© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30/24 / 19. Juli 2024

Wenn die Erde untergeht
Kino: Das Weltraumdrama „I.S.S.“ stellt die Frage, was Russen und Amerikaner im All anstellen, wenn der nächste Weltkrieg ausbricht
Dietmar Mehrens

Am Anfang halten die Besatzungsmitglieder die kleinen roten Lichtkegel, die eruptiv auf dem blauen Planeten aus dem Boden schießen, für Vulkanausbrüche. Doch dann wird klar: Da unten muß ein Krieg ausgebrochen sein. Was bedeutet das für die zur Hälfte aus Amerikanern und zur Hälfte aus Russen zusammengesetzten ISS-Weltraumrecken?

Der Film der Amerikanerin Gabriela Cowperthwaite beginnt mit der Anreise des neuen (schwarzen) Besatzungsmitglieds Dr. Kira Foster (Ariana DeBose) zur ISS. Drei Astronauten und drei Kosmonauten arbeiten an Bord der Internationalen Raumstation im Geist der Völkerverständigung und der wissenschaftlich-technischen Kooperation zusammen. Es herrscht Feierlaune, die Stimmung ist blendend. Das legendäre Scorpions-Lied „Wind of Change“ unterstreicht die Wunschvorstellung vom überwundenen Ost-Welt-Konflikt.

Dann der Schock: Aus den Detonationen wird ein Flächenbrand, der die Erde in einen Feuerball verwandelt. Als die Amerikaner per geheimer E-Mail die Instruktion erhalten, um jeden Preis die Kontrolle über die ISS zu erlangen, ist es mit dem gegenseitigen Vertrauen vorbei. Bald kommt es zwischen den Besatzungsmitgliedern zu heftigen Spannungen. Doch eine Hoffnung gibt es: Zwischen dem Astronauten Gordon (Chris Messina) und der Kosmonautin Weronika (Masha Mashkova) hat sich eine zarte Romanze entwickelt. Und bekanntlich überwindet Liebe alle Grenzen.

Auf engstem Raum kommt es zu einer tödlichen Eskalation

Das ist wohl auch die Botschaft, die Regisseurin Gabriela Cowperthwaite mit ihrem klaustrophobischen All-Abenteuer vermitteln möchte. „Keine Grenzen“, staunen die Weltraum-Wissenschaftler nämlich, als sie durchs Fenster ihrer Kapsel auf die Erde blicken. Der Planet wird in gängiger Klimarettungslogik als Einheit gesehen, alles sei doch miteinander verbunden. Die Frage ist nur: Ist die Menschheit schon bereit für diese Einsicht? Auf der brennenden Erde jedenfalls hat sich das Gegenteil offenbart.

Vertrauen konkurriert mit Verrat und Verdacht. Glaubens- und Identitätsfragen stellen sich ganz neu. Auf engstem Raum und in komprimierter Form muß der fern von ihnen ausbrechende Konflikt der Nationen nun auch auf der ISS ausgetragen werden. Es kommt zu einer tödlichen Eskalation.

Zweifellos lobenswert ist die Idee, in Zeiten eines erneut eskalierenden Ost-West-Konflikts auf das letzte Relikt der amerikanisch-russischen Zusammenarbeit zu verweisen, um, gleichsam aus den Weiten des Weltalls, einen universalen Appell mit einer Friedens- und Versöhnungsbotschaft auf die Erde zu senden: Rauft euch zusammen! Lobenswert auch, daß Regisseurin Cowperthwaite zugunsten einer eher realistischen Handlung – einer bodenständigen, ist man geneigt zu sagen, ergäbe das angesichts des Handlungsortes keine schiefe Metapher – darauf verzichtet, die x-te Variante von Hans Rudolf (HR) Gigers legendärem Weltraummonster Alien ins Rennen ums Überleben an Bord der ISS zu schicken.

Aber man muß dann natürlich auch für Ersatz sorgen, mit etwas aufwarten, das ähnliche Spannung und Dramatik erzeugt wie eine extraterrestrische Killermaschine. Das kann Autor Nick Shafir, der mit „I.S.S.“ sein Langfilm-Debüt feiert, leider nicht. Seinem Drehbuch fehlt es von Anfang an an Inspiration. Es gibt in dem Film infolgedessen kaum etwas zu sehen, das man aus anderen Weltraumgeschichten nicht bereits kennt. Die Konflikte zwischen Besatzungsmitgliedern, der Ausflug an die Außenhülle des Raumschiffs, um einen Schaden zu beheben, der Versuch, am Ende trotz widriger Aussichten irgendwie auf den blauen Planeten zurückzukehren: alles schon gesehen. Das ist schade, denn der tricktechnisch getriebene Aufwand, mit dem Cowperthwaite in ihrem All-Abenteuer für Authentizität sorgt, versetzt den Zuschauer unmittelbar in die bedrückend-bedrohliche Atmosphäre an Bord der Raumstation, so daß er durchaus bereit ist, sich auf diesen neuen Ausflug in den Orbit und auch auf die damit verbundene Moral einzulassen. Doch dann gibt es nur alte Helme auf neuem Zelluloid.

Was bleibt, sind die gut gemeinte Botschaft von der Völkerverständigung, die angesichts des Ukraine-Kriegs neue Aktualität gewinnt, und ein Hauch von feministischer Weltraumpolitik.

Kinostart ist am 18. Juli 2024