© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 31-32/24 / 26. Juli 2024

Joes schweres Erbe
USA: Nach dem Rücktritt Präsident Bidens suchen die Demokraten Geschlossenheit
Liz Roth

Die politischen Ereignisse um die kommende Präsidentschaftswahl der USA am 5. November überschlagen sich, insbesondere mit dem überraschenden Rückzug von Präsident Joe Biden aus dem Präsidentenrennen, der am vergangenen Sonntag auf seinem Profil im sozialen Netzwerk X veröffentlicht wurde. 

Nachdem Herausforderer Donald Trump jüngst auf einer Wahlveranstaltung angeschossen wurde und die Republikaner ihn in der darauffolgenden Woche zum designierten Kandidaten der Partei für die Wahl erklärt hatten, folgten die Demokraten nur wenige Tage später mit Joe Bidens überraschender Erklärung. „Obwohl es meine Absicht war die Wiederwahl anzustreben, glaube ich, daß es im besten Interesse meiner Partei und des Landes ist, wenn ich zurücktrete und mich für den Rest meiner Amtszeit ausschließlich auf die Erfüllung meiner Pflichten als Präsident fokussiere“, heißt es. Dem amerikanischen Journalisten Tucker Carlson zufolge erfuhren die meisten Angestellten des Weißen Hauses erst mit der Veröffentlichung auf X von der Entscheidung.

Geraune über die Hintergründe von Joe Bidens Rücktritt  

Die Hintergründe und der Zeitpunkt des Rückzuges werden seitdem allseits heftig diskutiert. Als Reaktion auf die Nachricht sagte der ehemalige Präsident Donald Trump, daß sein Rivale schon seit seinem desaströsen Auftritt bei der Debatte im  vergangenen Monat aufgeben wollte. „Glaubt wirklich jemand, daß ‘Krummer Joe’ Covid hatte? Nein, er wollte seit dem 27. Juni, der Nacht der Debatte, in der er völlig vernichtet wurde, aussteigen“, schrieb Trump am Sonntag nachmittag auf seiner Plattform Truth Social. „Das war der große Moment in Joe Bidens Untergang. Das war der Zeitpunkt, an dem Biden als das entlarvt wurde, was er ist: ein inkompetenter Mann, der niemals Präsident hätte werden dürfen. Joe Biden ist nicht diensttauglich – er zerstört unser Land!“

Trump Vize J.D. Vance sieht die Entscheidung Bidens, nicht mehr anzutreten, zwiegespalten. „Wenn Joe Biden seine Wiederwahlkampagne beendet, wie kann er dann rechtfertigen, daß er Präsident bleibt? Nicht zur Wiederwahl anzutreten wäre ein klares Eingeständnis, daß Präsident Trump immer recht hatte, daß Biden geistig nicht fit genug ist, um als Oberbefehlshaber zu dienen. Es gibt keinen Mittelweg.“

Robert F. Kennedy Jr., der als Parteiloser am Rennen um die Präsidentschaft teilnimmt, kritisierte seine ehemalige Partei für die Vorgehensweise und den Rückzug Bidens. „Bereits vor über einem Jahr sagte ich voraus, daß Joe Biden an einem degenerativen Zustand leidet, der sich nicht verbessern und ihn unfähig machen würde, effektiv zu regieren.“ Kennedy klagte die Führung der Partei an, daß sie ihre Macht genutzt und die Regeln für den Prozeß der Vorwahlen so verändert habe, damit „keiner mit Präsident Biden konkurrieren und seine Unzulänglichkeiten aufdecken“ könne. Für Kennedy war es von Anfang an unverantwortlich, Biden erneut antreten zu lassen.

Viele Namen wurden bereits in den Ring geworfen, wer Biden nun beerben könnte. Er selbst sprach sich zwar in seiner Verzichtserklärung nicht für seine Vizepräsidentin Kamala Harris als Nachfolgerin aus. Allerdings wird kurze Zeit später eine Nachricht auf Bidens X-Konto veröffentlicht, die sich zu Harris als Kandidatin für die Präsidentschaft bekennt. „Wieso steht nichts von Kamala Harris als Nachfolgerin in der Erklärung? Aber sie unterstützen sie durch einen kurzen Beitrag auf X?“, fragt Tucker Carlson sich in seiner Sendung. 

Auch die ehemalige Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton bezieht zügig Position für Harris. Ex-Präsident Barack Obama veröffentlichte ebenfalls eine Erklärung am Sonntag. Obama lobte Biden in einer ausführlichen Erklärung für seine „bemerkenswerte Karriere“ und sagte, er habe „jedes Recht, zur Wiederwahl anzutreten und die Arbeit zu beenden, die er begonnen hat“.

„Joe versteht besser als jeder andere, was bei dieser Wahl auf dem Spiel steht – wie alles, wofür er sein ganzes Leben lang gekämpft hat, und alles, wofür die Demokratische Partei steht, auf dem Spiel steht, wenn wir Donald Trump wieder ins Weiße Haus lassen und den Republikanern die Kontrolle über den Kongreß geben“, sagte Ex-Präsident Obama. Eine direkte Unterstützung für Harris ist in der Stellungnahme nicht zu finden. 

Der populäre Republikaner Vivek Ramaswamy, von dem erwartet wird, daß er eine zentrale Position in der nächsten Trump-Regierung innehaben wird, erklärte im Interview mit Sean Hannity auf Fox News, daß er davon ausgehe, daß Michelle Obama die Kandidatin für die Präsidentschaft der Demokraten werde. „Als jemand, der bereits vor einem Jahr vorhergesagt hatte, daß Biden nicht der Kandidat der Demokraten bei dieser Wahl sein kann, sage ich jetzt voraus, daß auch Kamala Harris nicht die Kandidatin sein wird. Der Grund dafür ist, sie werden jetzt ihre Chance nutzen, die Wahl zu gewinnen, und das ist eindeutig nicht Kamala Harris. Sie haben nun viele potentielle Kandidaten und ich würde Michelle Obama nicht abschreiben. Sie erfüllt alle politischen Kriterien.“

Im August wollen die Demokraten endlich Klarheit schaffen

Der Nominierungsparteitag der Demokraten findet zwischen dem 19. und 22. August in Chicago statt. Dann werden sie ihren Spitzenkandidaten verkünden. Anders als in der Vergangenheit ist der Parteitag eine sogenannte „brokered Convention“. Da es keine Vorwahlen bei den Demokraten dieses Mal gab, wird keiner der möglichen Kandidaten vorab über eine Mehrheit bei den Delegierten verfügen. Es wird also so lange unter den Delegierten verhandelt und abgestimmt, bis eine Mehrheit für einen Kandidaten zustande kommt. 

Mit Bidens Rücktritt sind die Spenden für die Demokraten rasant gestiegen. In den Medien hat bereits eine Kampagne für Kamala Harris als nächste Präsidentschaftskandidatin begonnen, und Zeitungen wie die New York Times und Washington Post gehen davon aus, daß sie das Rennen im August machen wird. Bis dahin werden viele Namen ins Spiel gebracht, unter anderem Senator Joe Manchin aus West Virginia, der nach dem Linksruck der Partei als Unabhängiger im Senat sitzt. Oder auch der kalifornische Gouverneur Gavin Newsom und die Gouverneurin aus Michigan Gretchen Whitmer. Beide bekannten sich öffentlich bereits zu Kamala Harris, und laut CBS News werden sie als Vizekandidaten längst in Betracht gezogen.