Wie pries der Veranstalter den Zug an? „Rovos Rail steht für Genuß auf höchstem Niveau. Menues aus edlen Zutaten, begleitet von erlesenen Weinen, feinste Filets, würziges Wildbret.“ Auf 5.530 Kilometern durch fünf Länder. Die Reise beginnt in Kapstadt , der fast südlichsten Spitze Südafrikas, mit einer Übernachtung in einer Business-Suite des Hotels Radisson Waterfront. Die Suite ist groß wie eine Ferienwohnung, elegant möbliert, keine fünf Meter vom Yachthafen entfernt. Ausgiebiger Blick auf das Meer, die Bergwelt und einen Seelöwen, der sich auf dem Bootssteg räkelt.
Beim Abendessen treffen wir auf unsere Mitreisenden und verteilen – nach Aussehen oder Verhalten – die ersten Spitznamen. Dauerredner: „Jelzin“; „Jacob-Sisters“ für zwei korpulente Damen am Stock; und „Gniesbock“ an einen älteren Herrn mit Igelfrisur und verschlagenen Augen. Den Dauerfotografierer nennen wir „Habeck“.
Am nächsten Morgen begrüßt uns der Südafrikaner Rohan Vos mit Handschlag. Er ist Gründer und Chef des nach ihm benannten Eisenbahnunternehmens Rovos Rail und führt uns in die Empfangshalle des berühmten Nostalgiebahnhofs. Antike Möbel, Ledersessel und Kronleuchter, ein Duo spielt klassische Musik und feingewandete Hostessen servieren Champagner und Canapés. Dann werden alle 58 Gäste, Deutsche, Schweizer und Österreicher, namentlich aufgerufen und zum Zug begleitet.
Auf Gleis 23 des menschenleeren Kapstädter Bahnhofs erwartet uns eine Schlange glänzender, grüner Waggons – „Pride of Africa“ – siebzehn Stück an der Zahl, mit Suiten, zwei Restaurant-, zwei Bar- und einem Aussichtswagen. Erwartungsvoll öffnen wir die Tür zu unserem Abteil „Kimberley“ und sind sprachlos: mahagonigetäfelt, breites Doppelbett mit Lümmelkissen, Schrank, Schreibtisch, zwei Sessel, gefüllter Kühlschrank und drei große Fenster. Zwei Kulturtaschen mit Inhalt gibt es zur Begrüßung, dazu ein Beutel mit sämtlichem Kram, der für die kommende Zeit nützlich sein könnte, von Schuhputz über Mückenschutz, bis Reisetabletten. Sogar eine Schutzbrille liegt im Schrank, falls wir aus dem offenen Fenster schauen möchten.
Der Zug windet sich durch das Weinbaugebiet des Kaplandes
Das Signal zur Abfahrt ertönt. Kurz nachdem der Zug aufgebrochen ist, gongt es schon zum Mittagessen. Zwei liebevoll restaurierte Speisewagen stehen zur Verfügung. Der hintere, den zwanziger Jahren nachempfunden, der vordere, für den wir uns entscheiden, den Dreißigern, mit breiten Lederbänken und heller Ausleuchtung. Die Tische sind festlich mit Silberbesteck, feinem Geschirr und geschliffenen Gläsern gedeckt. Wir setzen uns an einen Zweier. Sofort erscheint Weinkellner Anton, Anfang 20, mit einem spitzbübischen Lächeln. Wir bestellen einen Pinotage für Begleiter Uli und einen halbtrockenen Rosé für mich. Das Essen ist phantastisch. Wein wird unaufgefordert nachgeschenkt. Bald herrscht eine heitere Atmosphäre, die sich aus Vorfreude und leichtem Rausch kristallisiert. Grund genug, anschließend die Aussichtsplattform aufzusuchen.
Der Zug windet sich durch das Weinbaugebiet des Kaplandes, durchfährt drei Tunnel der Hex-river Berge und hält am frühen Abend für anderthalb Stunden in Matjiesfontein , einem Dorf in englischem Stil. Ein Trompeter lädt die Gäste ein, einen ausrangierten Doppeldeckerbus zu besteigen – für eine zehnminütige Rundfahrt, die im einzigen Pub endet. Danach warten im Abteil Tassen, Kaffeepulver und kochendes Wasser neben Konfekt und Betthupferl auf uns. Es ist kalt, daher belächeln wir die beheizten Betten nicht. Auch am nächsten Morgen herrschen arktische Temperaturen in den Gängen, aber im Restaurant ist es mollig warm. „Afrika ist ein kalter Kontinent“, begrüßt uns der hagere Bordarzt Dr. Bunte bei seinem Erscheinen.
Die Aussichtsplattform ist gut besucht. Eisenbahnfans starren stundenlang auf den Schienenstrang. Wir beobachten Schafherden, Strauße und Impalas auf den endlosen Steppen der Großen Karoo, die ein Drittel der Fläche Südafrikas einnimmt. Kimberley ist nächster Haltepunkt, heute ein Museumsdorf mit Diamantenschlot „Big Hole“, war einst die größte Diamantenmine der Welt, die 1871 einen Rausch auslöste. Wenige Kilometer nach der Abfahrt verringert der Zug seine Geschwindigkeit schon wieder. Ein rosa Teppich breitet sich vor uns aus. Es ist keine Fata Morgana, sondern zig Tausende Flamingos, die einen flachen See bevölkern.
In der Nacht ruht der Zug fünf Stunden, denn die ausgeleierten Schienen verursachen wortwörtlich Höllenlärm. Da die Bahnstrecke auch durch Slums und marode Industrieareale führt, wird die Bahn an den Haltepunkten streng bewacht, Fenster und Stahljalousien geschlossen. Gegen zehn Uhr treffen wir in Centurion ein, zehn Kilometer vor der Hauptstadt. Vos hatte eine restaurierte Dampflok bereitgestellt. Die Männer freuen sich wie Kinder, schwingen sich euphorisch auf den hohen Führerstand und lassen sich fotografieren.
Die Lok wird vorgespannt und zieht uns zum Rovos-Bahnhof „Capital Park“ in Pretoria . Wieder nimmt uns der 77jährige Rohan Vos persönlich in Empfang und präsentiert stolz seine Werkhallen. 35jähriges Bestehen feiert das Unternehmen in diesem Jahr. Zweihundertvierzig Mitarbeiter verwandeln ausrangierte Waggons in edle dunkelgrüne Salon- und Schlafwagen.
Das Kreuz des Südens taucht
in kristallklarer Schärfe auf
Wieder ein Buffet. Es gibt alles her, was das fruchtbare Südafrika zu bieten hat: Muscheln, Hummer und anderes Getier, Pasteten und Köstlichkeiten, die uns in dieser Qualität noch nie begegnet sind. Uli ißt Krokodil und Springbock, dazu die Blüten der Tellerdekoration.
Nach Rückkehr finden wir im Abteil zwei stabile Reisetaschen für den kommenden zweitägigen Aufenthalt vor. Wir packen warme Sachen ein. Am nächsten Morgen stehen am Bahnhof von Zeerust Busse, die uns am Madikwe-Wildreservat an der Grenze zu Botswana absetzen. Das Reservat verdankt seinen Erfolg der Phoenix-Aktion. 75.000 Hektar Grasfelder mit niedrigem Baumbewuchs wurden mit 150 Kilometern Elektrozaun geschützt und Elefanten, Nashörner, Löwen, Leoparden, Büffel und andere Wildtiere angesiedelt. In diesem Reservat befindet sich die „Tau Game Lodge“, zu der uns Ranger in Jeeps chauffieren. Wir beziehen einen kleinen Bungalow und sind starr vor Staunen über Eleganz und Luxus. Keine fünf Meter von unserer Terrasse entfernt zählen wir einunddreißig Elefanten mit ihren Jungen an einer Wasserstelle. Zebras, Gnus, Springböcke und Warzenschweine grasen friedlich, und in Webervogelnestern herrscht lebhafter Flugverkehr.
Wenig später geht es auf Safari. Nachdem wir beinahe alle hier angesiedelten Tiere zu Gesicht bekamen, trifft sich die Gruppe auf einem Rastplatz zum „Sundowner“ bei spektakulärem Sonnenuntergang. Gniesbock schleicht von Wagen zu Wagen und füllt seine Taschen mit Minischnapsflaschen. Es wird schnell dunkel und kalt. Das Kreuz des Südens taucht in kristallklarer Schärfe auf.
Der Bungalow ist in warmes Licht getaucht, Moskitonetz zugezogen, Heizung angestellt und die Betten vorgewärmt. Nachts erschreckt uns Löwengebrüll, so laut, als stünde das Tier im Zimmer. Aber dafür sind wir ja hier, oder?
Weckruf um 6 Uhr. Winterlich mit Anoraks, Pudelmützen und Handschuhen ausgestattet, klettern wir auf die Jeeps und treffen nach Verlassen des Camps auf unsere Löwen. Sie starren uns mürrisch an, wenden sich ab. Plötzlich hebt eine Elefantenkuh in der Nähe den Kopf und bewegt sich drohend auf uns zu. Ranger Dave klatscht in die Hände und brüllt das Tier an. Es läuft um das Fahrzeug herum. Er startet den Motor, denn der Elefant attackiert von achtern, aber der Jeep ist schneller. Über Funk wird eine Sichtung seltener Kaffernbüffel verbreitet. Sie gehören zu den großen Fünf. Dave braust anderthalb Stunden durch unwegsames Gelände, die dicken Räder des Jeeps zermalmen Sträucher und kleine Bäume, bis die Büffel dicht vor uns stehen. Uns wird mulmig, als der Ranger vor der Aggressivität dieser Tiere warnt.
Die Grenzabfertigung nach Botswana läuft problemlos, die Fahrt nach Norden führt über die weiten Ebenen der trockenen Kalahari bis zur Grenze nach Simbabwe. Ein Elefant trabt eine Weile neben uns her und schickt Trompetengrüße. In Thompson’s Junction bleibt der Zug über Nacht. Am nächsten Tag stehen die Victoriafälle auf dem Programm. Der Himmel ist schwarz vom Kohleabbau, ringsherum verrotten Industrieanlagen.
Die Fahrt zum „Mosi oa Tunya“, zum „Rauch, der donnert“, wie die Fälle in den bantusprachigen Teilen Simbabwes und Sambias genannt werden, dauert nur fünf Minuten. Gischt hat den Wanderweg an der Abbruchkante mit seinen Ausbuchtungen in eine gefährlich glitschige Rutschbahn verwandelt. Die 1,7 Kilometer langen Fälle sind an den Rainbow Falls 108 Meter tief. Die heutigen Fälle fressen sich vom Devil’s Cataract in Richtung Norden und waschen das weichere Gestein unter dem vorhandenen Basaltsockel aus. „Habeck“, der allen mit seiner pausenlosen Fotografierei auf den Zünder geht, verliert den Chip mit bereits siebenhundert Fotos und findet ihn trotz Hilfe der Ranger nicht wieder.
Eine Bootstour auf dem Chobefluß schließt sich an. Wir sehen Eisvögel, kleine Krokodile, Kudus, abermals Impalas sowie bunte Bienenfresser und signalgrüne Vögel, die ihre Nester einen Meter tief in den Sand graben. Am Ufer des Sees schützt eine Elefantenherde ihren Nachwuchs vor dem lauernden Krokodil. Schulen von mächtigen Flußpferden, die wie Heuschrecken die grasbewachsene Seeoberfläche abfressen, schwimmen Zentimeter neben uns. An der „Chobe Safari Lodge“ werden wir ausgeladen. Massenabfertigung, das Boma-Essen am Abend verlassen wir nach kurzer Zeit. Ohne Malaria-Vorsorge fürchten wir uns vor den Moskitoschwärmen.
Das Mittagessen wird im Victoria Falls Hotel serviert, eine Edelherberge mit Gourmet-Tempel und Blick auf die Fälle. Wir genießen das Spitzenmenü bei spanisch-afrikanischen Rhythmen. Ein Spaziergang in den Ort wird uns wegen der hohen Kriminalität verboten, so warten wir am Bahnhof auf die Einfahrt des Rovos. Eine Vorführung der Mitglieder aus dem Stamm der Shangaan beginnt. Muskulöse junge Männer trommeln, singen und stampfen nach Melodien aus der Oper „Nanu“. Langsam fährt der Rovos ein. Alle kehren augenblicklich zurück, denn gleich wird der Zug für zwanzig Minuten auf der berühmten Victoria-Falls-Brücke halten, die Simbabwe und Sambia verbindet.
Nach kurzem Fußmarsch haben wir einen spektakulären Blick auf Zug, Brücke, 120 Meter tiefe Schlucht und den „Rauch, der donnert“. Bei herrlichem Sonnenschein, für Fotos sozusagen eine eierlegende Wollmilchsau. „Habeck“ hat einen Ersatzchip zur Hand. Hinter der Brücke beginnt nun der wirklich katastrophale Schienenstrang. Das Schleudern der Waggons erinnert uns an Schiffsbewegungen bei Windstärke 10. Der Rovos wird bei 20 Stundenkilometern von einem Radfahrer mit Gepäck überholt. Neben dem Gleisbett liegt ein Güterzug, der wenige Tage zuvor umgekippt ist. Die Schienen wurden sofort repariert, aber defekte Wagen bleiben liegen. „Wagenfriedhof“ wird diese Teilstrecke genannt.
Wir sitzen auf der Plattform. Termitenhügel mit Baumbewuchs, endlose Steppen mit Kuhherden, siebenhundert Kilometer wird sich der Rovos durch Sambia quälen. Wegen des desolaten Gleisbettes hält er alle paar Kilometer. Sofort sind wir umringt von Kindern und Kindern, die Kinder auf dem Rücken tragen. Hier beträgt die Aidsrate fast 40 Prozent. Armselige Hütten auf Müllbergen, Tümpel und Wasserlöcher, in die man Abfälle und Plastikreste entsorgt, obwohl noch Wäsche in dem stinkenden Naß gewaschen wird. Die Menschen lungern träge vor ihren Behausungen. Die Felder hier draußen bleiben unbestellt.
Einstige deutsche Prachtbauten werden wieder restauriert
Da das Reiseunternehmen ein Brunnenprojekt für eine Schule im Dorf Chumsambo unterstützt, sollte um 15 Uhr ein Besuch dort stattfinden. Der Zug hat aber Verspätung. Es ist stockdunkel, als wir uns mit Taschenlampen auf den Weg machen. Von den tausend Schulkindern warten trotzdem noch zweihundert auf unseren Besuch. Es wird geredet und gesungen. Uns ist die Situation nicht geheuer, denn streunende Jugendliche keilen uns ein, zerren an unseren Jacken und betteln aggressiv. Wir warten das Ende der Vorstellung nicht ab.
Über Nacht stand der Zug in der etwa Fünfzigtausend-Einwohner-Stadt Kapiri Mposhi auf dem Nebengleis und wechselt nun auf die Spur der 1.800 Kilometer langen TaZaRa-Linie nach Daressalaam, Tansania. Hier sind die Chinesen im Geschäft. Auch unsere drei Busse, die uns zu den Chisimba-Wasserfällen chauffieren sollen, tragen chinesische Schriftzeichen. Die in eine grün wuchernde Pflanzenwelt eingebetteten Wasserfälle sind zwar nicht sehr hoch, aber sehenswert. Gegen elf Uhr Ankunft in Makambako mit einer Stunde Aufenthalt. Auf ungepflasterten, staubigen Straßen verkaufen junge Männer die Kleidung, die das Rote Kreuz als Hilfsgüter geliefert hatte.
Abschiedsabend. Viele tragen Abendkleider, die Küche hat noch einmal gezaubert. Leise Wehmut macht sich breit. Nach dem Abendessen lädt die aparte Zugchefin Mart zum Cocktail in die festlich geschmückten Salonwagen. Die Nachtfahrt auf ausgefahrenen Gleisen wird unruhig, bis der Rovos pünktlich um zehn Uhr im Bahnhof von Daressalam einrollt, dem kulturellen Zentrum Tansanias. Eine Polizeikapelle spielt Marschmusik, falsch und voller Inbrunst. Wir nehmen Abschied von unseren zwei Dutzend Zugbegleitern. Zuerst Stadtrundfahrt mit Bussen.
Daressalam mit knapp vier Millionen Einwohnern ist vollgemüllt, die Hinterlassenschaft der Deutschen im ehemaligen Deutsch-Ostafrika zerfällt, obwohl die Bundesrepublik Geld in dieses Faß ohne Boden pumpt.
Der einheimische Reiseleiter ist gebildet und präzise. Die Kommentierung des Askari-Denkmals wird falsch und unvollkommen übersetzt, so bittet Uli den jungen Mann, ihm die Ausführungen um die Askaris und den einzigen im Ersten Weltkrieg unbesiegten deutschen General, Paul von Lettow-Vorbeck zu wiederholen. Der Reiseleiter freut sich über das Interesse, nennt ihm alle Schlachten aus dem Stegreif.
Weiterfahrt nach Bagamoyo, ehemalige Hauptstadt der Kolonie des Kaiserreichs, die wegen des fehlenden Tiefseehafens ihre Bedeutung an den heutigen Regierungssitz Dar es Salaam abgeben mußte. Die einstigen deutschen Prachtbauten sind verfallen, werden aber allmählich wieder restauriert.
Wir kehren an den Strand zurück, an dem jetzt lebhaftes Treiben herrscht. 800 Fischer vermarkten ihren Fang oder buddeln ihn im Sand ein. Ein Auktionator zieht einen Packen Fische aus dem Sand, in Plastikfolie geschweißt oder einfach auf eine Schnur gezogen, schreit los, und keine Minute später hat die Ware einen neuen Besitzer gefunden. Ich schieße einige Fotos, als plötzlich ein Fischer aggressiv Geld fordert, obwohl ich ihn nicht fotografiert habe. Der Fahrer unseres Busses unterstützt ihn zu allem Übel noch. Zum Glück ist Uli nicht weit entfernt und baut sich drohend neben mir auf. Fischer und Busfahrer trollen sich.
80 Kilometer zurück zum Hotel. Die Fahrt erinnert an Kairo, wo sechs Autos auf drei Spuren nebeneinander fahren. Die Reise ist nach 15 Übernachtungen beendet. Der Veranstalter hatte kein bißchen übertrieben.
Fotos: Kurzer Halt des Rovos Rails mit seinen glänzenden, grünen Waggons – „Pride of Africa“: 17 Wagen mit Suiten, zwei Restaurant-, zwei Bar- und einem Aussichtswagen, Empfangskomitee an den Victoria-Fällen; eine Elefantenkuh die nicht gestört werden will und das Abteil „Kimberley“ (v.l.n.r.): DieTage im Rovos vergehen wie im Flug