© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30/24 / 19. Juli 2024

Wo der Krieg nur Urlaub macht
1974 entbrannte auf Zypern ein gefährlicher Konflikt der Nato-Staaten Griechenland und Türkei / Keine Annäherung bis heute
Alain Felkel

Am 15. Juli 1974 stürzten Offiziere der zypriotischen Nationalgarde Erzbischof Makarios III., den Staatspräsidenten von Zypern, der nur mit Mühe den Mordkommandos der Putschisten entkam. Während die Aufrührer den zyperngriechischen Extremisten Nikos Sampson zum neuen Präsidenten ausriefen, flüchtete Makarios von der Insel nach Großbritannien, das Zypern von 1878 bis 1960 beherrscht hatte und noch zwei Militärbasen auf der Insel hatte. Zypern war erst nach Unterzeichnung des Zürcher und Londoner Garantievertrags 1960 endgültig unabhängig geworden. Darin hatte sich Zypern gegenüber den Garantiemächten Großbritannien, Griechenland und Türkei verpflichtet, sich weder als ganze Insel noch in Teilen an einen anderen Staat anzugliedern oder derartige Aktivitäten zu dulden. 

Die neu gewonnene Selbständigkeit hatte der Insel jedoch keinen Frieden gebracht. Im Dezember 1963 war es zu blutigen Kämpfen zwischen Zypern-griechen und türkischen Zyprioten gekommen, nachdem griechische Extremisten blutige Massaker an der türkischen Inselbevölkerung begangen hatten. Daraufhin hatte die Uno die Krise beigelegt und in der zypriotischen Hauptstadt Nikosia erstmals eine Pufferzone zwischen den verfeindeten Parteien errichtet. Dennoch blieb das Zypern-Problem ungelöst. Zu gegensätzlich waren die Auffassungen beider Bevölkerungsgruppen bezüglich der staatlichen Zukunft ihrer Insel. Die griechischen Zyprioten, welche den größten Bevölkerungsanteil stellten, wünschten die „Enosis“, den Anschluß Zyperns an Griechenland. Die meist in Enklaven lebenden Türkenzyprioten erhofften die Teilung der Insel in einen griechischen und türkischen Teil. 

Nun brach der Konflikt erneut aus, und zwar weil die Griechen es so wollten. Drahtzieher des Putsches war Brigadegeneral Dimitrios Ioannidis, Chef der griechischen Militärjunta. Ioannidis hatte den Putsch initiiert, um Makarios zu beseitigen, weil er sich bis zuletzt dem Anschluß Zyperns an Griechenland widersetzt hatte. Nun saß mit Nikos Sampson eine Marionette Athens im Präsidentenpalast, bereit die Enosis zu vollziehen. Mit der Einsetzung Sampsons hatte Ioannidis einen psychopathischen Killer zum Staatspräsidenten Zyperns gemacht. Während des Aufstands der zypriotischen Befreiungsbewegung EOKA gegen die Briten hatte Sampson in den fünfziger Jahren mit Vorliebe britische Soldaten aus dem Hinterhalt erschossen, sich später mit den Leichen ablichten lassen und die Fotos an Zeitungen verkauft. Die grausamste Tat hatte er jedoch während der Kämpfe 1963 begangen, als er mit seinen Gefolgsleuten 200 türkische Frauen und Kinder ermordete. Seitdem galt er als „Türkenschlächter“. Nun war Sampson auch noch Staatspräsident Zyperns geworden, zumindest glaubte er das. In Wirklichkeit war der Psychopath nur eine Marionette Athens, wie ein Vertrauter des griechischen Militärregimes dem Spiegel 1974 berichtete: „Wir haben zwar nicht offiziell die Enosis, aber Zypern ist jetzt griechische Provinz. Sampson nennt sich zwar Präsident, doch er ist bestenfalls unser Gouverneur.“

Der neuen Marionettenregierung war keine lange Lebensdauer beschieden. Die Türkei sah im Putsch der Zyperngriechen eine Verletzung der Regularien des Zürcher und Londoner Garantievertrags, der jedem Vertragspartner bei Zuwiderhandlung das Recht zur Intervention zusicherte. Doch London zeigte kein großes Interesse an einem gemeinsamen Vorgehen gegen die Putschisten. Der türkische Premierminister Bülent Ecevit dagegen gab seinen Streitkräften den Befehl zur militärischen Invasion Zyperns. Unmittelbar darauf legte die türkische Invasionsflotte mit Kurs auf die Nordküste Zyperns ab, angeblich um ein Manöver durchzuführen. 

Die Überraschung gelang vollkommen. Am 19. Juli 1974 bombardierten Kampfflugzeuge die Stellungen der zypriotischen Nationalgarde bei Nikosia. Am nächsten Tag landete die erste türkische Angriffswelle mit einer Stärke von 3.500 Soldaten am Strand von Pentimili bei Kyrenia, wobei sie kaum auf Gegenwehr stieß. Erst langsam ging die Nationalgarde zum Gegenangriff über. In den folgenden Gefechten erlitten die Türken zwar empfindliche Verluste, trotzdem gelang ihnen die Ausdehnung des Brückenkopfes um Pentimili. Abgesehen vom Debakel der versehentlichen Versenkung des türkischen Zerstörers „Koca Tepe“ durch eigene Bomberverbände erreichten die Türken ihre Primärziele. 

Nur die US-Intervention verhinderte eine Eskalation 

Währenddessen verkündetet die griechische Militärjunta großspurig die Mobilisierung der griechischen Armee zum Krieg gegen die Türkei: „200.000 Mann wurden in Thrazien für eine Gegenoffensive auf Istanbul bereitgestellt (…) Truppen und Panzer auf die Ägäis-Inseln verlegt.“ 

Damit drohte die Situation zu eskalieren, was sofort die USA und Großbritannien auf den Plan rief. Die Zypernkrise durfte nicht zum bewaffneten Konflikt zweier Nato-Staaten ausarten. Ein Krieg hätte die strategische Position des Bündnisses in der Levante erschüttert und auch schwerwiegende Konsequenzen auf den Nahostkonflikt gehabt. Die USA und Großbritannien erstickten Ioannides’ Vorhaben im Keim. Nur drei Tage nach Beginn der Invasion auf Zypern stürzte in Athen die griechische Militärregierung, weil sich führende Offiziere dem Mobilisierungsbefehl der Junta widersetzten und Ioannides absetzten. 

Sein Nachfolger wurde der ehemalige griechische Premierminister Konstantinos Karamanlis. Fast gleichzeitig trat auch Sampson auf Zypern von seinem Präsidentenamt zurück. Damit war der Weg frei zu Waffenstillstandsverhandlungen. Am 23. Juli 1974 trat ein dreiwöchiger Waffenstillstand in Kraft, der indes keine politischen Resultate brachte.  

Als der Waffenstillstand ablief, stieß die türkische Armee am 13. August mit 32.000 Mann und 300 Panzern aus ihrem nördlichen Brückenkopf hervor und eroberte in nur drei Tagen 37 Prozent der Insel. Während der Kampfhandlungen begingen beide Seiten Massaker an der Bevölkerung und Gefangenen. Am 16. August beendete auf Druck der Vereinten Nationen ein zweiter Waffenstillstand die Kampfhandlungen, 1975 fanden erste Friedensgespräche statt. Die Verhandlungen führten zur vorläufigen Teilung der Insel in einen griechischen Süd- und einen türkischen Nordteil entlang der zu einer Pufferzone erweiterten Waffenstillstandslinie, die bis heute von der UN-Friedenstruppe überwacht wird. Infolge langwieriger diplomatischer Verhandlungen verließen 162.000 Griechen den Norden Zyperns und 70.000 Türken den Süden. 

1983 wurde der „Türkische Föderativstaat von Zypern“ gegründet, den bislang nur die Türkei anerkannte. 2004 trat die Republik Zypern der EU bei. Trotz zeitweiliger Annäherungen der Türkei und Griechenlands in der Zypernfrage Anfang des 21. Jahrhunderts hat sich bis heute nichts geändert.