Die Werke des Wiener „Aktionskünstlers“ Otto Muehl und seiner Kollegen erzeugen oft Brechreiz. Sie warfen mit Fäkalien und Dreck, es spritzten Blut und Sperma, auch tote Tiere kamen zum Einsatz. Muehl – eigentlich Mühl – und die anderen „Aktionisten“ wollten alle bürgerlichen Moral- und Kunstbegriffe sprengen. Im Juni 1968 sprangen sie nackt in der Wiener Universität auf eine Hörsaalbühne, kotzten und masturbierten, während die österreichische Bundeshymne erklang. Günter Brus kotete aufs Katheder. „Kunst und Revolution“ nannten sie das Happening. Es gab internationales Aufsehen. Die Kronen-Zeitung sprach von „Uni-Ferkelei“. Viele Linke aus der alternativen Szene reagierten auf diese subversive „Aktionskunst“ mit Begeisterung.
Das in diesem Frühjahr eröffnete Wiener Aktionismus Museum (WAM) im 1. Wiener Bezirk huldigt auf drei Etagen den „Aktionisten“ Günter Brus, Otto Muehl, Rudolf Schwarzkogler und Hermann Nitsch, die sich mit Körpersäften in die Kunstgeschichte eingeschrieben haben. Hinter dem WAM steht der Galerist Philipp Konzett. Er hat vor zwei Jahren „für viele, viele Millionen“ mehrere hundert Ölgemälde und Tausende Papierarbeiten Muehls aus dem Bestand von dessen Kommune Friedrichshof aufgekauft.
Doch das neue Museum erregt auch Kritik. Denn nur ganz am Rande wird auf einer Texttafel erwähnt, daß Otto Muehl ein verurteilter pädophiler Sexualstraftäter war. Das Museum wolle „nicht moralisieren“, sondern „die Kunst ausstellen“, sagt eine Sprecherin. Die Opfer klagen, ihr Leid werde übergangen, das Museum beleidige sie.
Er verging sich systematisch und vor der Kamera an Kindern
Daß Muehls sexuelle Obsessionen eine sehr dunkle, ekelhafte Seite von Gewalt, Sadismus und Mißbrauch hatten, konnten schon die Zeitgenossen sehen, wenn sie sehen wollten. Manches war einfach nur abartig geschmacklos. Einer Co-Darstellerin, mit der Muehl bei einer Aktion Geschlechtsverkehr hatte, stopfte er den abgeschnittenen blutenden Hals einer gerade geköpften Gans in die Vagina.
Noch viel schlimmer: Muehl verging sich systematisch an Kindern. In der von ihm in den frühen 1970ern gegründeten Hippie-Kommune, wo er zeitweise bis zu 600 Anhänger auf dem Gut Friedrichshof im Burgenland um sich scharte, lebten sie angeblich den Traum vieler Links-alternativer: kein Privateigentum, keine bürgerliche Familie, „freie Liebe“, gemeinsames Kinderaufwachsen. Kinder wurden von ihren Eltern getrennt, feste Beziehungen galten als „Fixierung“. Faktisch gerierte sich Kommunenhäuptling Muehl zunehmend als autoritärer Sektenführer.
Vor laufender Kamera drangsalierte und mißhandelte Muehl Kinder über Jahre. Inklusive „Einführung in die Sexualität“. Er mißbrauchte minderjährige Mädchen. „Es gab eine Art Reifetest mit Zungenküssen und Petting. Das war mit verkrampftem Lachen verbunden – haha, das gehört dazu. Und schließlich wurden wir geholt“, erinnert sich die Musikerin Angèle Tremsal, die als Kind sieben Jahre ohne Eltern im Friedrichshof lebte. Wie in den „Indianer-Kommunen“ aus dem Umfeld der deutschen Grünen praktizierten Erwachsene wie Muehl und seine Frau ihre pädophilen Neigungen – unter dem Deckmantel eines neuen pädagogisch-künstlerischen Konzepts.
Die aktionistische „Kunst“ sei für Muehl nur ein Vorwand gewesen, um pädophile Sexualität und Gewalt auszuleben, schreibt die Gruppe Mathilda, in der sich Opfer und Zeitzeugen zusammengeschlossen haben. Muehls angeblich satirischer Film „Back to Fucking Cambridge“ von 1987, der sogar mehrfach im ORF gezeigt wurde, habe als „offenes Geheimnis“ die Legitimierung von Pädosexualität enthalten.
Schließlich wurde 1988 ein Strafverfahren gegen Muehl eröffnet, minderjährige Kommunebewohner sagten gegen ihn aus. 1991 verurteilte ihn ein Gericht wegen sexuellen Mißbrauchs und Vergewaltigung von Minderjährigen sowie wegen Drogendelikten zu sieben Jahren Gefängnis. Muehl nahm es gelassen, sprach von der „Rache der Spießer“, Reue zeigte er keine.
Die linke Kunst- und Kulturszene ließ ihn nicht fallen. Nach Absitzen seiner Haftstrafe lud Claus Peymann ihn zu einer Lesung ans Burgtheater, das Museum für Angewandte Kunst (MAK) huldigte ihm 2004 unter Peter Noever mit einer großen Ausstellung. Dort wurden unter anderem auch die sogenannten Aschebilder gezeigt (gefertigt mit der Asche von Tagebüchern und Notizen von Kommunemitgliedern, die Muehl verbrannt hatte, um Beweise zu vernichten).
Muehl, der nach seiner Haftentlassung mit Gefolgsleuten nach Portugal ging, spielte zeitlebens mit dem Selbstbild des aufgeblasenen, größenwahnsinnigen Künstlers und schreienden Provokateurs. Es gebe nur drei große Künstler: Mozart, Stalin und Hitler, sagte der Ex-Weltkriegssoldat einmal – und sich selbst sah er in dieser Reihe. 2010 rang er sich anläßlich einer weiteren MAK-Ausstellung eine wenig überzeugende Entschuldigung für seinen Mißbrauch der Kinder ab („Ich wollte sie befreien und habe sie mit sexueller Überschreitung statt dessen überrumpelt und gekränkt. Es war auf keinen Fall meine Absicht“).
Inzwischen kann man sagen, daß der 2013 gestorbene Muehl trotz Kritik von Opfern im progressiven Kunstbetrieb als weitgehend rehabilitiert gilt. Galerist Philipp Konzett äußerte gegenüber der Zeitschrift Profil verharmlosend, die Kinder seien nicht gezwungen worden, bei den dokumentierten Aktionen mitzuspielen, „sie taten freiwillig mit“. Er ließ sich mit den unsäglichen Worten zitieren, der Umgang mit den Kindern in der Kommune sei zwar „schlecht durchdacht“ gewesen. Aber „besser ein gescheitertes Experiment als gar keines“, so der Betreiber des neuen Museums.
Geldmacherei mit Muehls Werk
Letztlich geht es auch um viel Geld und Profit. Die Sammlung, die Konzett mit anderen Investoren aufgekauft hat, soll im Wert steigen. Andy Simanowitz, der als Kind in der Friedrichshofer Kommune lebte, klagte im ORF anläßlich der Eröffnung des Museums, durch die Schau werde die Kunst Muehls abermals aufgewertet. Das seelische Leid der Opfer interessiere nicht. Muehl-Arbeiten erzielen im Kunsthandel teils hohe Preise.
Das „Geschäft mit der Kindesmißbrauchs-‘Kunst’“ kritisierte schon vor fünf Jahren der Autor Oliver Maus. „Verharmlosung und Geldmacherei mit Muehls Werk sind aktueller denn je“, fand er. Ein Frauenakt von Muehl wurde vor drei Jahren im Wiener Auktionshaus Kinsky inklusive Aufgeld für 86.000 Euro versteigert. Im gleichen Haus wurde auch schon mal ein Aktbild eines damals 16jährigen Mädchens und Mißbrauchsopfers Muehls zum Schätzpreis von 18.000 bis 25.000 Euro angeboten. Die Kunsthändler behaupten, sie wollten das künstlerische Werk und den (problematischen) Künstler trennen.
Der „Aktionskünstler“ Otto Muehl genießt bis weit über Österreich hinaus Sympathien. Philipp Ruch, Chef der linken Gruppe „Zentrum für Politische Schönheit“ (ZPS), die sich mit Aktionen gegen die AfD hervorgetan hat, wollte vor einigen Jahren in Friedrichshof eine Ausstellung über Muehl organisieren. „Wie Sie vielleicht wissen, gilt Otto Muehl bei uns im Haus als eine Art Säulenheiliger“, gab der heute 43jährige Ruch gegenüber dem Deutschlandfunk zu Protokoll. Das Angebot, eine Werkschau zu organisieren, sei „sehr lukrativ“ gewesen. Mit Muehls Mißbrauchstaten konfrontiert, gab Ruch dann an, er habe sich mit Muehls Leben noch gar nicht richtig beschäftigt.
Foto: Otto Muehls Bilder „Hitler und Eva Braun“ und „Hinrichtung“ (beide 1984), ausgestellt im Museum für angewandte Kunst in Wien (Archivfoto 2004): Sexuelle Obsessionen, Otto Muehl (1925–2013)