Die Bilanz nach neun Monaten: Rund 1.600 Tote verzeichnet Israel, auf dessen Territorium mehr als 19.000 Raketen gefeuert wurden. Die Armee hat derweil mehr als 36.000 Ziele angegriffen. Im Gazastreifen bewegen sich die Todeszahlen nach Hamas-Angaben auf die 40.000 zu, darunter Terroristen und Zivilisten. Notiert hat das das Israelische Institut für Nationale Sicherheitsstudien. Es sind gigantische Zahlen, die noch weiter steigen werden, denn ein Ende des Krieges ist nicht in Sicht.
Zum Wust der sich wiederholenden täglichen Kriegsmeldungen kommen immer wieder Situationen hinzu, in denen etwas Neues passiert und die Sorge vor einer noch größeren Eskalation zunimmt. Zum Beispiel wenn die libanesische Hisbollah-Miliz ihre Geschosse noch tiefer nach Israel fliegen läßt, nicht nur – wie ohnehin täglich – auf die Grenzortschaften.
Oder wenn, wie am Freitag vergangener Woche, eine Drohne der jemenitischen Huthi-Miliz mitten in Tel Aviv in ein Wohngebäude einschlägt und einen Menschen tötet. Schon davor hatten die vom Iran unterstützten und in Teilen des Jemen regierenden Huthis rund 200 Geschosse in Richtung Israel gefeuert, als Unterstützung „für Palästina“, doch die Angriffe konnten in der Regel abgewehrt werden.
Gegen religiös Fanatisierte hilft die beste Abschreckung nicht
Der jetzige Vorfall hat für die Israelis nicht zuletzt psychologische Folgen: In Tel Aviv läuft das Alltagsleben in geregelten Bahnen, es gab lange keine direkten Angriffe mehr. Diese relative Sicherheit ist erschüttert. Entsprechend reagierten Regierung und Militär mit einem präzedenzlosen Schlag: Erstmals griff die Luftwaffe Huthi-Ziele im Jemen an. Im Hafen von Hudaida am Roten Meer, der für iranische Waffenlieferungen an die Huthis genutzt wird, gab es Explosionen und große Brände.
Hudaida liegt Luftlinie von Tel Aviv in etwa so weit entfernt wie das italienische Neapel. Getauft wurde der Militäreinsatz „Operation langer Arm“. Die Botschaft: Israel kann seine Feinde überall erreichen. Der eigenen Bevölkerung signalisierten israelische Regierungsvertreter, daß die Abschreckung nun wiederhergestellt sei. Dabei haben die vergangenen Monate gezeigt, daß gegen religiös fanatisierte Gegner auch das beste Abschreckungskonzept nur bedingt Wirkung zeigt.
Entsprechend hilflos wirkt die israelische Führung bisweilen – auch wenn es um einen weiteren Deal mit der Hamas zur Freilassung von Geiseln geht, über den seit Monaten verhandelt wird. Den genauen Stand kennen nur wenige; immer wieder heißt es, ein Abschluß sei nahe, ohne daß tatsächlich etwas geschieht. Entsprechend geheimnisumwittert ist das Thema: Regierungschef Benjamin Netanjahu sieht sich im eigenen Land steten Verdächtigungen ausgesetzt, den Deal zu torpedieren, aus persönlichem machttaktischem Kalkül.
Gelegen kam dem Premier, daß er für diese Woche vom US-Kongreß eingeladen wurde, vor beiden Häusern eine Rede zu halten. Es war Netanjahus vierter Auftritt vor dem Parlament. Hier ist er in seinem Element, kann auf die Gefahr des Iran hin- und Kritik zurückweisen. Gerade nachdem der Internationale Gerichtshof Woche Israel erneut völkerrechtswidrige Praktiken vorgeworfen und die Knesset zum Unmut der Demokraten noch einmal symbolisch die Idee einer „Zwei-Staaten-Lösung“ zurückgewiesen hat. Wäre da nicht das Tohuwabohu in der US-Innenpolitik, das Netanjahus Auftritt ein Stück in den Hintergrund rücken ließ.