© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 31-32/24 / 26. Juli 2024

Einträgliche Mogelpackungen
Shrinkflation: Die wahre Geldentwertung und die Möglichkeiten des Verbraucherschutzes
Dirk Meyer

Shrinkflation, Skimpflation, Tipflation, Mogelpackung – so wenig offensichtlich die Bedeutungsinhalte, so wenig bewußt sind zumeist auch die dahinterstehenden Phänomene. Doch eigentlich geht es hier immer um das gleiche, die Inflation. Nur zeigt sich die Entwertung der Kaufkraft des Geldes in unterschiedlichen, teils eher schwer wahrnehmbaren Erscheinungsformen.

Während die Inflation den durchschnittlichen Preisanstieg auf der Grundlage eines repräsentativen Warenkorbes von etwa 700 Güterarten mißt – im Juni lag er im Vergleich zum Vorjahresmonat bei 2,2 Prozent, wird der Preisanstieg für den Kunden an der Supermarktkasse je nach Einkauf ganz unterschiedlich sichtbar: Olivenöl wurde um 46,7 Prozent teurer, Kekse um 13 Prozent, Mineralwasser um 7,3 Prozent; hingegen sanken die Preise für Haushaltsenergie um 3,0 ebenso wie die für Kraftstoffe um 0,6 Prozent. Die Erhöhungen sind ärgerlich für Verbraucher, deren Einkommen nicht oder mit Verzug steigen.

Bei gleichem Preis wird die Füllmenge reduziert

Aber die Erhöhung bleibt transparent. Oder umgekehrt: Gerade weil der Preisanstieg transparent ist, entsteht Ärger. Genau deshalb versuchen manche Unternehmen ihre Preiserhöhung zu verschleiern, damit der Kunde das Produkt weiterhin kauft. So ist die „Shrinkflation“ (to shrink: schrumpfen) eine häufig gewählte Art der versteckten Preiserhöhung. Aktuelles Beispiel: Die Post bekommt zukünftig mehr Zeit für die Briefzustellung. Gleiche Briefmarke, weniger Service. Die Grünen halten das für klimagerecht, denn so würde CO₂ eingespart. Tatsächlich gäbe es danach noch Steigerungspotential. Auch wird bei Produkten nicht der Preis erhöht, sondern bei gleichem Preis die Füllmenge reduziert.

Oder man kombiniert beides. Auf der Mogelliste der Verbraucherzentrale Hamburg ganz oben steht aktuell die „Dove Advanced Care Duschcreme“ von Unilever. Ehemals mit einer Füllmenge von 250 Milliliter (ml) zu 1,95 Euro bei Rossmann angeboten, gibt es heute 225 ml zu 3,45 Euro – eine Preiserhöhung von 97 Prozent. Auf Nachfrage wird auf die „wesentlich hochwertigere und noch pflegendere Formulierung [Rezeptur] in einer neuen, innovativen Flaschenform“ verwiesen. Rang zwei belegt das „Primadonna natives Olivenöl extra aus Griechenland“ bei Lidl. Statt 750 ml zu 7,49 Euro bekommt der Kunde jetzt 500 ml zu 6,99 Euro.

Ein Preisanstieg von 40 Prozent, der sogar unterhalb des vom Statistischen Bundesamtes ausgewiesenen Anstiegs für Olivenöl von 46,7 Prozent liegt – nur halt völlig undurchsichtig dem Verbraucher dargeboten wird. Lidls Begründung: „Der Inhalt ... wurde dem marktführenden Standard angepaßt. Aufgrund der Rohwarensituation im vergangenen Jahr sind die Preise für Olivenöl jedoch in sehr kurzen Abständen stark angestiegen.“

Experimente australischer Forscher zeigen, daß Verbraucher auf die Variante der Shrinkflation besonders ansprechen, bei der Preissenkungen mit einer noch stärker reduzierten Menge einhergehen. Psychologisch wird dies mit dem „Silberstreifeneffekt“ erklärt – ein gemischtes Ergebnis, das aus einem kleinen Gewinn (einem niedrigeren Preis) und einem größeren Verlust (einer noch kleineren Größe) besteht, wird günstiger bewertet als nur ein Verlust (Preiserhöhung oder Verkleinerung des Inhalts) allein. Außerdem ist der Preis auffälliger und wird stärker wahrgenommen als der Packungsinhalt.

Psychologisch ebenfalls interessant ist die „Tipflation“, eine im Zuge der Kartenzahlung in Lokalen, Friseursalons oder Taxis praktizierte Weise der „Einforderung“ von Trinkgeld. Wo bei Barzahlung aufgerundet wird – „stimmt so“, gibt man bei digitaler Zahlung einen sogenannten Tip ab. Auf dem Display kann man die in knalligen Farben unterlegten sieben Prozent, zehn Prozent oder gar 20 Prozent antippen. Weniger auffällig gibt es die Optionen „Freie Eingabe“ und „Kein Trinkgeld“.

Diese als „Nudging“ (anstupsen) bezeichnete Form der Manipulation behindert die freie Wahl des Trinkgeldes und legt einen eher höheren Tip nahe. Dieses generöse Verhalten stammt aus den USA, wo die höheren Trinkgelder zu Corona-Zeiten die generell niedrigen und dann wegbrechenden Einkommen des Servicepersonals ausgleichen sollten. Heute bewirken sie eine ganz persönliche Inflation, die nicht in die offiziell gemessene Rate einfließt.

Offensichtlich treffen hier der Verbraucherschutz und die unternehmerische Freiheit der unregulierten Gestaltung des Angebots aufeinander. In Frankreich hat man sich deshalb für eine Kennzeichnungspflicht entschieden. Seit Juli müssen Supermärkte für entsprechende Produkte, deren Gewicht oder Volumen reduziert wurde, Schilder anbringen. So sollen die Kunden über den gestiegenen Preis je Gramm, Kilo oder Liter informiert werden. Diese Kennzeichnung gilt für zwei Monate nach Markteinführung. Allein die Ankündigung reichte aus, daß die Supermarktkette Carrefour auf von Shrinkflation betroffene Produkte mit einem orangefarbenen Etikett hinwies.

Die unbequeme Kehrseite des mündigen Verbrauchers

Auch für Deutschland fordern die Verbraucherzentrale und Foodwatch eine Kennzeichnungspflicht, so etwa Vorgaben zu Füllmengen, um Luftverpackungen zu vermeiden, oder zu reduzierten Inhaltsmengen. Allerdings gibt es seit 2022 eine geänderte Preisangabenverordnung (PAngV). Neu ist danach die verpflichtende Angabe des Grundpreises pro Kilogramm oder Liter, so daß Transparenz bzgl. verschiedener Packungsinhalte besteht (§ 5 PAngV). Insofern werden die notwendigen Verbraucherinformationen auch bei einer Shrinkflation einheitlich und transparent geliefert.

Jedoch steht in Frage, ob sie wahrgenommen werden. Damit Preisermäßigungen besser einzuschätzen sind, müssen Angaben über Preissenkungen in Bezug zum niedrigsten Preis stehen, der in den vergangenen 30 Tagen verlangt wurde (§ 11 PAngV). So werden „Mondpreisabsenkungen“ vermieden. Auch können Preissenkungen bei prozentual höherer Mengenreduzierung nicht mehr als solche beworben werden. Dennoch ist weiterhin der Wechsel hin zu qualitativ minderwertigen Zutaten möglich („Skimpflation“). Doch auch dafür gibt es die verpflichtende Angabe von Inhaltsstoffen. Es bleibt deshalb die keineswegs neue Erkenntnis, daß die Kehrseite des mündigen Verbrauchers in einer aktiven Bereitschaft zur Aufmerksamkeit bei Einkäufen besteht.



Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg. www.vzhh.de/mogelpackungsliste



Foto: Einzelverpackung von Frischei: In Frankreich müssen Supermärkte seit Juli für entsprechende Produkte, deren Gewicht oder Volumen reduziert wurde, Schilder anbringen. So sollen die Kunden über den gestiegenen Preis je Gramm, Kilo oder Liter informiert werden