© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30/24 / 19. Juli 2024

„Der Führer gehört weg“
Zu der historischen Streitfrage, welche Rolle Generalfeldmarschall Erwin Rommel beim Staatsstreich gegen das NS-Regime spielte
Manfred Schmidt-Baldham

Welche Rolle spielte Generalfeldmarschall Erwin Rommel bei der Verschwörung des 20. Juli gegen Hitler? Ein Angriff zweier britischer Tiefflieger am 17. Juli 1944 auf der Rückfahrt Rommels von einem Frontbesuch ließ diese Frage stets im ungewissen, da Rommel zum Zeitpunkt des Attentats schwer verwundet im Lazarett lag. Dennoch beschäftigt die Frage seit Jahrzehnten die Historikerzunft. Und sie ist allein deshalb von Bedeutung, weil Rommel als einer der populärsten Heerführer im Deutschen Reich dem Umsturz besonderen Rückhalt hätte geben können. Auch bei den Feinden hätte die Beteiligung des hochgeachteten Gegners – sogar Winston Churchill erklärte in bezug auf Rommel: „Uns steht ein großer deutscher General gegenüber“ – an der Verschwörung Eindruck machen können. Fünf Jahre nach dem Krieg rühmte der britische Historiker Desmond Young, der in Afrika selbst gegen Rommel gekämpft hatte, in seinem biographischen Werk „Rommel. Der Wüstenfuchs“ nicht nur des Feldmarschalls militärisches Genie, sondern vor allem auch seine persönliche Integrität als Feldherr, der für sich keine Privilegien beanspruchte, die Kriegsgefangenen gut behandelte, Todesurteile ablehnte und sich häufig selbst den Gefahren an vorderster Front aussetzte. 

In der vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt in den achtziger Jahren herausgegebenen Aufsatzsammlung „Aufstand des Gewissens“ wird sogar angedeutet, daß die kommandierenden Generale der Waffen-SS Sepp Dietrich, Paul Hauser, Felix Steiner, Wilhelm Bittrich und der Wehrmachts-General der Panzertruppe Heinrich Eberbach mit ihren Elite-Divisionen nicht nur Kenntnis der Umsturzpläne hatten, sondern im Falle eines Staatsstreichs gegen Hitler zur Unterstützung bereit gewesen wären, allerdings nur unter Führung von Rommel. Zumindest die vom Historiker Sönke Neitzel 2005 veröffentlichten Abhörprotokolle deutscher Generale in britischer Gefangenschaft bestätigen Eberbach mit Aussagen aus Trent Park, in denen er Rommel mit den Worten „Der Führer gehört weg“ zitierte.

Aussagekräftigere Quellen fehlen allerdings weitgehend. Es gibt kaum persönliche Aufzeichnungen Rommels aus dem Jahr 1944, der ohnehin als schreibfaul galt und sogar Befehle lieber mündlich übermittelte. Die für seine Rolle in der Verschwörung zentralen Gestapo-Verhörprotokolle gelten als verschollen – namentlich jene von Carl-Heinrich von Stülpnagel, Hans Speidel und Cäsar von Hofacker. Einzig seine über Speidel an Hitler weitergeleitete „Denkschrift“ von Anfang Juli 1944 deutet Rommels kritische Haltung an: „Die Truppe kämpft allerorts heldenmütig, jedoch der ungleiche Kampf neigt sich dem Ende zu.“ Hitler möge „die Folgerungen aus dieser Lage ziehen“. Im Falle der Ablehnung durch den Diktator wollte der Feldmarschall losschlagen, wird gemutmaßt. Dabei soll er ein Sprengstoff-Attentat stets abgelehnt haben. Sein Ziel war, Hitler zu verhaften und vor Gericht zu stellen. 

„Rommel spielte bei den operativen Vorbereitungen des Attentats auf Hitler keine Rolle (…) und ist somit keinesfalls dem engsten Kreis der Männer des 20. Juli zuzurechnen“, urteilte der Historiker Peter Lieb (VfZ 3/2013). Dennoch müsse man Rommel „einen festen Platz im militärischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus zugestehen“. Denn die „Kernfrage“ zu seiner Beteiligung am Umsturz habe das NS-Regime unfreiwillig selbst beantwortet, indem es Rommel nach dem 20. Juli 1944 das tödliche Ultimatum abnötigte: Selbstmord oder Volksgerichtshof.