© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30/24 / 19. Juli 2024

Stauffenbergs Vetter in Paris
Eine lange vermißte Biographie Cäsar von Hofackers, Verbindungsmann zum Befehlshaber Stülpnagel
Oliver Busch

Der am Abend des 20. Juli 1944 in der Reichshauptstadt komplett gescheiterte Staatsstreich des Hitler-Attentäters Claus Schenk Graf von Stauffenberg war im deutschbesetzten Paris ein voller Erfolg. Dank der Energie Cäsar von Hofackers, seines Vetters, der dort als Verbindungsoffizier fungierte zwischen dem Militärbefehlshaber Frankreich, General Carl-Heinrich von Stülpnagel, und dem zivilen Verwaltungsstab. Unter Hofackers Einfluß ließ Stülpnagel das Pariser Hauptquartier von SS, SD und Gestapo stürmen und 1.200 Angehörige des „Schwarzen Ordens“ verhaften – ohne daß ein Schuß fiel. Erst nach Mitternacht, als auch in Paris nicht mehr zu bezweifeln war, daß Adolf Hitler das Attentat im ostpreußischen Führerhauptquartier nur leicht verletzt überlebt hatte, gab Stülpnagel Befehl, die Inhaftierten wieder auf freien Fuß zu setzen. 

Ungeachtet der zentralen Rolle, die der Oberstleutnant von Hofacker in den Staatsstreichplanungen der Militäropposition spielte und die er seit 1943 in Paris auch voll und ganz ausfüllte – zuletzt in dem Bemühen, den an der Invasionsfront kämpfenden Feldmarschall Erwin Rommel auf die Seite der Verschwörer zu ziehen –, ist er in der überbordenden zeithistorischen Literatur zum Komplex „Widerstand gegen die NS-Diktatur“ eine Randfigur geblieben. Erst in einer Broschüre, die sein jüngerer Sohn Alfred 2010 unter dem Titel „Wegbereiter für und Widerstandskämpfer gegen Hitler“ veröffentlichte, gewinnt der Abkömmling eines alteingesessenen württembergischen Beamten- und Theologengeschlechts ein wenig Farbe. Seltsamerweise ohne sich darauf zu beziehen, legt jetzt Valerie Riedesel Freifrau zu Eisenbach, eine Enkelin Hofackers, studierte Historikerin und Vorsitzende des Kuratoriums der Stiftung 20. Juli 1944, die erste ausführliche Biographie dieses „Hauptakteurs der Konspiration“ in Frankreich vor.

1896 geboren, gehörte Hofacker zur Generation Ernst Jüngers (mit dem er in Paris wieder Fühlung aufnahm), durchlitt die „Stahlgewitter“ des Ersten Weltkriegs und zog anschließend als Student der Rechtswissenschaft eine zeitgemäße Konsequenz aus der Niederlage: er engagierte sich im Kampf des „nationalen Lagers“ gegen die Republik von Weimar. Der 1924 promovierte Jurist fand ein eher bescheidenes Auskommen als Angestellter des Vereins der deutschen Seidenindustrie, bevor er bei den Vereinigten Stahlwerken langsam zum Prokuristen aufstieg. Während dieser Jahre beruflicher Beanspruchung ging Hofackers politisches Interesse zurück, aber es schlief nicht ein. 

Bündisches Gesellschaftsideal der klassenlosen Volksgemeinschaft

Ihr Großvater sei kein Theoretiker, sondern ein Pragmatiker gewesen, dem wenig daran lag, seine politischen Vorstellungen zu systematisieren und publizistisch zu verfechten. Gleichwohl sind im Nachlaß viele Manuskripte überliefert, die den seit 1930 politisch wieder aktiveren, im deutschnationalen „Stahlhelm“ agitierenden Juristen als Protagonisten der „Konservativen Revolution“ ausweisen. Als Riedesels Onkel Alfred diese „demokratiefeindlichen Schriften und radikal-nationalen Aufrufe“  1974 unter den Familienpapieren entdeckte, lösten sie bei ihm einen „gewaltigen Schock“ aus. 

Auch Riedesel bereitet es sichtlich Probleme, nicht die heute in geschichtspolitischen Diskursen gebräuchliche Elle des moralisierenden Zeitgeistes an Hofackers Elaborate anzulegen. Doch bringt sie es letztlich über sich, die verabscheuten Kernelemente des völkisch-konservativen Weltbildes ihres Großvaters nüchtern zu referieren. Vor allem das den dritten Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus einschlagende „bündische Gesellschaftsideal“ einer klassenlosen Volksgemeinschaft, das jene innere Einheit garantieren sollte, die unabdingbare Voraussetzung sein mußte für den Wiederaufstieg der Nation und deren selbstbestimmte Existenz im Kreis der Großmächte. Da Blut dicker ist als Wasser, gründet Volksgemeinschaft am sichersten in Blutsgemeinschaft, die Juden ausschloß. „War mein Großvater Antisemit?“ Ja, zumindest während der Studienzeit, als er das Judentum nicht religiös, sondern biologistisch definierte. Spätere Einlassungen künden noch von solchen „Vorurteilen gegenüber Juden“, aber die ausgrenzende antisemitische Polemik verschwindet ausgerechnet Anfang der 1930er, als sich Hofacker dem Nationalsozialismus annähert.

Neben den ideologischen Übereinstimmungen, denen der Enthusiasmus entspringt, mit dem Hofacker und andere spätere Exponenten des Widerstands die Machtergreifung Hitlers begrüßten, sind die Trennlinien jedoch schon 1933 nicht zu übersehen. Etwa die von Riedesel betonte außenpolitische Konsequenz des „bündischen Prinzips“. Das gebot für die Beziehungen des Reiches zu den mittel- und osteuropäischen Staaten, im „Völkermischgürtel“ zwischen Ostsee und Schwarzem Meer zur „wahrhaft föderativen Ordnung“ beizutragen und sich keinesfalls einer Politik „imperialistischer Beherrschung“ hinzugeben. An dieser ebenso für den Westen gültigen Maxime orientierte sich von Hofacker, als er 1940 die Leitung des Referats Eisen und Stahl im Verwaltungsstab des Militärbefehlshabers in Paris übernahm. Zu diesem Zeitpunkt war er, Parteimitglied seit 1937, bereits auf Distanz zur „Bewegung“ gegangen, bewunderte jedoch weiterhin deren „Führer“. Die deprimierende Erfahrung eines in allen Spielarten der Dummheit und Brutalität leuchtenden „realexistierenden Nationalsozialismus“, der es schaffte, die anfängliche Kooperationsbereitschaft der französischen Wirtschafts- und Verwaltungselite durch Unterdrückung, Ausbeutung und Terror in Haß und Gegenterror zu verwandeln, gab dann den Ausschlag, auf die Beseitigung eines solchen Systems hinzuarbeiten.  

Die Lehre, die Riedesel aus der von ihr empathisch rekonstruierten, von passablem handwerklichen Niveau zeugenden, stilistisch sogar elegant formulierten Biographie ihres Großvaters zieht, beweist leider einmal mehr, wie erschütternd schwach ausgeprägt die politische Urteilskraft in jenem Reservat der „vornehmen“ (Tony Buddenbrook) restbürgerlichen Gesellschaft ist, die die Freifrau zu Eisenbach repräsentiert. Spätestens seit 1933 scheint man dort ein Patent auf politischen Irrtum zu besitzen, wie es ihre „persönliche Einführung“ dokumentiert. Als sie vor Jahren mit ihren Recherchen begann, glaubte sie, Welten würden sie von jenem Zeitalter der Extreme trennen, in das sie damals eintauchte und dessen Versuchungen und Verfehlungen die Bundesrepublik wohl „für immer hinter sich gelassen hatte“. Heute gehe ihr diese unerschütterliche Gewißheit ab, weil in westlichen Demokratien, auch in Deutschland, die Bereitschaft wachse, mit autoritären Regierungsformen und deren „einfachen, populistischen Lösungen“ zu liebäugeln. 

Damit spielt sie natürlich nicht auf die „dritte totalitäre Versuchung“ (Ernst Nolte) des eingewanderten Islam an, der mit der populistischen Rattenfängerparole „Das Kalifat ist die Lösung“ wirbt. Sondern auf jene Kräfte, die sich der in Riedesels „weltoffenen“ Kreisen akzeptierten Islamisierung Europas widersetzen. Vor denen zu warnen „die Botschaft der Männer und Frauen des 20. Juli 1944“ sei! Und die gebe der Biographie Cäsar von Hofackers den „relevanten aktuellen Bezug“. Also rahmt der bundesdeutsche „Kampf gegen Rechts“ dieses Kapitel aus der Geschichte des Widerstands gegen die NS-Diktatur: Wen die Götter verderben wollen, den schlagen sie mit Blindheit. 

Valerie Riedesel Freifrau zu Eisenbach: Der Flieger im Widerstand. Cäsar von Hofacker, das Stauffenberg-Attentat und der Umsturz in Paris. Piper Verlag, München 2024, gebunden, 311 Seiten, Abbildungen, 22 Euro


Foto: Cäsar von Hofacker vor 1940: Für den Wiederaufstieg der Nation und deren selbstbestimmte Existenz im Kreis der Großmächte