© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30/24 / 19. Juli 2024

Frisch gepresst

Warburgs Bibliothekarin. Als ältester Sohn hätte Aby Warburg (1866-–1929) beanspruchen dürfen, die Leitung des väterlichen Bankhauses zu übernehmen. Stattdessen trat er sein Erstgeburtsrecht an den jüngeren Bruder Max gegen das Versprechen ab, ihm alle Bücher zu kaufen, die er als Privatgelehrter benötigen werde. Max stimmte erfreut zu, nicht ahnend, daß der brüderliche Bibliomane diesen Blankokredit exzessiv ausreizen würde: 65.000 Bücher zählte seine Bibliothek, als Aby Warburg im Oktober 1929 starb. Da hieß die Sammlung bereits Kunstwissenschaftliche Bibliothek Warburg (K.W.B.), war in einem extravaganten Gebäude an der Alster untergebracht und galt als Forschungseinrichtung von internationalem Rang. Maßgeblichen Anteil daran hatte eine Hamburger Lehrerin, die Warburg von ihrem Doktorvater Ernst Cassirer zunächst für Katalogisierungsarbeiten empfohlen worden war: Gertrud Bing (1892–1964). Obwohl die Literatur zu Warburg und zur K.W.B. seit den 1980ern ins Unüberschaubare ausgeufert ist, führte Bing, deren Initiative es immerhin mit zu danken ist, daß die Bibliothek 1933 vor dem Zugriff der Gestapo bewahrt und nach London verschifft werden konnte, in diesem Kontext nur ein Schattendasein. Mit einem ausführlichen biographischen Essay, der die sorgfältig kommentierte Edition ihrer nur als Typoskript überlieferten Dissertation über Leibniz und Lessing einleitet, gewinnt die hochgelehrte Frau erstmals schärfere Konturen. Der schön gestaltete Band ist als wichtiger Beitrag zur Kultur- und Geistesgeschichte der Weimarer Republik zu begrüßen. (wm)

Dorothee Gelhard, Thomas Roider (Hrsg.): Gertrud Bing im Warburg-Cassirer-Kreis. Mit dem Text ihrer Dissertation von 1921. Wallstein  Verlag, Göttingen 2024, 346 Seiten, Abbildungen, 29,80 Euro




Spionage. Mittlerweile im sechsten Band versammelt der auf Geheimdienstgeschichte spezialisierte Berliner Historiker Jürgen W. Schmidt „Fallstudien und Dokumente“. Dabei spannt die Aufsatzsammlung den Bogen aus der Zeit der Befreiungskriege, über den Marineoffizier Georg Stammer, der „Seele des Marinenachrichtenwesens“ der Kaiserzeit und Einflußgeber auf Admiral Canaris bis hin zur Atomspionage aus der DDR und vom sowjetischen KGB während des Kalten Krieges beim Deutschen Atomforum in Bonn, der das Überlaufen des MfS-Spions Werner Stiller 1979 „einen heftigen Schlag versetzte, von dem sie sich bis 1989 nicht wieder erholen sollte“. Interessant ist auch der Aufsatz über Viktor But, sowjetischer KGB-Agent in Angola und späterer Waffenhändler und Vertrauter des Wagner-Chefs Prigoschin auf dem schwarzen Kontinent, der in die Fänge der CIA geriet und 2022 nach einem US-russischen Gefangenenaustausch wieder in seine Heimat zurückkehren konnte. (bä)

Jürgen W. Schmidt: Atomspione, Waffenhändler und Umsturzversuche. Ludwigsfelder Verlagshaus, Ludwigs­felde bei ­Berlin 2024, broschiert, 405 Seiten, 29 Euro