel bestimmen, zu dem erst seit 1986 diplomatische Beziehungen bestehen (Konkret, 7/2024). (ob)
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